Jetzt sind andere gefragt

  20.08.2021 Bünzen

Für fünf Sitze im Gemeinderat gibt es eine Kandidatur – auch Marlise Müller tritt zurück

Schon vor vier Jahren trat sie eigentlich nicht mehr an. Ein Gespräch mit dem Gemeinderat bewog sie zum Umdenken. «Nun ist aber Schluss», sagt Marlise Müller. Nur ein Bisheriger macht weiter. Neue Kandidaten meldeten sich bisher keine.

Annemarie Keusch

«Nein, ganz sicher nicht.» Marlise Müller sagt es bestimmt. «Das hat mit Glaubwürdigkeit zu tun.» Einen zweiten Rücktritt des Rücktritts wird es nicht geben. «Jetzt ist es definitiv.» Davon überzeugt war Marlise Müller schon vor vier Jahren. Sie trat schon damals nicht mehr zur Wiederwahl an, machte dann trotzdem weiter. «Es war eine andere Situation», sagt sie. Intensive Gespräche innerhalb des Gemeinderats seien es damals gewesen. Und Müller wusste, dass Gemeindeschreiber Beat Kaufmann nach 38 Jahren bald in Pension geht. Die Gemeinde in dieser Situation im Stich – also ohne Ammann – lassen, das wollte sie nicht.

Referendum ist nicht der Grund

«Mittlerweile sind wir wieder am selben Punkt», sagt Marlise Müller. Sie lacht, obwohl sie es nicht ironisch, sondern im bitteren Ernst meint. Die letzten Jahre seien intensiv gewesen. Die Wechsel auf der Verwaltung gingen nicht problemlos vonstatten. Gemeindeschreiberin und Finanzverwalterin sind sehr jung, brauchen Unterstützung. Wegen der personellen Schwierigkeiten, ob auf der Verwaltung oder in den Behörden suchte der Gemeinderat neue Lösungen. «Es ist in Bünzen schon lange schwierig, Leute für die Behörden zu rekrutieren», sagt Müller. Ein Zusammenschluss mit Boswil vertieft zu prüfen, schien dem Gemeinderat ein möglicher Lösungsansatz. Dagegen wurde aber das Referendum ergriffen. Die Abstimmung folgt Ende September.

«Das ist nicht der Grund für den Rücktritt», sagt Marlise Müller. Ihr Entscheid stand vorher fest. Enttäuscht ist sie nun darüber, dass für die fünf Sitze im Gemeinderat nur eine einzige Kandidatur einging. «Das kann doch nicht sein», sagt sie. Gerade aus dem Referendumskomitee heraus hätte sie sich eine Kandidatur gewünscht. Aktuell steht Stefan Kuhn als einziger Kandidat auf der Liste.


«Bin nicht eine, die wegrennt»

Drei Langjährige treten zurück, ein junger Gemeinderat bleibt – das ist die Ausgangslage in Bünzen

Marlise Müller nach 16 Jahren, Peter Huber nach 14 Jahren und Patrick Rüttimann nach 11 Jahren. Der Bünzer Gemeinderat verliert auf einen Schlag viel Wissen und Erfahrung. Als einziger Bisheriger stellt sich Stefan Kuhn zur Wahl. Gemeindeammann Marlise Müller weiss um die schwierige Lage. «Es tut mir leid», sagt sie.

Annemarie Keusch

Negative Gefühle seien es gar nicht. Keine Wut. Kein Frust. «Es tut mir einfach leid», sagt Marlise Müller. Es tue ihr leid für Stefan Kuhn, der als einziger bisheriger Gemeinderat weitermacht. Es tue ihr leid für die Verwaltung, die immer mehr ausgelastet ist, mit Tendenz zur Überlastung. «Ich muss jetzt auf mich schauen», sagt Marlise Müller. Und das mehrmals.

Sie erwähnt ihre 93-jährige Mutter, die ihre Aufmerksamkeit brauche. Sie erwähnt ihre Zusatzausbildung im sozialen Bereich, die sie eigentlich schon vor vier Jahren anpacken wollte und es nicht getan hat. Und sie spricht von weiteren privaten Projekten. «Ich bin 66 Jahre alt. Wenn ich diese noch realisieren will, muss ich einmal anfangen.»

Fehlende Kandidaturen schon länger ein Problem

Marlise Müller lacht während des Gesprächs viel. Sie habe es immer gerne gemacht. Und sie sei nicht amtsmüde. «Gar nicht.» Vehement verneint sie, dass die Rücktrittswelle im Bünzer Gemeinderat mit dem Referendum zusammenhänge, das gegen die vertieften Abklärungen für einen möglichen Zusammenschluss mit Boswil ergriffen wurde. «Das gehört zum politischen System und wir hatten das in Bünzen vorher auch schon einmal. So etwas macht die Politik spannend», betont sie.

