Muri taucht im Handball-Derby

  20.10.2020 Sport

Es ist eine grosse Überraschung – und für Muri eine bittere. Nach sieben Derbysiegen in Serie setzt es gegen Handball Wohlen eine schmerzliche 19:20-Niederlage ab. --red


Wohlen gewinnt «geiles Derby»

Handball, 1. Liga: TV Muri – Handball Wohlen 19:20 (10:13)

Es ist Balsam für die Wohler Seele. Nach sieben Derby-Pleiten in Serie bezwingt man den TV Muri. Und das als Schlusslicht in der Bachmattenhalle. Die Partie ist beste Werbung für den Handballsport. Die 200 maskentragenden Zuschauer erleben ein Freiämter Derby, das bis zur letzten Sekunde ausgeglichen ist.

Josip Lasic

Die Sirene schrillt. Ende. Schluss. Doch die Murianer kriegen nochmals einen Freiwurf. Eine allerletzte Chance, dieses Derby nicht zu verlieren. Die Wohler formieren sich in der Mauer, stehen auf die Zehenspitzen, machen sich so gross wie möglich. Die Ballermatten-Krieger signalisieren einstimmig: Diesen Sieg lassen wir uns nicht mehr nehmen. 19:20 führt Wohlen in der Höhle des Löwen, der Bachmattenhalle, der «Handball-Arena», wie sie die Murianer nennen. Spielmacher Jan Heusi tritt an. Wohlen-Goalie Dario Koch zuckt nicht einmal. Der Ball geht drüber, die Wohler feiern den Derby-Sieg.

Wenn die Tabelle irrelevant wird

Für Wohlen ist es ein Sieg, der süss schmeckt. Als Schlusslicht bezwingt man das vermeintliche Topteam Muri. Nach sieben (zum Teil deutlichen) Derby-Pleiten gewinnen mal wieder die Wohler, erstmals seit Januar 2017. Dementsprechend wird gefeiert. Aussenseiter Wohlen ist in Ekstase. Captain Manuel Frey tanzt im Freudenrausch: «Wir sind die Nummer eins im Freiamt.»

Vor dem Spiel ist Muri die klare Nummer eins und der eindeutige Favorit. Fünf Spiele, vier Siege. Der 2. Rang lässt die Klosterdörfler von der Aufstiegsrunde träumen. Doch in einem Freiämter Derby herrschen andere Gesetze. «Wer in ein Derby geht und auf die Tabelle schaut, macht einen grundlegenden Fehler», sagt Muri-Captain Carlo Femiano. «In einem Derby ist egal, wer vorher wie viele Spiele gewonnen hat. Die Emotionen sind enorm wichtig. Wohlen hatte davon mehr. Sie haben mehr Leidenschaft an den Tag gelegt und verdient gewonnen.» Muri-Goalie Tobias Wipf stimmt zu: «Die Tabelle zeigt nicht alles. Wohlen wollte den Sieg einfach mehr.»

Ein schlechtes Spiel muss sich Muri nicht vorwerfen lassen. Vielmehr wachsen die Wohler über sich hinaus und überraschen mit ihrer Leistung. Kampfgeist, Willen, Härte. Wohlen boxt sich stark in dieses Derby.

Kurios: Vierfache Unterzahl

Zu Beginn der zweiten Halbzeit übertreiben es die Gäste mit der Härte. Erst fliegt Raphael Bolliger, dann Manuel Frey und Loris Faiss. Schliesslich holt sich der verletzte Andreas Stierli auf der Bank noch eine Zeitstrafe ab, Wohlen spielt in vierfacher Unterzahl. «Das habe ich noch nie erlebt», sagt Flavio Galliker, der Murianer in den Reihen von Wohlen. «Ein seltsames Gefühl.» Wohlens Pausenführung (10:13) ist futsch. Muri ist im Aufschwung, 15:13. In diesem Moment scheint es, als nimmt dieses Spiel den erwarteten Verlauf.

Doch Wohlens Abwehr glänzt weiterhin und ist der Schlüssel zum Erfolg. «Wir haben in der Unterzahl-Phase nur drei Gegentore kassiert. Selbst zu dritt haben wir gut verteidigt», so Galliker. Der Kraft-Athlet trägt viel zur starken Abwehrleistung bei. Gemeinsam mit Marco Von Ballmoos packt er im Mittelblock an. Muris Kreisläufer Jerome Zucker kann seine Masse so kaum zur Geltung bringen. «Das Spiel war hart. Wir wollten uns nicht von Muri verprügeln lassen, ohne uns zu wehren», so Galliker. Wohlen wehrt sich – und wie. Aus dem 15:13 wird wieder eine 15:16-Führung.

In der zweiten Halbzeit gibt es Derby-Stimmung pur. Das Handballherz freut sich. Das Spiel schwappt hin und her. Immer mit ganz kleinen Vorteilen für die Wohler, die den Sieg einfach mehr wollen und am Ende auch erzwingen. «Das Kollektiv, das Miteinander, der Kampf bis zum Schluss, das waren die Gründe für den Sieg», sagt Flügelspieler Raphael Bolliger. Der sechsfache Torschütze wird zum «Best Player» ausgezeichnet.

Er erklärt auch gleich, wieso Wohlen eigentlich viel besser ist, als es die Tabelle vermuten lässt: «Das war das erste Spiel, bei dem wir halbwegs vollzählig waren», sagt er. «Im Team ist jeder wichtig. Und wenn alle dabei sind, dann hat man jetzt gesehen, wozu wir in der Lage wären.» 

Torwart Koch zieht Topskorer Femiano den Zahn

Aus dem starken Wohler Kollektiv gilt es einen besonders hervorzuheben. Dario Koch, 19 Jahre jung, Goalie. Mit einer Abwehrquote von 39 Prozent ist er besser als sein Gegenüber Tobias Wipf, der NLA-Erfahrung hat. Bolliger bezeichnet die Leistung des Wohlen-Torwarts – wohl etwas übertrieben – als «Weltklasse». Allerdings ist es faszinierend, zu sehen, mit welcher jugendlichen Leichtigkeit Dario Koch dem Murianer Topskorer Carlo Femiano den Zahn gezogen hat. Femiano, der sonst im Schnitt neun Kisten pro Spiel erzielt, macht nur vier Tore aus 13 Versuchen. Der Muri-Captain hat nur an ganz schlechten Tagen eine solche Quote.

Für Favorit Muri wird die Aufstiegsrunde nun schwierig zu erreichen. Die Klosterdörfler verlassen den Platz mit hängenden Köpfen. Goalie Tobias Wipf meint: «Defensiv war es okay. Wohlen hat in seinem letzten Spiel 33 Tore erzielt. Jetzt machen sie nur 20 Tore. Aber wenn man selber nur 19 schiesst, reicht es eben nicht.»

Muri zeigt eine solide Leistung, doch in diesem Derby kippt vieles auf die Seite der Wohler, die einfach mehr Willen und Leidenschaft zeigen. Wohlen feiert den Sieg ausgelassen und tankt Selbstvertrauen. Dazu Flavio Galliker: «Das war seit Ewigkeiten ein Spiel, wo Wohlen und Muri auf Augenhöhe waren – ein geiles Derby.»

 

 


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