Zum Umdenken motivieren

  05.11.2021 Wohlen

Aktion gegen Lebensmittelverschwendung: Der Sonnhaldenhof verteilte am Bahnhof Zürich 9 Tonnen Gratis-Äpfel

Da, wo sonst Pendler vom Zug zur Arbeit eilen, verteilte Bauer Florian Kuhn aus Wohlen am Mittwochmorgen seine Äpfel. Der Bauernverband und zwei Organisationen machten mit der Aktion auf ein Problem aufmerksam. Zu viele Lebensmittel schaffen es wegen kleiner Mängel nicht in die Läden.

Chregi Hansen

Am Tag nach der Aktion baut Florian Kuhn wieder seinen Marktstand auf dem Wohler Chileplatz auf. Darunter auch viele Kisten mit feinen, saftigen Äpfeln, ganz verschiedene Sorten. In allen Farben, in allen Grössen. Alles Schweizer Produkte. «Das ist für mich die beste Art des Verkaufens, hier verdiene ich am meisten», sagt der Landwirt vom Sonnhaldenhof.

Sein Betrieb setzt schon seit Langem auf die Direktvermarktung. Der Hofladen ist weitherum ein Begriff, im Sommer ist der Bauer mit seinem Team an drei Märkten präsent. «Das ist nicht nur für uns die beste Lösung, sondern auch für die Konsumenten. Sie unterstützen die Schweizer Landwirtschaft, erhalten Produkte, die sauber produziert werden, gesund sind und die keine langen Transportwege hinter sich haben», erklärt Kuhn. Trotzdem ist auch er auf den Verkauf an die Grossverteiler angewiesen. Und muss erleben, wie diese den Markt beherrschen.

Händler diktieren die Preise

Heisst: Sie bestimmen, welche Waren überhaupt in den Laden kommen. «Bei den Äpfeln geht es zum einen um die Grösse. Ist er einen Millimeter zu gross oder zu klein, wird er aussortiert und gilt nur als zweitklassig», erklärt der Wohler Landwirt. Auch die Farbe oder kleine Dellen auf der Haut sind entscheidend für die Auswahl. Und das hat Konsequenzen. Statt 1 Franken pro Kilo für die Topqualität erhält der Landwirt nur noch 40 Rappen für die zweitklassige Ware. Oder nur noch 20 Rappen, wenn es in die Mosterei geht. «Irgendwann rentiert sich das Auflesen gar nicht mehr», kritisiert Kuhn.

Er ärgert sich über dieses Vorgehen. «Denn die Ware ist geschmacklich tadellos», sagt er. Das bestätigen auch die vielen Menschen, die sich in Zürich bei der Verteilaktion bedient haben. «Viele waren erstaunt, dass diese Äpfel den Ansprüchen der Verteiler nicht genügen. Die seien doch tadellos», berichtet der Landwirt. Von 6 bis 10 Uhr war er vor Ort am Zürcher Hauptbahnhof und half mit bei der Aktion. «Es gab Leute, die holten gleich 200 Äpfel für die ganze Firma, andere kamen mit Rucksäcken oder gar Kisten. Zeitweise mussten wir einschreiten und zur Vernunft auffordern. Und als sich das Ende abzeichnete, entstand ein richtiger Kampf um die letzten Äpfel.»

Drei Organisationen spannen zusammen

Organisiert wurde die Aktion vom Schweizer Bauernverband in Zusammenarbeit mit der Initiative «Save Food, Fight Waste» und der App «Too Good To Go». Sie gaben am Mittwoch 9 Tonnen (schätzungsweise 100 000) Äpfel gratis an Passantinnen und Passanten ab. Mit der Aktion wollen die Organisatoren die Wertschätzung für die Arbeit der Schweizer Bauern und die gesellschaftliche Akzeptanz für die natürlichen Unterschiede bei Naturprodukten fördern. Die Botschaft lautet: «Vollkommen unvollkommen!»

Florian Kuhn hat sich gerne an der Aktion beteiligt. Dabei geht es ihm nicht nur um den Preis. Bauern produzieren mit viel Leidenschaft Lebensmittel für die Bevölkerung. Es tue weh, wenn man dann einen Apfel wegschmeissen muss, weil er eine kleine Delle hat, geschmacklich aber tadellos wäre. «Die Konsumenten sollten mehr direkt bei den Bauern kaufen», ist darum seine Botschaft. Denn dort würden auch krumme Rüebli Absatz finden.

Schwarzer-Peter-Spiel

Er habe nichts gegen die Grossverteiler, die brauche es auch, macht der Wohler deutlich. Aber er ärgert sich über deren Verkaufsstrategien. «Aktionen werden beispielsweise schon ein Jahr im Voraus festgelegt und orientieren sich überhaupt nicht an der tatsächlichen Produktion. Dann sind vielleicht Himbeeren in Aktion, aber ich habe fast keine. Also werden Waren aus dem Ausland verkauft. Und wenn meine Beeren reif sind, werden die Kunden mit anderen Aktionen geködert», kritisiert er. Zudem würde man sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben. Die Händler sagen, die Konsumenten kaufen nichts, was nicht einwandfrei ist. Konsumenten sagen, sie würden schon, aber es gebe in den Läden ja nichts anderes. «Darum am besten direkt beim Bauern kaufen», wiederholt Kuhn seinen Ratschlag.

Jammern über die hohen Preise  ist nicht angebracht

Dies umso mehr, als hierzulande viel strengere Regeln gelten bei der Produktion. «Bei einem ausländischen Apfel weiss niemand, was alles gespritzt wurde.» Der Bauer ärgert sich auch über den ständigen Preisdruck. «In der Schweiz wird immer über die teuren Preise gejammert. Dabei geben wir nur 7 Prozent unseres Verdienstes für Lebensmittel aus. Dieser Wert ist in anderen Ländern viel höher», macht er deutlich. Zudem: Wer direkt beim Bauern kaufe, der sorge dafür, dass das Geld in der Schweiz bleibt.

«Ich hoffe, dass die Aktion etwas auslöst und zu einem Umdenken bei den Konsumenten beiträgt», schaut Florian Kuhn voraus. Und dass diese in Zukunft den Wert eines Apfels wieder besser anerkennen können. «Viele wissen nicht, was hinter der Produktion alles steckt. Aber am Ende des Monats muss ich auch meine Löhne und Rechnungen bezahlen», so Kuhn zum Schluss. Und da machen 60 Prozent Preisunterschied pro Kilo eben einiges aus.


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