Bis zum Anschlag gefordert

  05.03.2021 Wohlen

Briefpöstler waren wegen Corona im Stress

Die geschlossenen Läden haben in der Schweiz zu einer Paketflut geführt. Mit Folgen.

Weil die Schweizer immer weniger Briefe schreiben, verteilen die Pöstler teilweise auch Pakete mit ihren Elektro-Töffs. Der Lockdown vor einem Jahr hat sie auf dem falschen Fuss erwischt. Plötzlich transportierten sie im Anhänger Gartenplatten. Ein Zusteller berichtet, wie er die Coronazeit erlebt hat. --chh


Unterwegs bei Wind und Wetter

Die Zusteller der Post haben seit Corona viel mehr zu tun – ein Pöstler lädt ein auf seine Tour

Die Schweizer Post verzeichnet neue Rekordmengen bei den Paketen. Davon betroffen sind auch die Zusteller. Ihre Touren werden anstrengender und dauern länger. «Trotzdem mag ich meine Arbeit immer noch», sagt Teamleader Thomas Lang.

Chregi Hansen

Mittwochmorgen, kurz vor 7 Uhr. In den Räumen der Post Wohlen herrscht Hochbetrieb. Die Zusteller der zwei Teams bereiten ihre Tour vor. In den Gängen stapeln sich die Pakete. «Mittwoch ist ein ruhiger Tag», relativiert Thomas Lang, Leader des Teams 2.

Seit rund zwanzig Jahren ist der gelernte Käser bei der Post tätig. «So etwas wie in den letzten zwölf Monaten habe ich noch nie erlebt», sagt er. Das bestätigt Georg Bussmann, der nebenan am Vorsortieren seiner Tour ist. Er arbeitet seit 46 Jahren bei der Post. «Es ist wirklich anstrengend geworden», sagt er. «Einerseits die grosse Menge, andererseits das Arbeiten mit Maske.» Er sei froh, könne er Ende Jahr in Pension gehen, gibt er zu, während er seinen Anhänger weiter mit Paketen belädt.

Bis zu 1,3 Millionen Pakete pro Tag

Apropos Anhänger, die sind etwas höher geworden seit dem Ausbruch der Pandemie. Und das war dringend nötig. Mit dem ersten Lockdown und der Schliessung der Läden ist die Flut an «Päckli» explodiert. Das beweisen auch die offiziellen Zahlen. Noch nie zuvor stellte die Schweizerische Post so viele Pakete zu wie im Coronajahr 2020. Die Mitarbeitenden verarbeiteten letztes Jahr 182,7 Millionen Pakete. Das sind 23,3 Prozent mehr als im Vorjahr. «An Rekordtagen mit 1,3 Millionen Paketen wird die Luft tatsächlich dünn, es muss hier vieles passen. Diese Leistung unter erschwerten Bedingungen war nur dank dem riesigen Einsatz aller Beteiligten möglich», sagt denn auch Stefan Luginbühl, Leiter Annahme, Transport und Sortierung von Logistik-Services der Post.

Die Mitarbeiter an der Front wissen genau, was es heisst, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. «Es war ein Wahnsinn. Von einem Tag auf den anderen sind die Paketzahlen explodiert. Teilweise haben wir damals auch Gartenplatten und Blumenerde ausgeliefert», erinnert sich Lang an den ersten Lockdown vor einem Jahr. Weil damals alle Läden geschlossen waren, wurden die Zusteller besonders gefordert. «Vor allem hatten wir keine Zeit, uns darauf vorzubereiten. Jetzt können wir besser mit der Situation umgehen und hat die Post die Abläufe angepasst und neue Sortierzentren eröffnet», so Lang.

Wie ein Puzzlespiel

Während des zweiten Lockdowns war es darum nicht mehr ganz so krass. Aber die Menge der verteilten Pakete ist immer noch enorm. «Abends weiss man, was man getan hat», sagt eine Zustellerin, während sie die Pakete in ihren Anhänger hievt. Dass diese neben unterschiedlichem Gewicht alle verschiedene Formate haben, macht das Handling nicht einfacher. Das Beladen hat etwas von einem Puzzlespiel: Alles muss möglichst platzsparend in die richtige Reihenfolge gebracht werden.

Während die einen noch immer am Sortieren der Post sind, fahren die Ersten bereits los. «Wir beginnen wegen Corona jetzt gestaffelt mit der Arbeit, damit es nicht zu eng wird im Sortierraum», erklärt Lang. Heisst: Die ersten Mitarbeiter legen schon um 5.30 Uhr los. Denn die eigentliche Arbeit der Logistikmitarbeiter der Post, so die heute korrekte Bezeichnung für den «Briefträger», beginnt schon lange, bevor sie auf dem Töff sitzen. Während der Grossteil der Briefe bereits vorsortiert angeliefert wird, müssen Pakete, Werbemittel und etliche andere Post noch immer von Hand in die richtige Abfolge gebracht werden. Dabei muss auch beachtet werden, wo allenfalls jemand umgezogen ist oder wer keine Reklame wünscht.

