GASTKOLUMNE

  17.07.2020 Kolumne

Caroline Doka, freischaffende Journalistin, in Wohlen aufgewachsen, lebt heute in Basel.

Kopf kino

Das kennen Sie bestimmt: Sie sehen etwas, und dann folgen gedankliche Assoziationen. Ganz schnell. Ein Kopfkino voller Erinnerungen und Gefühle.

Wie heute morgen. Ich fahre mit dem Rennrad an einem Stoppelfeld vorbei, der Mähdrescher schneidet gerade letzte Bahnen. Sofort beginnt das Kopfkino. «Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder…» – wie ich mich jeweils ärgerte, wenn mein Vater dieses Lied provokativ schon im Frühling sang. Ich wollte endlosen Sommer!

Einen Sommer wie damals bei meinem ersten Kuss in einem goldgelben Kornfeld. Nur die Sonne war Zeuge. Der Kuss war mir unangenehm – der Küsser möge verzeihen –, und obschon ich mich der Lage schnell entwand, hatte ich danach eine zerdrückte Schnecke im Haar.

Mit mehr Begeisterung als an jenen ersten Kuss denke ich an meinen ersten Triathlon. Es war in den Anfängen dieser Sportart und der Beginn meiner Leidenschaft für Ausdauersport. Die Wechselzone befand sich auf einem Stoppelfeld, man legte seine Sachen einfach irgendwo hin. Ich band einen Luftballon an mein Rennvelo, um es beim Wechsel vom Schwimmen zum Radfahren schnell zu finden. In jenem Sommer lief der Hit «Ein Bett im Kornfeld». Aber diese Erfahrung hatte ich ja schon hinter mir. Besser als ein Bett im Kornfeld gefällt mir der französische Ausdruck «coquelicot dans la récolte»: Mohn im Kornfeld. Diese Worte haben etwas Zauberhaftes und erinnern mich an mein aufregendes Schüleraustauschjahr in Frankreich.

Das Stoppelfeld lässt mich auch an Wohlen denken. An das 1.-August-Feuer am Waldrand auf dem gemähten Feld der Bauernfamilie Bigler. Die Jugend hatte das Holz gesammelt und aufgeschichtet, am Abend kam die Nachbarschaft zusammen. Im Schein des Feuers entstand ein zartes Gemeinschaftsgefühl mit ferneren Bekannten und eine vertraute Nähe zu solchen, die längst Freunde geworden waren. Später gab es Tanz für die Jungen in Biglers Scheune. Einmal hatte ich wenige Tage darauf jene Schnecke im Haar.

Inzwischen liegt das Stoppelfeld hinter mir, das Dröhnen des Mähdreschers verhallt. Die Erinnerung an alte, noch immer bestehende Freundschaften in Wohlen ist dafür sehr präsent.

Wohin reisen Ihre Gedanken beim Anblick eines Stoppelfeldes?


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