Verlieren Kampfsportler den Anschluss?

  20.04.2021 Sport

Umfrage zu den Corona-Auswirkungen bei den Freiämter Kampfsportvereinen: Leistungsgefälle wird grösser

Seit über einem Jahr steckt die Welt in der Coronapandemie. Und seit über einem Jahr ist auch das Vereinsleben nicht mehr dasselbe. Diese Zeitung hat sich bei den grössten Freiämter Sportvereinen umgehört, mit welchen Problemen man zu kämpfen hat. In der Freitagsausgabe kam bereits ein Teil der Vereine zu Wort. Jetzt äussern sich die Kampfsportler.

Die meisten Sportvereine im Freiamt verzeichnen trotz Corona keinen nennenswerten Mitgliederschwund. Das gilt nur bedingt für den Kampfsport. Kickboxing Wohlen hat im März 2021 nur noch halb so viele erwachsene Mitglieder wie 2019. Zu erklären ist dies ganz einfach: Bei Kickboxing Wohlen konnte man bislang vierteljährlich eine Mitgliedschaft lösen. Und in Zeiten von Corona fällt der Grossteil der erwachsenen Kämpfer weg. Denn: Warum ein Abo, wenn man sowieso nicht trainieren kann?

Cipriano: «Gesamtpaket fehlt»

Die Junioren dürfen zwar wieder trainieren, man versucht sich mit Online- und Outdoor-Trainings, doch dies löst das Problem nicht, wie Rocco Cipriano von Kickboxing Wohlen erklärt: «Der Club ist für die Mitglieder nicht nur ein Trainingsort, sondern sozialer Anlaufpunkt, Freizeitfüllen, zweites Zuhause. Das Gesamtpaket fehlt uns allen», so Ex-Weltmeister Cipriano. Je länger die Pandemie dauert, desto höher sei das Risiko, dass Vereinsmitglieder das Interesse verlieren. «Der Schaden für unseren Sport wäre enorm», so Cipriano.

Ender vom SK-Freiamt: «Zwei-Klassen-Gesellschaft»

Auch in anderen Kampfsportarten sind grössere Probleme zu verzeichnen. Zwar bleibt dort der grosse Mitgliederschwund aus, aber die Schwierigkeiten betreffen nicht nur einzelne Vereine, sondern den ganzen Sport. Andreas Ender, Präsident des Schwingklubs Freiamt, berichtet: «Es wurde entschieden, dass die besten 120 Schwinger des Landes den Profi-Status erhalten. Ich freue mich, dass wenigstens ein Teil wieder trainieren kann. Das Unschöne daran ist, dass es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft im Schwingen gibt.» Die Spitzenschwinger dürfen trainieren, die U20-Schwinger ebenso. Der Rest muss warten. «Sie sollten möglichst schnell wieder trainieren können, damit ihre Motivation aufrechterhalten werden kann und sie keinen zu grossen Trainingsrückstand zu den anderen Schwingern, die wieder trainieren dürfen, bekommen.»

Küng von RS Freiamt: «Kann nachhaltig schaden»

Nicola Küng, Präsident der RS Freiamt, sieht im Ringen vergleichbare Probleme. «Zuerst durften nur die Ringer bis 16 Jahre trainieren. Jetzt diejenigen bis 20 Jahre. Und die Kaderathleten trainieren sowieso und besuchen sogar Turniere im Ausland.» Küng befürchtet, dass in der Mannschaftsmeisterschaft das Gefälle zwischen den Kaderringern und dem Rest sich vergrössern könnte. «Das könnte dazu führen, dass die Breitensportler irgendwann den ‹Ablöscher› haben und ihre Ringerkarriere beenden. Das kann unserem Sport nachhaltig schaden.»

Karatekas mit Problemen

Im Karate droht ebenfalls ein Leistungsgefälle zu entstehen. Allerdings nicht auf nationaler Ebene, sondern im internationalen Vergleich. Einen grossen Teil des Schweizer Nationalteams stellt der Karate-Club Anglikon. Dojo-Leiter Heinz Muntwyler, der lange Zeit auch Schweizer Nationaltrainer war, sieht grosse Probleme: «Seit der Pandemie wurden keine Wettkämpfe durchgeführt. Für die Mitglieder der Nationalmannschaft wird es eine grosse Herausforderung, den Trainingsrückstand aufzuholen und auf das alte Niveau zu kommen.» Muntwyler befürchtet in erster Linie, dass der Rückstand auf die Ostblockstaaten wieder grösser werden könnte. «In Russland werden bereits wieder Turniere durchgeführt und da wurden die Trainingsregeln, respektive Pandemieregeln, nicht so eingehalten wie bei uns.»

Der Karate-Club Wohlen hadert hingegen damit, dass die Massnahmen so häufig angepasst wurden. Präsident René Keller erklärt: «Es war ein Riesenaufwand, die ganzen Covid-Schutzkonzepte für den Club und das Dojo zu erstellen. Nach dem ersten Lockdown konnten wir dank genügend Trainingsfläche auch mit den Erwachsenen unter Einhaltung der Vorschriften und ohne Kontakt trainieren. Ab Dezember galt das aber nicht mehr. Die Erwachsenen durften trotz des Schutzkonzepts total drei Monate lang nicht trainieren.»

Mit den Lockerungen vom vergangenen Mittwoch dürfen die Karatekas zwar wieder trainieren, allerdings ohne Kontakt. Kampfsport ohne Kämpfen ist nicht das Gleiche. Kontaktsportarten sind nur draussen erlaubt. Wo kein Abstand eingehalten werden kann, muss Maske getragen werden. Im Schwingen und in anderen Kampfsportarten ist das allerdings sehr unpraktisch, da die Maske schnell verrutschen würde. Trotz der Lockerungen des Bundes ist die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft im Kampfsport nicht abgewendet. Ebenso droht den Schweizern nach wie vor, dass sie den Anschluss im internationalen Vergleich verlieren. Wie bei allen Sportvereinen in der Region bleibt auch den Kampfsportlern viel Ungewissheit. --spr/jl


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