Du

  29.09.2020 Kolumne

Daniel Marti, Chefredaktor.

Geradeaus, einfach du. So begegnet man sich locker und freundlich. Früher streckte man noch die Hand hin zum Grüezisagen. In diesen Zeiten ist man vorsichtiger, lieber mal fragen. Sonst geht auch Faust auf Faust oder Ellbogen auf Ellbogen als Zeichen der Begrüssung. Distanz hält Einzug – auch bei herzlichen Begegnungen. Und das Sie ist immer noch angebracht. Höflichkeitsform.

Nun kommt jedoch ausgerechnet eine noble Schweizer Bank daher, welche die Kundschaft künftig mit Du ansprechen möchte. Bank und Geld. Da, wo man sonst verschwiegen ist. Und distanziert freundlich. Ausgerechnet hier soll eine solche Charmeoffensive funktionieren.

Da könnten sich ganz wunderbare Situationen ergeben. Banker zum Milliardär: «Du hast aber ganz viel Kohle, danke dir für die schönen Minuszinsen.» Macht wohl nicht so Spass.

Oder Bankherr zum Mittelstandsvertreter bei der nächsten Immobilienblase: «Du, deine Hypothek reicht nirgends mehr hin. Du musst dann ein paar
Hunderttausend nachzahlen, aber dalli.» Oder eben bei zu knapper Eigenleistung: «Du, mit deinen mickrigen 100 000 Fränkli, da können wir nicht mal ein Häuschen finanzieren.» Und: «Du, echt blöd, der Aktienkurs stürzt ab, macht ja nichts, sind deine Papiere.»

Solche Beispiele, die auf lebende Personen zielen könnten, sind natürlich rein zufällig. Das Du in der Welt, in der man nur den Steuerbehörden seinen Lohn nennt oder nennen muss, wird sich wohl kaum durchsetzen. Bei Geld wählt man lieber das Sie. Oder schweigt. Kommt hinzu, dass man in diesem Land nicht mal darüber sprechen möchte, wer wie viel finanzielle Unterstützung welchen politischen Parteien zukommen lässt. Parteienunterstützung genannt. «Hey Du, Parteichef», sagt sonst künftig der kleine Banker zum Polit-Oberen, «du erhältst von meiner Bank ein bisschen gar viel Zaschter.» Sorry, entgegnet der Politiker, «ich bin sehr für Transparenz und verstehe den Volkswillen betreffend Transparenz. Aber was Parteien an Geldspenden kriegen, geht niemanden etwas an.» Und so wird die Transparenz-Initiative eben begraben. Hauptsache, Verschwiegenheit. Beim Geld nimmt der Schweizer eine angenehme Distanz ein. Zumindest dies teilt man gerne allen mit. Höflicherweise per Sie.


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