142 Jahre alte Zeitungen

  06.11.2020 Büttikon

«Freischütz» beim Sanieren gefunden

Im Dachstock findet Nik Sax alte Zeitungen und sogar das erste Telefonbuch der Schweiz.

Da staunte Nik Sax nicht schlecht. Damit seine älteste Tochter mit ihrer Familie in das Haus an der Villmergerstrasse einziehen kann, muss das Dach saniert werden. Seit mindestens fünf Generationen lebt die Familie Sax hier. Während all der Zeit hat die Familie die Zeitzeugen in ihrem Dachstock nie wahrgenommen. Bis jetzt: Da das Dach saniert wird, muss der Dachstock geräumt werden. Hinter all den Schränken findet Nik Sax Zeitungen, die an die Wand geklebt wurden. Vermutlich als Isolation. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Die Zeitungen sind 142 Jahre alte Ausgaben vom «Freischütz», dem heutigen «Freiämter».

Neugierig betrachtet er die gut erhaltenen Zeitungen. Darunter ist auch die allererste Ausgabe des «Freischütz» vom 3. Januar 1878. Darin wird die «neue» Murianer Zeitung vorgestellt. Nik Sax nimmt sich Zeit, um die Zeitzeugen genauer anzuschauen. Darunter sind auch wahre Schätze zu finden.--chg


Zeitgeschichte auf dem Dachboden

Nik Sax findet beim Renovieren seines Hauses fast 150 Jahre alte Zeitungen

In einem Raum findet Familie Sax Wände voll mit Ausgaben des «Freischütz», die fast 150 Jahre alt sind. Ein Schatz, von dem sie nichts wussten und den sie sich genauer anschauen.

Chantal Gisler

Nik Sax ist überrascht. Mit einem solchen Schatz hat er nicht gerechnet. Er und seine Frau wollen ihr Haus an der Villmergerstrasse der ältesten Tochter übergeben. Eine neue Familie soll das alte Gebäude füllen. Dazu müssen einige Sanierungsarbeiten gemacht werden, unter anderem am Dach. Dafür muss der Dachstock leer geräumt werden. Ein Zimmer, das er schon lange nicht betreten hat und das mehr als Abstellraum fungierte. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte Nik Sax, dass die Wände mit Zeitungen vollgeklebt waren. Genauer gesagt mit 142 Jahre Jahre alten Ausgaben vom «Freischütz», dem heutigen «Freiämter». «Einige Zeitungen stammen aus dem Jahr 1878», sagt Sax erstaunt, während er in den Dachstock geht. Mit einer Taschenlampe leuchtet er auf die Wände. «Das ist Zeitgeschichte.»

Die allererste Ausgabe

Das Haus ist seit mindestens fünf Generationen im Besitz der Familie Sax. «Das Haus wurde etwa um 1820 gebaut», sagt Sax, während er mit der Taschenlampe an die Wände leuchtet. Sie sind allesamt mit Zeitungen vollgeklebt, genauso wie die Decke. Teils ein wenig zerrissen und fleckig, aber noch gut lesbar und in gutem Zustand. So hängt die allererste Ausgabe vom «Freischütz» an der Wand neben dem Fenster. Es ist die Ausgabe vom Donnerstag, 3. Januar 1878. Adressiert an Hr. Josef Sax, Sigrist in Büttikon. Zur Zeitung wurde offenbar die «Maidtasche» dazugelegt, vermutlich ein kleines Magazin, wie der Kontext vermuten lässt. Im ersten Abschnitt wird erklärt, dass der «Freischütz» künftig mit der «Maidwoche» erscheinen wird. Für fünf Franken pro Jahr kann man das Abonnement erwerben. An den Wänden gut erkennbar hängen die Ausgaben Nummer 9, 14 und noch viele weitere. «Ich bin gespannt, was wir noch finden, wenn wir die Schränke bewegen», sagt Sax und leuchtet mit der Taschenlampe an die Wand. Nahe der Tür sind auch Ausgaben vom Aargauer Amtsblatt angebracht. Wieso die Zeitungen hier an der Wand kleben, wissen die Sax nicht. Vermutlich zur Isolation.

