BRIEF AUS FLORIDA

  12.10.2021 Kelleramt

Joe Huber, Fort Myers.

Hamstereffekt

Ich bin zurzeit ernsthaft am Überlegen, ob ich nach acht Jahren Pension nicht wieder ins Berufsoder Geschäftsleben zurückkehren soll. Diesmal aber nicht in meinen angestammten Beruf als Banker, sondern als Toilettenpapierfabrikant. Denn einmal mehr sind hierzulande die Regale leergefegt, auf denen sonst diese Papierrollen aufgetürmt sind. Und ich habe zu den bereits geschätzten 70 mindestens nochmals 10 Leute mehr gefragt, ob sie mir den Grund für diese Hamsterei erklären können.

Bis jetzt hat das keine der gefragten Personen geschafft. Irgendwann und irgendwo muss mal einer mit einem dieser mit diesem Artikel überladenen Einkaufswagen aus einem Laden gelaufen sein. Und sofort machten es ihm andere nach, nicht wissend, warum der Erste das gemacht hat.

Es hat sicher mit der Angst zu tun, dass wir vielleicht vor einer riesigen Krise stehen, und wenn man so sieht, was da abgeht auf dieser Welt, ist diese Angst schon zu verstehen. Wenn den Engländern in ihren geliebten Pubs das Bier auszugehen beginnt und mein Autohändler sagt, dass er im Frühling, wenn mein Autoleasing abläuft, nicht garantieren kann, dass er dann wirklich auch wieder einen neuen Wagen zur Verfügung hat, und es weltweit Millionen von offenen Stellen gibt, die von den ebenfalls Millionen von Arbeitslosen nicht besetzt werden, muss man sich schon fragen, ob da noch alles mit rechten Dingen zu und her geht. Aber was hat das mit Toilettenpapier zu tun? Ich persönlich würde mich eher mit Nahrungsmitteln und Getränken eindecken. Denn wenn es dann von diesen mal nicht mehr genug gibt, dann ist Schlimmes zu befürchten.

Und wie sich unsere Politiker in Washington aufführen, gibt einem auch nicht gerade Mut für die Zukunft. Einmal mehr spielen sie mit dem finanziellen Feuer und warten bis zur letzten Minute mit der Anpassung des Schuldenplateaus. Beide Parteien schieben einander die Schuld zu, dabei sind sie alle genau gleich schuld an dieser Misere. Die USA – und viele andere Länder auch – sind de facto schon lange pleite.

Wenn man jahrzehntelang immer mehr ausgibt, als man einnimmt, sollte das eigentlich auch nicht überraschen. Man kann ja einfach Geld drucken und es verteilen. Das wurde auch so gemacht. Deshalb haben wir eine Inflation, die ich in diesem Ausmass hier nicht gesehen habe seit meiner Ankunft vor 35 Jahren. Nach jahrelangem Abstreiten durch die Regierung und die Zentralbank hat man diesen Fakt jetzt zwar akzeptiert, spielt ihn aber als «temporär» herunter. Die echten wirtschaftlichen Auswirkungen der Lockdowns werden also erst noch auf uns zukommen. Und dagegen helfen Stapel von Toilettenpapier zu Hause überhaupt nichts.

Viel früher, als ich erwartet hatte, mischt Trump bereits tüchtig mit im Hinblick auf die Wahlen 2024 und ich wäre nicht überrascht, wenn er wieder kandidieren würde. Dass er allerdings auch nominiert wird, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Aber auf dieser Erdkugel ist heutzutage alles möglich.

Der in Jonen aufgewachsene Joe Huber wohnt seit 1986 in den USA. Lange Zeit in New York, nun in Fort Myers, Florida. Regelmässig berichtet er von seinem Leben und hält seine Gedanken als Auslandschweizer fest.


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