GASTKOLUMNE

  31.07.2020 Kolumne

Carmen Bärtschi, wohnt in Zürich, vormals Wohlen und Bremgarten.

Mikrokosmos Campingplatz

Wie so viele andere haben wir unsere Sommerferien umgekrempelt und die Reise nach Spanien abgesagt, denn wer will schon mit einer Maske am Strand sitzen. Stattdessen Ferien in der Schweiz. Wir landen für ein paar Tage auf dem Campingplatz Sihlwald, wo Freunde von uns seit dem Lockdown wohnen und seit dann mit anderen Familien ein kleines Dorf aufgebaut haben. Drei alte Wohnwagen stehen im Hufeisen. In der Mitte ein grosser Esstisch, Planchas zum Kochen, eine Sofa-Lounge zum Chillen und Diskutieren. Ausserdem ein bis zum Rand mit Glaces gefüllter Gefrierer, ein Planschbecken für die Kinder und die Sihl, um sich abzukühlen. Kurz gesagt: ein kleines Campingbeziehungsweise Glampingparadies.

Kaum sind wir angekommen, wird unsere Tochter von der Kinderbande entführt. Wir als Camping-Neulinge staunen und fühlen uns sogleich wohl hier. Die drei Familien kennen sich schon seit Jahren und zelebrieren das Camping-Dasein. Nicht im Stil von Klapptischen und -stühlen aus Plastik, sondern im Sinne eines Woodstock-Open-Airs. Im Gespräch höre ich allerlei Einzelschicksale.

Ich treffe einen Gastronomiechef eines 5-Sterne-Hotels, der wegen der Coronakrise keinen Job mehr hat und nun stempeln gehen muss. In Stand-up-Comedian-Manier erzählt er seine tragischkomische Lebensgeschichte. Ich weine vor Lachen. Rolf, ein Architekt, der ein Burn-Out hatte, lebt nun hier. Er hat sein Pensum reduziert, seine Wohnung untervermietet und pendelt für seine Arbeit nach Zürich. Die Gemeinschaft helfe ihm, einen Ausgleich zu finden. Renschi, ein Wiener Zigeuner, bringt uns Äpfel vorbei und bleibt, um uns Kartentricks zu zeigen. Er geniesst hier seinen Freiraum ausserhalb seines Familienclans. Dani ist hier, um sich klar zu werden, wie es mit seiner Ehe weitergehen soll. Der Lockdown habe ihm dies vor Augen geführt. Aufgewachsen in einer Kommune im Tessin, spürte er die Isolation des Kleinfamilienmodells im Lockdown umso mehr.

Dank der Coronakrise haben sie sich überhaupt kennengelernt. Existenzielle Fragen über das Leben schweissen sie zusammen. Was brauchen wir wirklich? Was ist wichtig im Leben? Eine typische Frage jeder Krise, die neben der Gefahr auch eine Chance in sich birgt. Also nutzen wir die Chance!


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