In der Provinz der Freude

  29.12.2020 Sport

Rückblick: Die Freiämter 2.-Liga-Teams begeistern in der Coronasaison

Mutschellen zieht vorne weg, Niederwil mischt vorne mit, Sarmenstorf wird zur Sympathietruppe und Wohlen II bringt Bundesliga-Flair. Die Freiämter Teams prägten die 2. Liga. Ein Stück Normalität in einem schwierigen Sportjahr.

Stefan Sprenger

Mit einem Bier bewaffnet setzt sich Richard Schultz an den Tisch. Der Coiffeur, der mit 68 Jahren noch am Basler Barfüsserplatz den Menschen die Haare schneidet, traut seinen Augen nicht. Auf der Riedmatt in Niederwil tritt sein Sohn Alain Schultz mit dem FC Sarmenstorf an. Alain Schultz, der «Freiämter Bomber», der über 15 Jahre lang Profi war und beim FC Wohlen zur Ikone wurde, kickt jetzt auf diesem «Acker» – wie es Richard Schultz nennt. «Das ist ja ein totales Provinznest», meint er. Mit seinen überspitzten und scherzhaften Bemerkungen sorgt er für Lacher.

Papa Schultz: «Mein Junior macht einen Topf»

250 Zuschauer sind auf der Riedmatt anwesend. Papa Schultz schaut gegen die Sonne. Mit der Handfläche auf der Stirn versucht er, etwas zu erkennen. «Mein Junior macht einen Topf», meint er. Wieso? «Er macht immer einen Topf.» Er sollte recht behalten. Schultz schiesst das 3:1. Am Ende gewinnt Sarmenstorf mit 4:1. Eine faustdicke Überraschung. Unter den Augen von «Blick»-Sportchef Felix Bingesser, der den FC Sarmenstorf als «Sympathietruppe» betitelt und zum Fan wurde, wird der Tabellenführer Niederwil von den kampfstarken Sarmenstorfern niedergewalzt. Kein Spiel für Geniesser, aber ein emotionales Derby mit harter Gangart und tollem Fight.

Überflieger Mutschellen

Diese Partie steht sinnbildlich für die tolle 2.-Liga-Vorrunde der Freiämter. Sportlich überzeugt der FC Mutschellen. Das Team von Trainer Sergio Colacino verliert nur einmal (gegen Suhr) und holt in zwölf Spielen 27 Punkte. Leader. Mutschellen überzeugt mit tollem Teamgeist, mit qualitativ starken Kickern und einem hervorragenden Trainer. Auch wenn man es auf der Burkertsmatt dementiert: Mutschellen hat den Aufstieg gewittert und schnuppert an der 2. Liga interregional.

Wohlen II: Junge Wilde mit Bundesliga-Flair

Wie gewohnt konstant unkonstant zeigt sich der FC Wohlen II. Unter der Führung von Trainer David Pallas, einst Bundesligaspieler beim VfL Bochum, holt die Mannschaft fünf Siege und verliert ebenso viele Male. Dazu gibts zwei Unentschieden. 17 Punkte und der 8. Rang ist zu wenig für ganz oben und zu viel für ganz unten. Die junge Truppe zeigt aber in einigen Spielen ihr grosses Potenzial und hat den Ruf der «Wundertüte» bestätigt.

Niederwil und Sarmenstorf im Sympathie-Duell

Beim Derby auf der Riedmatt Mitte April duellieren sich zwei richtige Dorfvereine mit grossem Sympathiewert. Der FC Niederwil mischt dabei vorne mit. Mit dem «Sozial-Trainerduo» Gino Saporito und Reto Salm gibt es sieben Siege und nur drei Pleiten. 22 Punkte bedeuten den 3. Rang. An den Heimspielen herrscht jeweils Dorffest-Stimmung. Ein Spiel auf der Riedmatt ist jeweils ein Bier- und Wurst-«Happening» im 2800-Seelen-Dorf. Eine tolle Sache. Die Mannschaft zahlt es den Zuschauern mit starken Leistungen. Der FC Niederwil ist nicht mehr nur eine Kampf-Truppe, die dem Gegner auf den Füssen herumtritt, sondern weiss auch mit feiner Technik und tollen Toren zu überzeugen.

In Sachen Sympathien haben die er heftige Konkurrenz im Freiamt. Der FC Sarmenstorf ist ein Paradebeispiel für Teamgeist, für den gesellschaftlichen Wert eines Fussballteams – und einfach eine coole Truppe mit Typen, die auch neben dem Spielfeld steilgehen. Da ist es auch Nebensache, dass die Mannschaft von Trainer Michael Winsauer hinten herumdümpelt. Fünf Siege, sieben Pleiten bedeuten den 10. Tabellenrang und nur fünf Zähler Vorsprung auf einen Abstiegsplatz.

Der 4:1-Sieg im September gegen Niederwil wird trotzdem wie ein Aufstieg gefeiert. Es ist der erste Sieg im fünften Spiel. Sarmenstorf bleibt nach diesem Spiel das Schlusslicht. Vorerst. Vor der Winterpause ackern sie sich nach vorne auf den 10. Rang.

Bleibt zu hoffen, dass es im neuen Jahr wieder Freiämter Fussballfeste zu feiern gibt. Die Vorzeichen stehen dafür gut – sofern es das Coronavirus zulässt.

Für Richard Schultz bleibt nach dem Freiämter Derby in Niederwil die Erkenntnis, dass auch trotz Riedmatt-«Acker» ein Fussballspiel viel Freude machen kann: «Es ist nach wie vor ein Provinznest hier. Aber das Spiel war schon interessant.»


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