Während er kurz runtergeht, um eine grössere Lampe zu suchen, lehnt seine Tochter Marianne mit ihrem Sohn im Türrahmen. «Wir hatten keine Ahnung, welche Zeitzeugen sich hier oben verstecken», sagt sie. Ihre grosse Schwester wird das Haus übernehmen, deshalb wird es renoviert. «Das Dach war schon lange fällig, es muss unbedingt neu gemacht werden.» Dazu muss der Dachboden geräumt werden. «Das Zeug war immer hier drin, wir haben uns nie gross überlegt, was es wohl sein könnte.»

Nie gross Gedanken gemacht

Diese Gedanken hat sich auch ihr Vater nie gemacht, erklärt er, als er mit einer Flutlichtanlage wieder kommt. Er öffnet den Schrank an der Wand. Darin liegen Briefe, kleine Bücher, eine Tontafel mit dem Familienwappen und mehrere Kartonkisten. Sax öffnet eine davon. Darin befinden sich ein Holzkreuz und ein Bild der Sarmenstorfer Kirche in zwei Ansichten. Darüber ein Porträt des damaligen Pfarrers. Es wirkt alt. «Ich weiss, dass unsere Familie immer mit der Kapelle hier zu tun hatte. Wir waren Sigristen», sagt Sax und betrachtet das Kreuz. «Vielleicht werde ich das Kreuz der Sarmenstorfer Kirche zurückgeben», sagt er nachdenklich und legt das Kreuz wieder zurück in die Box. «Wir haben auch schon Utensilien für die letzte Ölung hier gefunden. Bei einem Todesfall in Büttikon hat Josef Sax die letzte Ölung gemacht.» Dann gab es noch die Sache mit den Seifen. Sax lacht. «Unsere Familie hatte lange einen Dorfladen. In einer Kiste habe ich Seifen gefunden.» Faustgross sind sie gewesen. Bei allen Fundsachen überlegt sich Sax, ob er sie noch brauchen oder verschenken könnte. Die Seifen wollte niemand. «Also sind wir zum Römer nach Wohlen gefahren und haben gefragt, ob wir sie hier entsorgen können. Der Mann sagte, er nehme sie uns gerne ab.» Er lacht. Seine Tochter lacht ebenfalls: «Vermutlich wusste er, dass sie noch etwas wert waren.»

In der Familie bleiben

Sax wendet sich wieder dem Schrank zu und zieht ein kleines Büchlein hervor. Ein Telefonbuch. Genauer gesagt, die Nummern zu Firmen und Telefonkabinen in der Schweiz. Nicht mal 100 Seiten lang. Das erste Telefonbuch der Schweiz, datiert auf 1926. «Damals führte unsere Familie einen Dorfladen, wir hatten eines von drei Telefonen», erklärt Sax. An seine Tochter gewandt sagt er: «Dort, wo heute die Garderobe ist, stand damals die Telefonzelle.»

Fasziniert lauscht Marianne Sax den Erzählungen ihres Vaters, während er im «Freiämter Kalender» von 1934 blättert. «Es ist so spannend zu hören, welche Geschichten sich hier abgespielt haben.» Vater Nik stimmt ihr zu. «Aber am schönsten finde ich, dass dieses geschichtsträchtige Haus weiterhin im Besitz der Familie bleiben kann und das Zuhause einer neuen Familie wird.»

«Der Freischütz» wurde später unbenannt in «Der Freiämter». Dieser wird von der Freiämter Regionalzeitungen AG herausgegeben, wie auch der «Wohler Anzeiger» und der «Bremgarter Bezirks-Anzeiger».


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