Viel mehr als Burger

  23.03.2021 Bünzen

Vier Tage, wie wenn alles normal wäre

Lehrlinge in der Gastrobranche haben es aktuell nicht einfach. Ihr Alltag ist anders, eintöniger oder findet gar nicht statt. Um trotzdem einen Lernfortschritt zu garantieren, organisiert GastroAargau Praxistage.

Imnet Issac ist im ersten Lehrjahr als Küchenangestellte im Restaurant Hirschen in Bünzen. Die Arbeit gefällt ihr. «Ich bin froh, hier eine Chance bekommen zu haben», sagt die gebürtige Eritreerin, die seit sieben Jahren in der Schweiz lebt. Aber ihr Berufsalltag ist anders, Stress gibt es fast nicht mehr. «Manchmal ist es ein wenig langweilig», sagt die 23-Jährige. Abwechslung gibts viel weniger als sonst. «Viele bestellen über den Mittag einfach Burger, Pommes oder Schnipo.»

Umso willkommener waren für sie die Praxistage, die GastroAargau für die Lehrlinge organisiert. --ake


Wieder einmal richtig im Stress

GastroAargau bietet für Lehrlinge Praxistage – Imnet Issac war dabei

Viel läuft in diesen Tagen und Wochen im «Hirschen» nicht. Wenn normalerweise Stress zum Alltag gehört, bleibt er jetzt komplett aus. Für Lehrlinge in der Gastrobranche keine einfache Situation. Mit den Praxistagen schafft GastroAargau Abhilfe.

Annemarie Keusch

Eine halbe Stunde, höchstens. Von 11.45 Uhr bis 12.15 Uhr herrscht in der Küche Hektik. Einer nach dem andern holt sein bestelltes Essen ab. Es muss schnell gehen. «Ich mag das», sagt Imnet Issac. Sie ist im ersten Lehrjahr als Küchenangestellte im Restaurant Hirschen in Bünzen. Seit ihrem Lehrbeginn beherrscht das Coronavirus das Leben, vor allem auch in der Gastronomie. Geschlossene Restaurants, Take-away, viel weniger zu tun.

Imnet Issac weiss, wie es eigentlich wäre. Sie weiss, dass der Stress über Mittag eigentlich weit länger dauert. Vor sieben Jahren ist die 23-Jährige aus Eritrea in die Schweiz gekommen. Vor vier Jahren lernte sie über gemeinsame Bekannte Hervé Kaupp, den «Hirschen»-Wirt, kennen. «Ein Glück», sagt Imnet Issac. Denn Kaupp gab ihr eine Chance, zuerst als Reinigungskraft, später folgten die einjährige Integrationsvorlehre und jetzt die Ausbildung als Küchenangestellte.

Weniger Abwechslung im Berufsalltag

Auch für Kaupp ist alles neu. Die Integrationslehre war für ihn eine Premiere, jene als Küchenangestellte ebenso. Warum er das Experiment einging? «Imnet ist jung und motiviert. Sie macht es bestens», lobt der Wirt. In allen Bereichen hilft sie mit. Was ihr am besten gefällt? «Alles.» Die kalte Küche und die Beilagen sind ihr Aufgabenbereich, ein- bis zweimal pro Woche übernimmt sie das Tagesdessert. «Es läuft super», sagt Hervé Kaupp. Das gegenseitige Vertrauen wachse, er könne ihr immer mehr Arbeiten übertragen.

Aber eben, die Arbeit ist viel weniger als sonst immer. Das Take-away-Angebot läuft viel schlechter als im ersten Lockdown vor gut einem Jahr. «Wir haben Zeit, um Rezepte auszuprobieren», formuliert es Hervé Kaupp positiv. Aber es gibt auch die andere Seite. «Wenig Abwechslung», sagt Kaupp. «Schnipo, Cordon bleu und Burger», sagt Imnet Issac. Das wird über den Mittag bestellt. Viel anderes kochen die beiden nicht. Viel Neues kann die 23-Jährige folglich nicht lernen.

Auf sich alleine gestellt

Genau hier setzen die von GastroAargau ins Leben gerufenen Praxistage an. Während vier Tagen treffen sich die Lernenden in einer grossen Küche – Imnet Issac war letzte Woche in Wildegg. Nicht nur Küchenangestellte und Köche sind dort, auch Serviceangestellte. «Ihnen fehlt coronabedingt total die Praxis», weiss Kaupp. Kalbsgeschnetzeltes, Apfelkrapfen, Griessgnocchi oder glasierte Karotten. «Ich habe sehr viel gelernt», sagt Imnet Issac.

Wie an der Prüfung habe sie ein ganzes Menü zubereiten müssen, eine Vorspeise, einen Hauptgang, ein Dessert. Und das ganz auf sich alleine gestellt. Rezepte lesen, verstehen und ausführen. «Das ist super für sie. Wenn wir hier in der Küche viel zu tun haben, etwa über den Mittag, übernehme ich, wenn sie irgendwo ansteht. Es ist gut, dass sie lernt, auf sich alleine gestellt zu sein.» Und auch sprachlich sei es für Imnet Issac wichtig, mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten. «Wir kennen uns, verstehen uns fast ohne Worte», sagt Hervé Kaupp. Aber es sind eben oft diese Worte, die Imnet Issac fehlen. «Ihr grösstes Manko.» Daran arbeitet sie in wöchentlichen Deutschkursen. «Zudem hat jede Köchin und jeder Koch seine eigenen Methoden. Es ist nur positiv, wenn sie andere Möglichkeiten sieht.» Um den Effekt der Praxistage weiss Kaupp nicht nur vom Erzählen seiner Lehrtochter. Bei einer anderen Klasse war er selbst als Berufsbildner dabei. «Eine tolle Sache.»

Hoffentlich bald wieder Stress

Imnet Issac ist froh um die Chance der Praxistage. Sie boten Abwechslung, sie gaben neue Einblicke. Sie brachten die gebürtige Eritreerin weiter. «Ich will diese Ausbildung schaffen», sagt sie selbstbewusst. Sie weiss, wie wichtig in der Schweiz eine abgeschlossene Lehre ist. Ihr Traum? «Eine gute Arbeit haben.» In der Küche? «Ja, dort gefällts mir.» Dort macht sie Fortschritte, auch weil sie sich getraut zu fragen, wenn ihr etwas unklar ist. «Aber die Leute sind zufrieden mit mir, das ist schön.»

Hervé Kaupp steht daneben, lächelt. Soeben hat das Telefon geklingelt. Eine neue Bestellung. Er kümmert sich um das bestellte Fleisch, Imnet Issac um die Beilagen. Aber Stress kommt noch lange nicht auf. «Hoffentlich bald wieder», sagt Hervé Kaupp. Imnet Issac nickt.


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