Gereimte Ungereimtheiten

  22.09.2020 Muri

Die «Spoken-Word-Virtuosin» Patti Basler sorgte radikal für Klarheit

Humorvoll und gnadenlos direkt, poetisch und mit der nötigen Strenge verpasste die «Lehrerin der Nation» dem Publikum des Kleintheaters Cabarena eine Doppellektion im «Nachsitzen», so der Name des Programms. Die Zuschauer kamen bei dieser intensiven Kopfwäsche nicht nur wegen der Gesichtsmasken ins Schwitzen.

Auch dieses Jahr setzte das Cabarena den Schlusspunkt der vielseitigen Murikulturtage. Bei spätsommerlichen Temperaturen durften die Abonnenten den offerierten Apéro zum Saisonstart im Freien geniessen, wenn auch coronabedingt ohne Knabbereien. «Leider konnten wir aufgrund der vorgeschriebenen Abstände bei der Bestuhlung die Vorstellung nicht für zusätzliche Gäste öffnen», bedauerten die Ressortverantwortlichen Ruth und Balz Käppeli. Die Kapazität reiche diesmal nur für die Gäste mit Saison-Abo. «Wir sind sehr froh, dass Sie alle trotz der erschwerten Bedingungen gekommen sind», so das Paar bei der Begrüssung in der neu renovierten Aula des Schulhauses Bachmatten. Nun sei es in den nächsten 90 Minuten umso wichtiger, freudvoll lachen zu dürfen.

Das Gewissen kennt den guten Ton

«Lachen? Das sind schon mal die ersten Fake-News», konterte Patti Basler beim Betreten der Bühne, «Sie werden heute nachsitzen!» Für alle Fälle habe sie ihr Gewissen mitgebracht, von dem sie ständig kontrolliert werde, deutlich sicht- und hörbar in der Person von Philippe Kuhn am Klavier. Der versierte Pianist kommentierte auf seine Art Baslers Worte mit einem klangvollen Griff in die Tasten: «Der ironische Unterton erklingt, damit ihr merkt, dass es ein Witz war.» Die satirische Nebennote, ein schräges Cis, bedeutete: «Satire – Nicht lustig, aber wahr.» Die Themen des Abends reichten von Tinder für Adipöse über Sexismus, Genetik und Gleichberechtigung bis hin zu Shutdown, Nestlé, Umweltsünden und Gesellschaftskritik. Die berühmte «Schoggi-Eiweissschaum-Süssspeise auf Waffelboden» aus der Nachbargemeinde sei, egal wie man es benennt, in jedem Fall ein diskriminierendes Nahrungsmittel. Der Name «Schokokuss» wäre sicher keine Alternative: «Das tönt nach Aldi und Edeka, nach Rahmenabkommen und Neutralitätsverlust – das ist diskriminierend gegen Deutsche», stellte die Wortakrobatin klar. Würde man die Farbe umkehren, würde «Skinhead» noch passen: «Weisse Schoggi aussen und innen braune Scheisse.» Die ausgebildete Erziehungswissenschaftlerin beeindruckte nicht nur mit treffsicherer Schlagfertigkeit, sondern auch mit ihrer Gesangsstimme, die vom Poetry-Slam-Rap bis hin zum klangvollen Chanson reicht. Kritisch besang sie den Shutdown, der nichts anderes sei als verbotene Liebe: «Komm lass uns einander nicht berühren, sonst könnte eins zum anderen führen.» Am Tunnelende sei kein Schimmer, bevor es besser wird, wirds schlimmer. Egal ob gesprochen oder gesungen, ihre Botschaften kommen an. Radikal und ehrlich ist Basler die perfekte Lehrerin der Nation, die uns ins Gewissen redet. Lautes Gelächter im Publikum wechselte im nächsten Moment in atemlose Stille, als die Bühnenpoetin im Namen von Mutter Erde einen eindringlichen Brief verlas.

Das Warten auf die Wende

Mit dem ebenso raffinierten wie einfachen Bühnenbild aus Buchstabenkarten bildete Basler zum Abschluss das Wort «Gruende». Denn der Grund, warum wir alle nachsitzen müssen, bestehe vor allem darin: «Wir sind alle lernfähig und es ist möglich, Intoleranz und Ignoranz umzuerziehen.» Nicht nur die Schülerinnen und Schüler kamen begeistert aus der Nachsitzen-Lektion heraus, auch das Abendpublikum liess sich gerne auf diese einmalige Art und Weise belehren.

In den Ohren des Publikums wird ihr letzter Song sicher noch lange nachhallen: «Wir waschen uns die Hände, damit Covid nimmt ein Ende, wir warten auf die Wende.» --zg


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