In einem offenen Haus

  14.08.2020 Wohlen

Peter Truttman leitet neu die Integra in Wohlen

Seit Juni ist der 55-jährige Peter Truttmann Geschäftsführer der Integra. Er wohnt in Ennetbürgen. Zuvor war der Innerschweizer in der Brändi-Stiftung in Luzern und später in der Stiftung Rütimattli in Sachseln. Der Ausdruck «Chef» passt Peter Truttmann gar nicht. «Es braucht halt jemand, der vorne steht», gibt er sich bescheiden. Er sieht in der Integra ein grosses Potenzial. «Es ist ein offenes Haus, das nichts zu verstecken hat.» Wichtig ist ihm, dass die Arbeiten nicht einem Selbstzweck dienen, sondern richtige Arbeitsplätze geschaffen werden, die am Markt mithalten. Bestes Beispiel sei dafür das Restaurant. --rwi


Die Menschen im Zentrum

Peter Truttmann ist seit Juni der neue Geschäftsführer der Integra

Er hat sich ein Leben lang weitergebildet: Peter Truttmann war Käser, Berufsschullehrer, Betriebsleiter einer Molkerei, lebte zwischendurch in den USA, studierte Wirtschafts- und Sozialpolitik, war Gemeindepräsident. Jetzt ist er Geschäftsführer der Integra. «Ein guter Ort zum Wirken», sagt er.

Chregi Hansen

Peter Truttmann lebt mit seiner Familie in Ennetbürgen. Sein Arbeitsplatz befindet sich aber seit Juni in . «Als gelernter Käser bin ich mir das Frühaufstehen gewohnt», relativiert er im breiten Nidwalder Dialekt. Und grüsst zwei Integra-Bewohner, die sich auf dem Weg zur Arbeit machen und ihm vor seinem Fenster winken. «Das Büro hier ist ideal, man sieht alle kommen und gehen, kommt sofort in Kontakt», fügt er an.

Mit offenen Armen empfangen

Man spürt: Peter Truttmann, der neue Geschäftsführer, ist angekommen in der Integra. Er geht auf die Mitarbeitenden und die Betreuten offen zu. Hat keinerlei Berührungsängste. «Als ich jung war, lebte in unserem Quartier ein Kind mit Down-Syndrom, das war für mich etwas völlig Normales», sagt er. Und diesen normalen Umgang will er vorleben. «In Sachen Inklusion sehe ich durchaus noch Steigerungspotenzial», fügt er an. Auch in der Integra.

Dabei kannte er die Institution bis vor Kurzem nur dem Namen nach. Er war zuvor 8 Jahre lang in der Stiftung Brändi in Luzern tätig, wo er für die Bereiche Arbeit, berufliche Integration und den Verkauf verantwortlich zeichnete. Ab 2016 war er Geschäftsleiter der Stiftung Rütimattli in Sachseln. Jetzt also die Integra. «Als ich das Inserat gesehen habe, dachte ich mir: Das wäre genau der richtig Job für dich», schaut er zurück. Und bei der ersten Begegnung mit Siftungsratspräsident Walter Küng habe es sofort Klick gemacht. «Ich habe gespürt, hier menschelt es. Das passt mir», sagt der 55-Jährige.

Und der erste Eindruck hat ihn nicht getäuscht. «Ich bin mit offenen Armen empfangen worden», so seine Erfahrung. Nach einer längeren Zeit ohne Geschäftsführer sehnte man sich nach einem Chef. Obwohl, der Ausdruck Chef, er passt ihm gar nicht. «Ja, es braucht einen, der vorne steht. Insofern bin ich jetzt eben das neue Gesicht der Integra. Aber alleine kann ich nichts bewirken. Es braucht immer ein Team», betont Truttmann. Darum ist für ihn klar – für das Bild nachher stellt er nicht alleine hin, er will andere Menschen um sich. Überhaupt ist er lieber im Gebäude unterwegs, als in seinem Büro zu sitzen. Und er lobt die beiden Kollegen in der Geschäftsleitung, Paul Kamber und Stephan Baumann. «Sie haben enorme Arbeit geleistet in der Zeit, in der die Geschäftsleitung reduziert war.»