Das intelligente System hat noch gewisse Schwächen

Es sind aber vor allem die Pakete, die für Mehrarbeit sorgen. Dass die Zusteller vor Ort diese ausliefern, hat mit der Entwicklung der letzten Jahre zu tun. Weil die Briefpost stetig abnimmt, haben die Mitarbeiter von PostMail begonnen, auch kleinere Pakete zu verteilen, damit die Auslastung stimmt. Für die Aufteilung wurde das Projekt ISOZ lanciert: Intelligente Sortierung für eine optimale Zustellung von PostLogistics und PostMail. Wohlen gehört dabei zu den Pilotregionen. Dafür wurden die Haushalte und Strassen nach bestimmten Kriterien bewertet. Auf dieser Basis wurde dann entschieden, wer die Pakete zustellt: der Pöstler auf dem Elektro-Töff oder der Fahrer im Lieferwagen.

Bei der Einführung konnte allerdings niemand ahnen, dass dereinst alle Läden schliessen müssen. Und die Post mit Paketlieferungen überflutet wird. «Es wird in Zukunft sicher noch Anpassungen und Verbesserungen geben», ist Lang denn auch überzeugt. Inzwischen ist auch sein Elektro-Töff geladen, der Zusteller zieht sich warm an und macht sich auf den Weg. Und weiss genau – schon bald kehrt er zurück. «Die Menge hat so stark zugenommen, dass wir an manchen Tagen zweimal zum Nachladen zurückmüssen», sagt er. Und bis wann muss er fertig sein? Laut Post soll die Zustellung bis zum frühen Nachmittag erfolgt sein. «Es gibt Kunden, die sich beschweren, wenn es mal etwas später wird», weiss Lang. «Aber das ist die Ausnahme. Diejenigen, die uns für unsere Arbeit in dieser Zeit loben und danken, sind zum Glück in der Mehrheit.»

Überstunden an der Tagesordnung

Inzwischen hat die Post die Bereiche PostMail (Briefpost) und PostLogistics (Paketpost) organisatorisch zusammengelegt, sie bilden den neuen Bereich Logistik-Services. Der Stress für die Zusteller ist heute immer noch grösser als früher. Einerseits der Druck, alles rechtzeitig und korrekt abzuliefern. Andererseits nimmt der Verkehr auf der Strasse ständig zu, und nur wenige nehmen Rücksicht auf den Pöstler. Dazu kommt eben die deutlich gestiegene Menge – Überstunden waren in den vergangenen Monaten an der Tagesordnung. «Teilweise kamen wir schon an den Anschlag», gibt der Teamleader zu. Gleichzeitig sei das Pflichtgefühl bei den Mitarbeitenden hoch. Eine Beobachtung, die man auch bei der Postspitze macht. «Eine moderne Infrastruktur ist wichtig. Der Schlüssel zum Erfolg und der wichtigste Faktor sind aber unsere Mitarbeitenden. Ihre Leistung während dieser Zeit war beeindruckend und auch ihr Stolz auf die täglich verarbeiteten und zugestellten Mengen», sagt Luginbühl.

Inzwischen hat man auf Postseite reagiert. Stundenlang auf Zustelltour sein, das ist nicht mehr erlaubt. Wer schon frühmorgens losfährt, muss zwischendurch eine Pause einlegen. «Das hilft, um etwas runterzukommen», erklärt Lang. Zudem wurde der Personalbestand erhöht – auch das hat zur Entspannung geführt. Die Überstunden werden jetzt nach und nach abgebaut. Und für die Angestellten gab es wegen der pandemiebedingten Arbeitslast bereits zweimal einen Bonus. Selber sei das Team von Corona praktisch verschont geblieben. «Natürlich ist man heute vorsichtiger, geht eher etwas auf Distanz», sagt Lang, während er vor der Alterssiedlung Casa Güpf parkiert. Auch hier herrschen seit Beginn der Pandemie besondere Vorgaben. Der Raum im Eingangsbereich ist gesperrt, während der Zusteller die Brief kästen füllt. Aus Sicherheitsgründen, damit es zu keinen Ansteckungen kommt.

Manchmal bleibt nur das Kopfschütteln

Ein weiteres Problem bei der ganzen Paketflut ist die Tatsache, dass die Empfänger nicht immer zu Hause sind. «Wir sind froh, wenn ein Deponiestandort vereinbart ist. Das vereinfacht die Arbeit. Aber das ist natürlich nicht überall möglich», sagt der Teamleiter dazu. Ansonsten heisst es, Ware wieder mitnehmen. Das gilt vor allem, wenn es regnet – ein Paket dann einfach vor die Haustür legen, das ist ein No-Go. Überhaupt, der Regen macht die Arbeit nur schwieriger. Oder der grosse Schneefall vor wenigen Wochen. Damals hat Lang seine Leute wieder zurückbeordert – ein Durchkommen war an diesem Morgen unmöglich. «Nicht alle hatten Verständnis. Aber es blieb uns keine Wahl», sagt er. Ansonsten stört ihn das Wetter nicht. «Wer Probleme mit Regen hat, der ist bei uns am falschen Ort», lacht er.

Er mag seinen Job trotz Päckli-Flut immer noch. Trotzdem geben ihm und seinen Kollegen die vielen Bestellungen auch zu denken. «Natürlich, das ist unser Job. Und wir profitieren davon. Aber wenn man an einem Tag ein Zalando-Paket zustellt und es am nächsten Tag gleich wieder abholt, dann fragt man sich schon: Macht das Sinn?» Abgenommen hätten zum Glück die vielen Billigsendungen aus China. «Die waren immer ganz komisch verpackt und sind ökologisch sehr fragwürdig», sagt Lang. Er selber ist froh, dass die Läden jetzt wieder offen sind. «Wir spüren bereits eine gewisse Entlastung», sagt er. Setzt sich auf seinen Töff. Und beendet seine Route.


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