Menschenmilch

  06.07.2021 Kolumne

Susanne Schild, Redaktorin.

Menschenmilch

Neulich telefonierte ich mit einer guten Freundin. Sie erzählte mir, dass Hebammen in Deutschland gemäss neu eingeführter Sprachpolitik dazu angehalten würden, zukünftig statt Muttermilch «Milch von Menschen» oder «Milch vom stillenden Elternteil» zu sagen. «Wir hatten zuletzt eine Mohrenkopf-Diskussion. Muttermilch darf man, soweit ich weiss, noch sagen», antwortete ich ihr.

Wir durchforsten den Dschungel der Sprache und suchen mit der grossen Lupe nach möglichen Diskriminierungen. Die Begriffe Mutter und Vater, mit denen Kinder seit Menschengedenken ihre Eltern bezeichnen, seien auch diskriminierend, so meine Freundin weiter. Stattdessen sollten geschlechtsneutrale Begriffe verwendet werden wie «Austragendes Elternteil» für Mutter und «Nicht-gebärendes Elternteil» für Vater. Dadurch wird niemand ausgeschlossen, insbesondere auch nicht Eltern, von denen einer eine Transgender-Person ist, deren Geschlechtsidentität sich nicht genau festlegen lässt. Ich freue mich schon auf den nächsten Muttertag, wenn er dann «Tag des austragenden Elternteils» heisst.

Die Erfinder dieser absolut gendergerechten Sprache tun so, als liesse sich die Menschlichkeit einer Gesellschaft an der Verwendung solcher Begriffe messen. Eltern, die nicht der Norm entsprechen, werden unter fast schon absoluten Naturschutz gestellt. Dafür betonieren wir unsere Sprache, im Bemühen, alle Unterschiede in den Bezeichnungen auf dieser Welt auszumerzen.

Die Angst, wir könnten mit einem Wort jemanden nur ansatzweise diskriminieren und ausschliessen, ist überall. Offenbar verleitet sie uns sogar dazu, jahrtausendealte, mit so vielen Emotionen verbundene Begriffe wie Mutter und Vater, Mama oder Papa, in den Güsel zu rühren, nur um ja niemanden zu diskriminieren.

Natürlich sollen alle die gleichen Chancen haben. Eine Gesellschaft soll die Gleichberechtigung, die Gleichbehandlung auf jeden Fall anstreben. Im Alltag jedoch wird es sie in dieser Absolutheit nie geben. Benachteiligt fühlt sich ständig jemand. Ich bin froh, dass ich meine beiden Söhne vor 18 Jahren noch mit Muttermilch füttern durfte und mich nur interessierte, ob sie glücklich und gesund waren – ob nun mit Muttermilch oder Menschenmilch.


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