Und trotzdem hallt das Thema nach. Auch bei Marlise Müller. «Wenn ein Referendum ergriffen wird und so viele Leute dies unterschreiben, dann zeigt es, dass die Bevölkerung mit dem vom Gemeinderat eingeschlagenen Weg nicht einverstanden ist.» Das sei grundsätzlich kein Problem. «Verschiedene Meinungen brauchts, um die besten Lösungen zu finden», ist Müller überzeugt. Nur erwartet sie, dass Leute, die anderer Meinung sind, sich auch aktiv einbringen. «Man kann nicht nur negieren, sondern sollte auch Hand bieten und Einfluss nehmen wollen», ndet sie.

Kritische Stimmen gibt es in Bünzen, nicht nur seitens des Referendumskomitees. Aber seit Jahren gehen keine Namen ein, wenn es um Gemeinderatsanmeldungen geht. Auch nicht, als im Mai Gemeinderat Marcel Egg aus beruflichen Gründen zurücktrat. Im ersten und zweiten Wahlgang blieb die Kandidatenliste leer. «Das war der Moment», sagt Marlise Müller. Der Auslöser für sie. «Für mich war ab da klar, dass ich über die Bücher muss.» Auch im Hinblick auf die Gesamterneuerungswahlen im Herbst. Und auch im Wissen, dass die mögliche Fusion mit Boswil im Dorf geteilte Meinungen auslöst.

Angriffe unter der Gürtellinie

Einfach sei ihr der Entscheid nicht gefallen. Marlise Müller spricht von schlaflosen Nächten. «Ich weiss, der Zeitpunkt ist nicht glücklich», sagt sie. Gerne hätte sie das Zusammenschlussprojekt mit Boswil bis zum Schluss begleitet, egal ob dieser Schluss eine Fusion oder ein Alleingang der beiden Gemeinden ist. Sie verstehe Politik so, dass gemeinsam nach Lösungen gesucht wird. «Dafür müssen sich alle Seiten engagieren», findet sie.

Seit Juni operiert der Bünzer Gemeinderat zu viert. Nicht zum ersten Mal in der zu Ende gehenden Legislatur. «Das hängt an.» Mehrmals hat Müller an der «Gmeind» darauf hingewiesen. Unterstützung aus der Bevölkerung bleibt aus. «Da kommt man sich schon etwas doof vor.» Und als sich der Gemeinderat an der letzten «Gmeind» noch persönlichen Angriffen ausgesetzt sah, war dies für Müller das Tüpfelchen auf dem i. «Wir merken schon länger, dass der Ton in Bünzen rauer geworden ist. Es gibt Angriffe unter der Gürtellinie und da mache ich nicht mehr mit», spricht sie Klartext.

Ball liegt bei andern

Wenn drei von vier Gemeinderäten auf einen Schlag zurücktreten, macht das nach aussen den Anschein interner Probleme. Marlise Müller wird bestimmt: «Gar nicht. Ganz und gar nicht. Es gibt keine Unstimmigkeiten im Gemeinderat. Wir waren und sind immer ein gutes Team. Intern funktioniert alles bestens», betont sie. Auch die Gespräche untereinander seien intensiv gewesen, als sich die Rücktritte ankündigten. Jener von Patrick Rüttimann wurde im Juni publik. Kurze Zeit später informierten Marlise Müller und Peter Huber die Ratsmitglieder. Die Bevölkerung erfuhr erst mit der Publikation der Gemeinderatskandidaten für die nächste Legislatur, dass auch Huber und Müller zurücktreten. «Ja, das ist eine schwierige Situation. Aber wir können es nicht ändern.»

Der Ball liege nun bei anderen. Etwa jenen, die sagten, dass es in Bünzen genug andere, fähige Leute gebe, die ein solches Amt ausüben möchten. «Ich bin nicht eine, die wegrennt», sagt Marlise Müller. Weder bei schwierigen Themen noch bei Auseinandersetzungen. «Beides gehört zur Politik. Beides mag ich.» Es ist deutlich zu spüren, dass es ihr nicht leichtfällt, aufzuhören. «Ich ringe mit mir, noch immer.» Aber sie wisse, dass der Entscheid richtig ist. «Jetzt sollen andere ans Ruder und Verantwortung übernehmen. Wir haben das genug lange gemacht.»


