So viel Erfreuliches

  15.01.2021 Sport

Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann im Gespräch

Die Entwicklung bei Swiss-Ski freut den Präsidenten aus Oberwil-Lieli.

Es ist eine herausfordernde Zeit für Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann. In seinen diversen Tätigkeiten ist der sonst schon vielbeschäftigte Freiämter durch die Coronapandemie zusätzlich gefordert.

Doch besonders aus sportlicher Sicht kann der Freiämter viel Positives berichten. --jl


«Profisport ist ein Geschäft»

Urs Lehmann aus Oberwil-Lieli, Präsident von Swiss-Ski, über die laufende Saison und die Zukunft des Ski-Sports

Die Kandidatur als Präsident des internationalen Skiverbandes FIS, eine Ski-Saison mit Corona und die anstehende WM. 2021 ist ein Jahr voller Herausforderungen für Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann. Er sieht diesen optimistisch entgegen.

Josip Lasic

Man sieht, dass Ihnen das Kommentieren mittlerweile im Blut liegt. Würde es Ihnen wehtun, die Aufgabe als Co-Kommentator bei Eurosport aufzugeben, wenn Sie FIS-Präsident werden?

Urs Lehmann: Ja, das würde mir sehr wehtun. Es bereitet mir grossen Spass und ist eine Herausforderung. Ich muss sehr konzentriert sein, vorausschauen, innerhalb von einer halben Sekunde sagen, was Sache ist. Und dann posten Tausende von Menschen auf den Sozialen Medien, was der Lehmann wieder für einen Quatsch rausgelassen hat (lacht). Ich mache das unglaublich gern.

Die Wahl des FIS-Präsidenten wurde ja mehrfach verschoben.

Ja, sie hätte ursprünglich am 22. Mai des vergangenen Jahres stattfinden sollen, wurde dann wegen der Pandemie auf den 4. Oktober verschoben und dann auf den 4. Juni dieses Jahres. Dann wird sie aber definitiv stattfinden. Im Zweifelsfall virtuell.

Grossen Wahlkampf haben Sie bisher aber nicht betrieben.

Weil es keinen Wahlkampf von irgendwem gab. Es ging bisher um das Überleben unseres Sports im Zuge der Corona-Pandemie. Von riesiger Bedeutung für den gesamten Schneesport ist, dass die Weltmeisterschaften und der Weltcup in den verschiedenen Sportarten durchgeführt werden können. Das haben alle verstanden. Wahlkampf kann man ab April immer noch machen.

Ihre Konkurrenz besteht aus der Engländerin Sarah Lewis, deren Landsmann Johan Eliasch und dem Schweden Mats Arjes. Wie sehen Sie Ihre eigenen Chancen?

Bei rund 25 Prozent (lacht). 100 Prozent geteilt durch vier Kandidaturen.

Wie stark würde Sie der Abschied von Swiss-Ski schmerzen? Sie haben seit 2008, als Sie ins Amt gekommen sind, einiges bewegen können. Die Schweiz konnte beispielsweise im Vorjahr nach 31 Jahren die Nationenwertung im Alpinen Ski-Weltcup gewinnen und führt dort aktuell erneut.

Wir haben es bei Swiss-Ski gemeinsam geschafft, die Vorzeichen auf «Positiv» zu stellen. Und das in diversen Bereichen, Es ist eine Mischung aus der Arbeit in allen Teams, den Betreuern, der Nachwuchsstruktur, die diesen Erfolg ermöglicht. Und in all diesen Jahren habe ich viele tolle Leute kennengelernt und durfte mit ihnen zusammenarbeiten. Ja, es würde viel Wehmut bedeuten, den Verband zu verlassen, aber man kommt im Leben nicht vorwärts, wenn man nichts hinter sich lässt. Und mit meinem Vize-Präsidenten Peter Barandun, dem CEO von Electrolux, steht ein sehr fähiger Mann als potenzieller Nachfolger bereit. Ich wüsste, dass ich den Verband in gute Hände übergeben würde.

Sind Sie mit den bisherigen Ergebnissen der Schweiz zufrieden?

Absolut. Und zwar nicht nur im Ski Alpin. Es gibt aus allen Sportarten viel Erfreuliches zu berichten. Es gab viele historische und beeindruckende Ergebnisse. Ein wenig Sorgen bereitet aktuell das Skispringen, aber grundsätzlich sind wir im Grossteil der Sportarten gut unterwegs. Ich bin ausserordentlich zufrieden, dass wir nahtlos dort anknüpfen konnten, wo wir im letzten Winter aufgehört haben. Marco Odermatt konnte den ersten Schweizer Sieg im Riesenslalom seit fast zehn Jahren holen. Michelle Gisin gewann bei den Frauen den ersten Slalom für die Schweiz nach 19 Jahren. Dann der Sieg von Mauro Caviezel im Super-G, die Siege von Nadine Fähndrich im Einzelsprint und gemeinsam mit Laurien van der Graaff im Teamsprint. Es gibt so viel Erfreuliches.

Welche Auswirkungen hat die Coronapandemie auf den Ski-Sport?

Wichtig ist – wie bereits erwähnt –, dass die Wettkämpfe durchgeführt werden können. Das haben auch die Sportlerinnen und Sportler begriffen. Es geht für sie in erster Linie um das Ausüben ihres Berufs. Wenn man vor Ort ist, erscheint beispielsweise die Zieleinfahrt ohne Zuschauer etwas trostlos. Für die Fans, die normalerweise an die verschiedenen Anlässe reisen, ist die aktuelle Situation natürlich ein absoluter Albtraum. Für den Fernsehzuschauer ändert sich hingegen wenig. Dort können die Rennen normal verfolgt werden. Der Stellenwert des Sports ist sogar gestiegen. Beim Skispringen waren die TV-Ratings 20 Prozent höher als in den Vorjahren. Zuletzt wurden auch für die Alpin-Rennen in Adelboden sehr hohe Einschaltquoten ausgewiesen. Die Zahlen waren auch hier zum Teil deutlich besser als in den Vorjahren. Der Sport ist im Vergleich zu anderen Branchen extrem privilegiert. Wir sollten das mit einer gewissen Demut betrachten und uns freuen, dass der Stellenwert des Sports in dieser schwierigen Zeit gestiegen ist.

Das Lauberhornrennen in Wengen wurde wegen Covid-19 abgesagt. Und das nachdem es 24 Stunden vor der Absage hiess, dass es durchgeführt werden kann. Ihre Meinung dazu?

Wir haben immer gesagt, dass wir respektieren, was die Behörden des Kantons Bern sagen. Dass es am Samstag heisst, es sei okay zu fahren, und am Sonntag wird das Rennen abgesagt, mit der Begründung man habe das anhand der Entwicklungen der letzten zehn Tage beschlossen, ist sehr speziell. Irgendetwas muss in diesen 24 Stunden passiert sein, was die Entscheidung beeinflusst hat. Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir diese akzeptieren und respektieren.

Kitzbühel war ursprünglich als Ersatzort für Wengen vorgesehen. Jetzt wurde das Rennen auch dort abgesagt und nach Flachau verlegt. Wie blickt man bei Swiss-Ski darauf?

Wenn wir die Absage am vergangenen Samstag erhalten hätten, wäre es möglich gewesen Adelboden als Ersatzort vorzuschlagen. Wir hätten die Rennen gern in der Schweiz behalten. Am Sonntag war uns die Verschiebung nach Adelboden nicht mehr möglich und das Rennen ist jetzt nach Österreich gegangen.

Ist etwas am Gerücht dran, dass das Lauberhornrennen durch die Absage künftig nicht mehr stattfinden kann?

Nein. Das sind Aussagen von Leuten, die viel zu wenig Einblick in die Materie haben. Es ist reine Polemik und Panikmacherei.

Die Pandemie wird sich auch auf die Weltmeisterschaft in Cortina d’Ampezzo auswirken.

Ja. Es wird etwas anderes werden ohne Zuschauer vor Ort, ohne ein House of Switzerland. Ich bin aber davon überzeugt, dass es trotz Restriktionen ein toller Event wird.

Wieso?

Es ist ein toller Ort mit einer wunderschönen Ambiance. Und die Veranstalter geben sich allergrösste Mühe, trotz der Restriktionen alles so gut wie möglich zu organisieren. Ski Alpin ist eine TV-Sportart. Wenn es jeweils 20 000 bis 30 000 Zuschauer vor Ort hat, sind es Millionen vor dem Fernseher. Es wird nicht ganz so charmant werden, aber es wird trotzdem gut.

Vor zwei Jahren haben Sie vom Austragungsort Åre ge - schwärmt. Wie stehen Sie zu Cortina d’Ampezzo?

Ähnlich. Mir gefällt der Ort sehr gut. Die Dolomiten bilden eine traumhafte Bergkulisse.

In Åre holten die Schweizer Athleten nur vier Medaillen. Wie sehen Sie die Chancen für dieses Jahr?

Ich spreche ungern von der Anzahl Medaillen. Im Vorfeld sehe ich mir jeweils die Disziplinen an und überlege mir, wo Medaillenchancen vorhanden sind. Bei den Männern haben wir in der Abfahrt, dem Slalom, dem Riesenslalom, dem Super-G und der Alpinen Kombination eigentlich überall Athleten, die Medaillenkandidaten sind. Im Riesenslalom haben wir mit Marco Odermatt, Gino Caviezel und Loïc Meillard vielleicht das beste Team. Bei den Frauen sehe ich sicher in der Abfahrt, dem Slalom, dem Super-G und der Alpinen Kombination Chancen. Wo wir vielleicht bei den Frauen am wenigsten Chancen haben, ist der Riesenslalom. Aber selbst dort hatten wir bisher sehr gute Resultate von Lara Gut-Behrami und Michelle Gisin. Und im Teamevent gehören wir auch zum Favoritenkreis. Aber das ist die Theorie. Die Medaillen müssen immer zuerst geholt werden. Und welcher Trumpf am Ende sticht, hängt auch von Tagesform, Glück, Wind und anderen Dingen ab. Aber ich glaube, dass wir so breit wie seit mehr als 30 Jahren nicht mehr aufgestellt sind.

Der Eindruck ist, dass die Schweizer Athleten in den zwei Jahren seit Åre stärker geworden sind.

Das sehe ich auch so. Wir haben die Arrivierten, die immer noch dabei und sehr gut sind, wie beispielsweise Beat Feuz. Aber auch eine Corinne Suter. Über sie haben wir noch gar nicht gesprochen. Dabei hat sie den Durchbruch geschafft und ist die absolute Speed-Queen. Wir haben Junge wie Marco Odermatt, der vor zwei Jahren ein Talent war und heute ein Siegfahrer ist. Vor 2019 mussten wir immer auf ein paar wenige Fahrer hoffen, dass sie ihre Leistung abrufen. Jetzt haben wir eine enorme Breite. Wie beispielsweise eine Lara Gut-Behrami wieder erstarkt ist, ist ebenfalls sensationell. Aber auch diese Breite ist noch keine Medaillengarantie.

Corona hat Ihr letztes und dieses Jahr in vielen Bereichen geprägt. Wie sieht es bei Similasan aus? Immerhin stellt das Unternehmen Arzneimittel her.

Wir haben ein Produkt mit Echinacea. Bei dem hiess es, dass es sehr hilfreich bei Covid-19 sei. Dementsprechend wurde das auch gut verkauft. Rein wirtschaftlich betrachtet glich sich das Ganze aber aus. Augentropfen haben wir weniger verkauft, da die Menschen nicht mehr so viel unterwegs sind und dementsprechend weniger Augenentzündungen bekommen.

Um all Ihre Tätigkeiten anzusprechen: Sie sind Inhaber von Taxi Lehmann. Zu Beginn der Pandemie mussten Sie dort Kurzarbeit anmelden. Wie ist die Situation aktuell?

Unverändert. Taxis werden weniger beansprucht.

In welchen Feldern sind Sie durch die Pandemie stärker eingespannt?

In allen. Wir mussten durch das Virus alle lernen, flexibler zu sein, weniger Planungssicherheit zu haben, uns schnell anpassen zu können.

Denken Sie, dass es ein Vorteil bei der Wahl zum FIS-Präsidenten ist, dass Sie selbst Sportler waren, aber auch Doktor der Betriebswirtschaft sind und zwei Unternehmen leiten?

Es kann hilfreich sein. Sport funktioniert heutzutage nicht mehr ohne die wirtschaftliche Seite. Kinder oder Jugendliche beginnen den Sport aus reiner Freude, auch als Amateur steht die Freude im Mittelpunkt, im Leistungssport ist dann aber auch der kommerzielle Gedanke da. Es hilft sicher, dass ich alle Stufen durchgemacht und alle Seiten gesehen habe.

Sie haben im Kontext mit der FIS auch in der Vergangenheit häufig die wirtschaftliche Seite angesprochen. Würden Sie als Präsident in erster Linie dort die Hebel ansetzen?

Zunächst möchte ich betonen, dass bei der FIS aktuell vieles sehr gut gemacht wird. Wirtschaftlich kann man einiges ankurbeln – und das mit wenigen Handgriffen. Nur schon die Startzeiten sind da ein Thema. Wer hat Zeit, um sich am Mittwoch Nachmittag um 16 Uhr ein Ski-Rennen anzusehen. Ein paar Stunden später – und wir könnten gemeinsam zu Abend essen und nebenbei das Rennen anschauen. Aber es geht häufig auch um die Infrastruktur. Es gibt auch kleine Verbände der FIS, diese sind sehr rudimentär aufgestellt. In Marokko ist beispielsweise das grösste Problem, dass die einzige Schneemaschine des Landes nicht läuft. In diesem Fall wäre dort anzusetzen.

Abschliessend: Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Swiss-Ski?

Dass es konstant aufwärtsgeht. Egal unter welchem Präsidenten.


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