Viel Unbekanntes ausprobiert

Truttmann stellt sich gerne neuen Herausforderungen. Obwohl er nicht aus einer Bauernfamilie stammt, hat er Käser und Molkerist gelernt. Obwohl er nicht reitet, hat er die Rekrutenschule als Trainsoldat gemacht. «Ich mache immer gerne das, was ich noch nicht kenne», lacht er. Und er bleibt nicht stehen. Schon früh hat er sich für Pädagogik interessiert, hat in der Molkereischule Lehrlinge und angehende Meister unterrichtet, sich stetig weitergebildet. Er verbrachte ein Jahr in einer Käserei den USA, hat sozusagen als Hilfsarbeiter im Keller angefangen und sich zum Vizechef hochgedient. «Leider reichte das Visum nur für ein Jahr», bedauert er. Immerhin: Seit seinem USA-Aufenthalt ist er ein glühender Fan der Green Bay Packers, eines Football-Teams. «Wenn die Saison läuft, sitzt die ganze Familie am Sonntag zu Hause in den Fantrikots vor dem Fernseher», sagt der Vater zweier schulpflichtiger Jungs.

Zurück aus den USA ins Freiamt, wo sich Truttmann bereits sehr wohl fühlt. Im Vergleich zur Innerschweiz sind die Institutionen für Menschen mit Beeinträchtigungen im Aargau eher klein. Das gefällt ihm. «Es muss nicht immer jeder alles machen, man kann sich spezialisieren.» Ihm gefallen die schlanken Strukturen der Stiftung, die vielen Möglichkeiten und die verschiedenen Standbeine. Und er ist stolz auf die Mitarbeitenden. «Diese Arbeit kann man nur bedingt lernen. Es braucht vor allem Herzblut und Leidenschaft. Denn wir befinden uns immer in einem Spagat zwischen den finanziellen Rahmenbedingungen und den Bedürfnissen der uns anvertrauten Menschen.» Und diese verändern sich. Denn im Gegensatz zu früher werden Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen heute viel älter. Doch wo sollen sie leben, wenn sie nicht mehr arbeiten können? «Das ist eine der grossen Herausforderungen der Zukunft. Da sind alle Institutionen gefordert», weiss Truttmann. Und da brauche es ein Miteinander.

Was dem neuen Geschäftsführer auch gefällt: Die Integra ist ein offenes Haus, hat nichts zu verstecken. Dazu trägt auch das Restaurant Hans & Heidi bei. Hier ortet Truttmann ebenfalls noch Potenzial. Hier kann der Gast nicht nur fein essen, sondern auch noch etwas Gutes tun. Wichtig sei dabei aber, dass das Restaurant nicht zum Selbstzweck wird. «Es geht in erster Linie darum, Arbeitsplätze für unsere Menschen mit Beeinträchtigung zu schaffen. Doch das schliesst nicht aus, dass die Gäste ihren Aufenthalt nicht geniessen können.» Gleichzeitig stehe man in Konkurrenz zu anderen, muss sich im Markt behaupten. Und das ohne speziellen Bonus. «Wir arbeiten mit Marktpreisen, wie in allen Bereichen, in denen die Integra tätig ist», so der Geschäftsführer.

80 Personen für Wiedereinstieg fördern

Die Coronazeit in der Integra hat der neue Chef nicht mehr voll miterlebt. Was er aber erfahren hat, beeindruckt ihn. Die Personalangehörigen hätten alle ihr Bestes gegeben, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. «Wir können ja nicht einfach auf Kurzumstellen und die Leute heimschicken. Wir haben schliesslich einen Betreuungsauftrag.» Er ist sich bewusst, dass sich diese Wochen und Monate auf die Rechnung auswirken werden. «Es wird ein finanziell schwieriges Jahr», sagt er darum. Doch Jammern ist nicht sein Ding. «Solche Krisen sind immer auch eine Chance. Und wir haben verschiedene Bereiche, in denen es spürbar vorwärts geht», freut er sich. So konnte die Integra direkt neben dem Hauptsitz eine Lagerhalle mieten und dort Ausbildungsplätze im Bereich Logistik schaffen. Zudem gewinnt der Bereich der beruflichen Integration immer mehr an Bedeutung. Das Programm wird zusammen mit der Invalidenversicherung stetig weiter entwickelt. Inzwischen werden hier gegen 80 Personen gefördert mit dem Ziel, den Wiedereinstieg in die Berufswelt zu schaffen.

Auch auf ihn wartet viel Arbeit. Truttmann hat den Auftrag, das neue Leitbild der Integra mit Leben zu füllen, eine entsprechende Strategie zu erarbeiten. Die Aufgabe reizt ihn. «Als Auswärtiger habe ich vielleicht einen anderen, unverkrampften Blick auf das Bestehende», glaubt er. Umgekehrt ist er sich bewusst, dass eine gute Vernetzung für die Integra wichtig ist. Darum ist er auch daran, ausserhalb der Institution Kontakte zu knüpfen. Und spürt: Die Integra ist gut verankert in der Region. Und das freut ihn. «Denn wir sind ein Teil der Gesellschaft und stehen nicht ausserhalb.»


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