« Alle sind in der Pflicht»

Weitere Stimmen zur politischen Lage in Bünzen

Marlise Müller ist nicht die Einzige, die nicht zur Wiederwahl antritt. Als Erster hat Patrick Rüttimann seinen Rücktritt angekündigt – nach elf Jahren im Gemeinderat. «Das hat rein geschäftliche Gründe», sagt er. Die Aufgaben, die er im Beruf übernimmt, werden grösser. Der Zeitaufwand als Gemeinderat auch. «Es fiel mir nicht leicht. Aber ich bin aktuell am Punkt, wo es nicht mehr so weitergeht.» Zumal er das Ressort Bildung betreut und dort mit der Abschaffung der Schulpflege weitere Herausforderungen anstehen, die wohl noch mehr Zeit beanspruchen. Zur aktuellen Lage in Bünzen sagt Rüttimann: «Das ist enttäuschend. Ich habe überhaupt nichts gegen das Referendum. Es belebt die Gemeinde. Dass aber niemand aus dem 14-köpfigen Referendumskomitee kandidiert, enttäuscht mich. Ich bin echt gespannt, wie es jetzt weitergeht.»

Huber: Strategischer Entscheid

Auch Vizeammann Peter Huber nimmt Ende Jahr nach 14 Jahren im Gemeinderat seinen Hut – voraussichtlich. Hubers Hauptgrund, nicht mehr anzutreten, ist strategischer Natur. «Mit dem Rücktritt von Marlise Müller bin ich unter Zugzwang.» Die Ressourcen, das Amt als Ammann zu übernehmen, hat Huber nicht. Er ist selbstständig, führt ein Unternehmen, hat weitere zeitintensive Hobbys. «60- bis 70-Stunden-Wochen sind bei mir nicht selten», sagt er. Das 20- bis 30-Prozent-Pensum als Ammann zu übernehmen, dafür sieht Huber keine Möglichkeit.

Also entschied er sich schweren Herzens dazu, nicht mehr zu kandidieren. «Ich bin Vizeammann. Wird kein Gemeindeammann gewählt, hätte ich übernehmen müssen. Selbst wenn ich einfach als Gemeinderat kandidiert hätte. Denn fehlen Ammann und Vizeammann, übernimmt der Dienstälteste.» Ein Risiko, das ihm zu gross erschien, zumal er mit der Anmeldung auch eine Wahlannahme unterzeichnet hätte. «Nun kann ich selber entscheiden, was ich mache, falls ich auch ohne offizielle Kandidatur Stimmen erhalte.» Heisst, er macht allenfalls trotzdem weiter? «Ich lasse das offen. Ich hoffe, dass genug andere Kandidatinnen und Kandidaten noch gefunden werden können.»

Kuhn: «Ein spezielles Gefühl»

Der Einzige, der im Gemeinderat bleiben will, ist Stefan Kuhn. Seit rund einem Jahr gehört er dem Gremium an. «Für mich stand eine erneute Kandidatur ausser Frage», sagt der 28-Jährige. Die Arbeit mache ihm Spass, auch im Gremium sei die Zusammenarbeit bestens gewesen. Auch weil er noch kleine Zeitreserven hat, entschied sich Kuhn dafür, sich als Vizeammann zur Verfügung zu stellen. «Aber Ammann zu werden, das geht zeitlich einfach nicht.»

Als einziger Kandidat auf der Liste zu stehen, sei ein spezielles Gefühl. Trotzdem gibt sich Stefan Kuhn gelassen. «Ich warte nun, was passiert und wer sich meldet.» Dass drei langjährige Ratsmitglieder zurücktreten, das kann er sehr gut nachvollziehen. «Ich erwarte nun, dass aus der Bevölkerung klare Bekenntnisse kommen.» Es seien zig wichtige Geschäfte am Laufen. «Ich habe schlicht keine Zeit, selber auf Kandidatensuche zu gehen.» Dass er mit nur einem Jahr Erfahrung bald der dienstälteste Gemeinderat ist, darüber macht sich Stefan Kuhn noch keine Gedanken. «Irgendwie wird es immer gehen.»

Chance auf einen Neustart

Was sagt das Referendumskomitee? Die abtretenden Gemeinderäte sind enttäuscht, dass aus seinen Reihen niemand für den Gemeinderat kandidiert. Stellvertretend sagt Ramona Kuhn: «Grundsätzlich gilt, dass wir das Referendum gegen den Fusionsprüfungskredit ergriffen haben.» Dass die Gemeinderatswahl seitens der Gemeinde als Argument für die Fusion verwendet werde, könne das Komitee nicht beeinflussen. «Eine Wahl oder einzelne Gemeinderäte sowie der Gesamtgemeinderat waren nie Bestandteil des Referendumsbegehrens. Somit sehen wir nicht das Komitee, sondern weiterhin die gesamte Bevölkerung in der Pflicht.» Auch die Komiteemitglieder würden diese Überlegungen weiterführen.

Die Situation, dass vier und nicht wie vorgängig bekannt zwei Neue gesucht werden, verändere die Ausgangslage, könne aber auch eine grosse Chance auf einen Neustart des Gremiums sein. «Wir hoffen auf eine Entspannung der Situation.» --ake


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote