Unzertrennlich

  13.04.2021 Fussball

Fussball, Serie «Unsere Regionalfussballhelden»: Die Saxer-Zwillinge vom FC Hägglingen

Roland und Georges Saxer kickten zwar für Bremgarten, Wettingen und Wohlen, aber ihre Liebe galt dem FC Hägglingen. Dort feierten die Zwillinge grandiose Derbysiege und erlebten 1983 auf Malta einen legendären Aufstiegstanz.

Stefan Sprenger

Eine Nacht für die Geschichtsbücher. Es ist der 8. September 1987, ein Dienstagabend. Derby auf der Zinsmatten. Der FC Hägglingen empfängt den grossen Rivalen, den Nachbarn, den Tabellenführer. Weil der FC Wohlen Allüren zeigt und sich nicht im Schulhaus in Hägglingen umziehen will, reisen sie direkt im Arbeitstenue ans Derby. Das stachelte die Hägglinger zusätzlich an. Roger Geissmann trifft zum 1:0. Und dann folgt der grosse Auftritt von Georges Saxer. «Die schönste Bude meiner Karriere», sagt er. Auskick von Goalie Bruno Perissinotto, Zwillingsbruder Roland legt per Kopf ab auf Georges. «Dropkick aus grosser Entfernung. Ich habe den Goalie erwischt», erzählt Georges Saxer. Hägglingen siegt am Ende 3:1, feiert im Restaurant Güggel den historischen Derbyerfolg. Und der FC Wohlen wirft Erfolgstrainer Pit Stiel angesichts dieser Derbyschmach raus.

«Roland war elegant»

Es sind jene Momente, die das Saxer-Herz auf blühen lassen. Voller Leidenschaft erzählen die Zwillinge diese Geschichten, als wären sie gestern geschehen. Ihre fussballerische Laufbahn ist exakt dieselbe. Die Saxer-Brüder gab es immer nur im Doppelpack. Dass einer den anderen verlässt, kam überhaupt nicht infrage.

Wieso auch: Stürmer Roland und Mittelfeldspieler Georges verstanden sich blind auf dem Platz. «Roland hat mehr Tore gemacht, war der elegantere Spieler. Ich brachte das Feuer ins Spiel», erklärt Georges. Zu Glanzzeiten beim FC Hägglingen bilden die Saxer-Zwillinge gemeinsam mit Roger Geissmann ein magisches Maiengrün-Dreieck, das an einem guten Tag jeden Gegner bezwingen konnte.

Um die Saxer-Zwillinge zu verstehen, muss man sie unterscheiden können. Optisch schwierig, doch es gibt feine Unterschiede bei den Vorlieben und im Lebenslauf. Roland hat eine Frau und zwei Söhne, arbeitet in der IT-Abteilung des Kantons Aargau, ist Bayern-München- und Franz-Beckenbauer-Verehrer und trägt ausschliesslich Adidas-Töggelischuhe. Georges hat zwei Töchter, ist geschieden, seit wenigen Monaten Grossvater eines Mädchens Namens Neela, arbeitet als Kundeberater bei der Zürcher Kantonalbank, ist Borussia-Mönchengladbach- und Günther-Netzer-Verehrer und trägt ausschliesslich Puma-Töggelischuhe. Beide sind in Hägglingen zu Hause. Spannender Fakt: Die Geburt am 11. Juni 1961 war eine Überraschung. Zuerst kam Roland auf die Welt. Was niemand wusste: Es gibt Zwillinge. Zehn Minuten später kommt Georges. Zwei Regionalfussballhelden waren geboren.

Kurz in Bremgarten und Wettingen

«Der Fussball war in den Genen verankert», sagt Roland. Vater Rinaldo und Onkel Herbert gehören zu den Urgesteinen beim FC Hägglingen. Sie selbst beginnen bei den C-Junioren auf der Zinsmatten mit dem «Tschutten». Später spielen sie bei den A-Junioren des FC Bremgarten in der Inter-Klasse – und schliesslich wechseln sie zum FC Wettingen in den Junioren-Spitzenfussball.

Unter Profitrainer Hans Kodric schnuppern sie NLB-Luft, dürfen mit dem «Eis» des FC Wettingen trainieren. Dann mussten sie sich entscheiden: Arbeit oder Fussball. Die Zwillinge machen beide ihre Lehre in Wohlen. Roland bei der Strapex, Georges bei der AKB. Der FC Wettingen offeriert ihnen einen Nachwuchsvertrag. «Es war damals noch eine andere Zeit, Sport und Arbeit zu verbinden, war enorm schwierig. Wir hätten es gerne probiert, mussten es aber schweren Herzens bleiben lassen», erklären die heute 59-Jährigen. Und man spürt: Sie bereuen es ein wenig, diese Chance nicht versucht zu haben.

«Verdient haben wir keinen Rappen»

Stattdessen folgt der Wechsel zum FC Wohlen. Der Präsident heisst Adolf Rüssli. Den Vertrag legt ihnen FCW-Legende Jacky Sauter vor. «Verdient haben wir aber keinen Rappen», lacht Roland. Es war die Saison 1980/81, der FC Wohlen spielt in der 2. Liga mit Kickern wie Werner Lüthy oder Pietro Vedovato. Die damals 19-jährigen Zwillinge mussten Trainer Paul Blum mit «Sie Herr Trainer» ansprechen. Der FC Wohlen beendet die Saison auf dem 3. Rang, nur ein Sieg fehlte für die Meisterschaft. Dann mussten die Saxers in die Rekrutenschule.

Die jungen Zwillinge haben dann einen schweren Stand in Wohlen. Zweifellos sind sie talentiert, doch sie fühlten sich nicht mehr wohl auf der Paul-Walser-Stiftung. «Wir waren eben immer die Hägglinger», sagt Roland. Das blieb «EG» und Roger Geissmann nicht verborgen, die beim FC Hägglingen etwas Grosses aufziehen wollten, mit Einheimischen, mit Fussballern, die mit Begeisterung für Gelb-Blau auflaufen. Und die Saxers passten perfekt zu diesen Vorstellungen des 3.-Liga-Teams.

In der Saison 1982/83 heisst der Trainer Peter Schibli, der auch neben dem Platz eine ziemliche Animationskanone war. «Ihr seid Nobodys», hat er stets gesagt. «Das hat uns brutal angestachelt», meint Georges. Am Ende jener Saison feiert man einen legendären Aufstieg. In den Aufstiegsspielen zur 2. Liga gewinnt Hägglingen sein letztes Spiel am Samstagabend, reist dann ab in die Feierferien nach Malta. Einen Tag später musste Lenzburg verlieren, damit das Märchen wahr wird.

Und tatsächlich: Lenzburg verliert, Hägglingen steigt in die 2. Liga auf. Doch die kriegten dies zuerst gar nicht mit. In den 80er-Jahren auf einer Mittelmeerinsel sind die Kommunikationsmittel eben beschränkt. Während die Hägglinger in Malta bibbern und warten, fährt FCH-Platzwart Albano Furlan mit seinem Töffli in Hägglingen von Haustür zu Haustür und verkündet: «Wir sind aufgestiegen.» Irgendwann steht die Leitung nach Malta und FCH-Präsident Peter Richner überbringt die frohe Botschaft. In Malta folgt eine legendäre Nacht, wo teilweise bis heute die Erinnerungen fehlen.

«Die goldene Zeit»

Ein Jahr später steigt Hägglingen wieder ab. Und schafft den sofortigen Wiederaufstieg. Dieses Mal findet ein Entscheidungsspiel statt auf neutralem Boden, der Paul-Walser-Stiftung in Wohlen. 740 zahlende Zuschauer sind vor Ort. Gegner Turgi wird mit 3:2 nach Verlängerung bezwungen. «Unser Cousin Marco Saxer machte alle drei Tore», erinnern sich die Zwillinge. Das Team feiert den Erfolg auf Ibiza. Wieder fehlen Erinnerungsstücke. «Das waren einfach geniale Zeiten.» Auf Peter Schibli folgt Trainer Kurt Rüegg. «Er hat uns weitergebracht», sagen die Saxers. Hägglingen hält die Liga, spielt manchmal vorne mit, dümpelt manchmal hinten rum. 1989 folgt ein weiteres Highlight: Der Sieg im Aargauer Cup. Dieses Mal steigt die Party nicht auf einer Insel, sondern auf der Zinsmatten. Unterentfelden wird mit 4:0 weggefegt. «Dieser Erfolg war der Höhepunkt jener Ära. Die goldene Zeit», sagt Roland, der 1990 Torschützenkönig der 2. Liga wird.

Bis 1999 spielen die Zwillinge für Hägglingen. Zwischen 1983 und 1996 steigt man nie mehr ab. Dann beenden sie ihre Karriere. Natürlich gemeinsam. Sie haben immer zusammen gespielt, im Doppelpack, das Power-Duo, die Saxer-Legenden, einfach unzertrennlich.

«Das ist es, worum es geht»

Die Saxers erinnern sich zurück und wollen unbedingt etwas loswerden. «Die Vereinsführung war unglaublich stark» meinen sie und zählen auch gleich die Namen auf: «EG» Geissmann, Peter Richner, René Landolt, Markus Kaufmann. «Die Identifikation war ihnen enorm wichtig.»

Etwas, das heute etwas verloren ging. Seit einigen Jahren gibt es den FC Hägglingen nicht mehr. Nach der Fusion mit Dottikon heisst er neu FC Bünz-Maiengrün. Beide rümpfen die Nase und wissen nicht so recht, ob das eine kluge Idee war mit dieser Fusion. Unterstützen tun sie es aber trotzdem. «Es geht ja um den Fussball, um die Begeisterung», sagen die Saxers, die noch lange bei den Senioren und den Veteranen spielten.

Heute sind sie Juniorentrainer beim FC Bünz-Maiengrün. Natürlich gemeinsam. Ihre Fussballknöpfe haben dieselbe Freude wie die Zwillinge vor rund einem halben Jahrhundert, als sie auf der Zinsmatten mit dem Kicken anfingen. «Das ist wundervoll», meint Roland. «Das ist es, worum es geht», fügt Georges an. Mit einem Team ein Ziel verfolgen, seine Leidenschaft ausüben und Freunde fürs Leben finden. «Der Fussball hat uns viel gegeben fürs Leben», sagen beide. Einander hatten sie sowieso immer.

6. Mai 1984. Der FC Wohlen hat den Anschluss an die Spitze der 2. Liga verloren. Der FC Hägglingen kämpft um den Klassenerhalt. Wohlen ballert an die Latte, an den Pfosten, trifft das Tor aber nicht. Hägglingen gewinnt 1:0. Roland Saxer erzielt das goldene Tor per Penalty. Es war der erste Sieg über den grossen Nachbarn. Trotzdem stieg Hägglingen danach ab. «Die Party nach diesem Derbysieg war trotzdem legendär», erzählt Roland und strahlt dabei, als wäre es gestern gewesen.


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