Als das Dorf noch anders aussah

  26.06.2020 Boswil

Der Boswiler Kulturverein veröffentlicht eine neue Publikation

Geschichte kann auf viele Arten erlebt werden. So auch anhand der Aufarbeitung von 40 Boswiler Postkarten.

Celeste Blanc

Heute können Postkarten mit dem Handy versandt werden. Eine schöne Kulisse, ein Knips und voilà – fertig ist die eigene Karte, die sich per Knopfdruck auf den Weg macht. Auch in vergangener Zeit gab es bereits personalisierte Postkarten. «Früher hat der Fotograf bei Familienfotos zusätzlich noch ein Foto vom Haus gemacht», erzählt Othmar Stöckli, Präsident des Kulturvereins Boswil, «welches dann als Postkarte genutzt wurde.»

Für die Publikation wurden die schönsten und interessantesten Postkarten aus der privaten Sammlung von Othmar Stöckli und seiner Frau herausgesucht. Diese fndet er auf Flohmärkten oder im Internet. «Wenn jemand sammelt, dann vor allem lokale Stücke.» Bei Stöckli sind es vor allem Boswiler Karten, aber er hat auch sonst die eine oder andere aus der Region.

Die Postkarten sind für Stöckli eine Leidenschaft, denn sie bieten ein Fenster in die Vergangenheit. «Sie sollen der Dorfbevölkerung erhalten bleiben, denn viele Leute wissen noch, wie es früher in Boswil ausgesehen hat.» Für Othmar Stöckli eine grosse Hilfe, denn eine Postkarte in seiner Sammlung ist es, die ihn zurzeit beschäftigt. Darauf ist ein wunderschönes Holzhaus zu sehen. Wo es aber stand, konnte Stöckli bis heute nicht ermitteln. «Aber ich gebe nicht auf», sagt er lachend.


Grüsse aus Boswil

Auch Postkarten können Dorfgeschichte dokumentieren

Der Kulturverein Boswil veröffentlicht Ende dieses Monats eine Publikation zu Postkarten aus dem Dorf. Damit eröffnet er einen etwas anderen Blick auf die Geschichte Boswils und zeigt, wie viel sich in den letzten 120 Jahren verändert hat.

Celeste Blanc

«Am wertvollsten sind die farbigen Lithografie-Karten», weiss Othmar Stöckli, Präsident des Kulturvereins Boswil, und zeigt auf eine wunderschöne bunte Postkarte. Ein gedrucktes Sujet zeigt das Dorf aus der Vogelperspektive, das die halbe Karte einnimmt. Darunter sind drei weitere kleine Abbildungen angegliedert, eine der neuen Kirche, des ehemaligen Schulhauses sowie des Gasthofs zum Löwen. Solche Lithografien stammen aus der Zeit zwischen 1897 und 1905. Stöckli, der den Kulturverein bereits seit zehn Jahren präsidiert, weiss: «Unter Sammlern können diese schon mal 400 Franken kosten, da das Druckverfahren sehr aufwendig war und die Karten eingefärbt wurden. Dadurch war auch die Auflage dieser Postkarten weniger gross.»

Schnelle Kommunikation

Heute werden Ansichtskarten aus den Ferien verschickt, früher hingegen war es ein wichtiges Kommunikationsmittel. In den 1860er-Jahren kam die Idee auf, eine spezielle Karte zu schaffen, damit die Menschen kurze schriftliche Mitteilungen schnell miteinander austauschen konnten. Da die Posttarife sehr viel billiger als die der Briefe waren, wurden sie schnell zum Erfolg. «Ursprünglich wurden die Postkarten dann als Geschäftsantwortkarten genutzt, mit denen man Termine kurzfristig vereinbaren oder absagen konnte», so Stöckli und zeigt auf drei Poststempel auf der Rückseite einer Postkarte – alle mit demselben Datum.

Betrachtet man den Text genauer, wird ersichtlich, dass sich der Absender beim Empfänger noch für den gleichen Abend abmeldete. Dieses System klappte nur, weil die Post damals dreimal täglich sortiert und ausgeteilt wurde. «Der Bahnpöstler sortierte die Karten im Zug und so konnten diese jeweils noch am gleichen Tag ausgeteilt werden», erklärt Stöckli, «früher kommunizierte man mit der Postkarte, heute über Whats-App.»

Kleine Zeitzeugen

Das Sammeln von Postkarten ist für Othmar Stöckli eine Leidenschaft, der er und seine Frau mittlerweile seit gut 20 Jahren nachgehen. Seine umfassende Sammlung beinhaltet 60 Postkarten, aus der rund 40 der schönsten oder eindrücklichsten Stücke Eingang in die Publikation erhielten. «Anhand der Postkarten kann nachvollzogen werden, wie sich das Dorf gewandelt hat. Vergleicht man das Boswil von heute mit dem Dorf von vor 120 Jahren, ist es kaum wiederzuerkennen», lacht Stöckli.

Die Postkarten sind somit kleine Zeitzeugen, die Einblicke in die Vergangenheit des Dorfes geben. Spannend zu sehen ist, dass nicht nur bekannte Lokalitäten auf Postkarten abgebildet werden, sondern auch die Häuser von Privatpersonen: «Wenn früher das Familienfoto gemacht wurde, wurde auch das Haus fotografiert. Daraus gab es dann eine Postkarte.» So gab es für den Fotografen mehr Geld und die Familien erhielten daraus eine eigene Postkarte, die sie verwenden konnten.

Schweizweiter Versand durch Soldaten

Die grösste Verwendung von Postkarten hatten zwar Geschäfte oder industrielle Betriebe, doch bald sollte die Postkarte noch eine weitere Verwendung erfahren. «Früher gab es in Boswil viel Militär. Die Soldaten belegten für ein paar Wochen im Jahr die Unterkunft in der alten Turnhalle», weiss Stöckli. So wurden bis in die 1970er-/1980er-Jahre viele Karten aus dem Dorf in die ganze Schweiz an Familien oder Freunde verschickt.

Nach Othmar Stöckli sei es immer wieder erstaunlich, wie viele verschiedene Postkarten es aus Boswil gegeben hat: «Und das, obwohl es im Dorf keine grosse Industrie gab und der Ort auch sonst eher unbekannt gewesen war.»

Bilder unter die Leute bringen

Ziel des Kulturvereins ist es, mit dieser Publikation die Postkarten und die Sujets unter die Leute zu bringen und somit auch die Geschichte des Dorfes aufrechtzuerhalten. So erscheint jährlich der Jahreskalender mit alten Aufnahmen aus dem Dorf. «Die Fotos sind auch Erinnerungsstücke. Viele Leute kennen das Dorf noch so, wie es früher ausgesehen hat», so Stöckli. Bis jetzt wurde die Postkartensammlung im Ortsmuseum noch nicht aufgelegt. «Angedacht ist aber später eine Wechselausstellung», so der Präsident.

Zurzeit läuft im Dorfmuseum noch die Ausstellung zu Uhren, die im Sommer dann von der Ausstellung zu den «Helglis» abgelöst wird. Wer aber nicht auf die Wechselausstellung warten möchte, kann bereits ab Ende Juni auf der Homepage des Kulturvereins Boswil die Publikation beziehen. Auch wird sie im Ortsmuseum ausgelegt und kann bei einem Besuch bezogen werden.


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