Ohne Tempolimit unterwegs

  03.08.2021 Kolumne

Susanne Schild, Redaktorin.

Am vorletzten Wochenende besuchte ich nach zwei Jahren endlich einmal wieder meine Familie in Bayern. Ich freute mich darauf, auf der Autobahn ohne Tempolimit unterwegs sein zu können. Mittlerweile hatte ich fast vergessen, wie das ist. Nicht, dass mein kleiner, weisser Flitzer 230 Kilometer fährt. Nein, aber 160 Kilometer zeigt die Tachonadel schon an.

Keine zehn Minuten nach der Grenze meint mein Sohn zu mir: «Du, Mama, ich glaube, du bist gerade geblitzt worden.» «Was?», entgegnete ich. Das durfte doch jetzt wirklich nicht wahr sein. In der Schweiz, wo alle Nase lang ein Blitzer steht, bin ich noch nie geblitzt worden. «Da war doch überhaupt keine Geschwindigkeitsbegrenzung», meinte ich. «Anscheinend doch», erwiderte er. «Naja», dachte ich mir, «zu ändern ist das jetzt auch nicht mehr.»

Eine knappe halbe Stunde später meint mein Sohn, Googlemaps würde ihm anzeigen, dass wir die Autobahn verlassen sollen. So könnten wir den Stau vor uns umfahren und 17 Minuten einsparen. «Wegen 17 Minuten fahre ich jetzt nicht von der Autobahn und krieche durch die Pampas», meinte ich. «Auch gut», meinte er. Kaum waren wir an der Ausfahrt vorbei, war der Stau auch schon da. Stillstand.

15 Minuten später stiegen die ersten Leute aus ihrem Fahrzeug. «Die Deutschen sind anscheinend auf längere Staus eingestellt. Die ersten trinken jetzt schon Kaffee», stellte mein Sohn fest. «Fehlt nur mehr die Picknickdecke», meinte ich.

Langsam erwachte in mir das Bedürfnis, eine Toilette aufzusuchen. Nach weiteren 30 Minuten wurde der Drang stärker. 20 Minuten später überlegte ich mir ernsthaft, den Grünstreifen der Autobahn zu nutzen, um mir Erleichterung zu verschaffen. «Mama, mach das bitte nicht», meinte mein Sohn, als ich ihm von meinem Vorhaben erzählte. «Dann kriegst du bestimmt gleich die zweite Busse wegen unerlaubten Urinierens in der Öffentlichkeit.» Das überzeugte mich. Nach zwei Stunden ging es endlich weiter. «Siehst du, wir hätten doch abfahren sollen», meinte mein Sohn. «Da wären wir trotz Geschwindigkeitsbegrenzung schneller gewesen.» «Wo er recht hat», dachte ich bei mir und wunderte mich selbst darüber, dass ich mich auf eine Autobahn ohne Tempolimit gefreut habe.


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