Vom Torf zum Mutterkorn

  07.05.2021 Muri

Neue Themen bei «Zwischen Pflug und Korn»

Jahr für Jahr gibt es im Museum «Zwischen Pflug und Korn» eine neue Sonderausstellung. Die letztjährige fiel Corona zum Opfer. Dafür gibt es jetzt zwei.

Das Museum «Zwischen Pflug und Korn» ist multimedial geworden. QR-Codes bringen die Besucherinnen und Besucher zu alten Videos, die den Torfabbau im Boswiler Fohrenmoos zeigen oder zu Sequenzen über die Zucht von Mutterkörnern. Diesen beiden Themen sind die neuen Sonderausstellungen gewidmet. Beides waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Freiamt verbreitete Einnahmequellen. Die Eröffnung erfolgt am Sonntag. --ake


So wurde früher Geld verdient

Das Museum «Zwischen Pflug und Korn» wartet gleich mit zwei neuen Sonderausstellungen auf

Der Torfabbau war über Jahrzehnte eine wichtige Einnahmequelle. Vor allem auf dem Gemeindegebiet von Boswil, wo einst der Bünzersee lag, wurden x Tonnen Torf gestochen und abgebaut. Im oberen Teil des Freiamts war die Kultivierung von Mutterkorn weit verbreitet. Beide Erwerbszweige gibt es längst nicht mehr.

Annemarie Keusch

Still gestanden sind die Verantwortlichen des Museums «Zwischen Pflug und Korn» nicht. Auch wenn das Museum monatelang geschlossen sein musste. Auch wenn es im letzten Jahr keine Sonderausstellung gab. «Dafür machen wir jetzt zwei», sagt Vereinspräsident Ueli Ineichen und lacht. Ein Novum. Beleuchtet werden zwei Erwerbszweige, die es seit Jahrzehnten nicht mehr gibt, die im Bezirk Muri aber weit verbreitet waren.

Einerseits geht es um das Thema Mutterkorn. Viel weiss darüber fast niemand mehr. «Wir mussten die richtigen Leute finden und viel Literatur lesen», sagt Ueli Ineichen. Vor allem im oberen Freiamt seien die Mutterkörner verbreitet gewesen. Die Nachkommen jener, die damit gearbeitet haben, sind heute über 80 Jahre alt. Fotos und alte Werkzeuge zeugen von diesem Erwerb, der viel Aufwand, aber auch einiges an Verdienst mit sich brachte.

Giftig und trotzdem gut für medizinische Zwecke

Als Mutterkorn werden die reifen Früchte eines Pilzes bezeichnet – eines hochgiftigen Pilzes, der im Ackerboden überlebt. Tausende Menschen verloren durch das Mutterkorn ihr Leben, teils ganze Dörfer wurden ausgelöscht. Weil die Pilze die Getreideähren befielen und ins Mehl gerieten, starben jene, die das Mehl assen, einen qualvollen Tod. «Finger faulten ab, Nasen, Ohren. Sie waren von Krämpfen geplagt, ohne dass Ärzte deren Ursprung kannten.» Als Hexen verschriene Frauen mussten auf dem Scheiterhaufen ihr Leben lassen, weil vermutet wurde, sie würden die Krankheit bringen, die als «Antoniusfeuer» bekannt war.

Erst später wurden vertieftere Antworten gesucht. Der Durchbruch gelang der Basler Pharmaunternehmung Sandoz 1918. Aus Bestandteilen des Mutterkorns wurde Medizin, die vor allem zum Stillen von Blutungen, etwa während einer Geburt, eingesetzt wurde. Mutterkörner waren plötzlich gefragt und wurden kultiviert. Roggenähren wurden die Mutterkörner eingeimpft, zuerst mit einer «Pistole», später mit einem «Impfbrättli», am Schluss maschinell. Viel Handarbeit war gefragt, auch beim Ernten der Ähren und beim Trennen der Mutterkörner von den Roggenkörnern. Gelohnt hat sich das allweil. «28 Franken bekamen sie pro Kilo», weiss Ueli Ineichen. Für die damaligen Zeiten, als Europa von zwei Weltkriegen heimgesucht wurde, eine stattliche Summe. Das Geschäft zerfiel, als der für die Medizin interessante Inhaltsstoff ab 1976 synthetisch hergestellt wurde. Ganz nah mit der Geschichte des Mutterkorns ist auch jene von LSD verbunden, wie im Museum «Zwischen Pflug und Korn» gezeigt wird.

Torf anstatt Kohle als Heizstoff

Im zweiten Teil der Sonderausstellung geht es um den Torfabbau in Boswil. In Zusammenarbeit mit dem Kulturverein Boswil sind viele Objekte ausgestellt, die Anfang des 19. Jahrhunderts im Fohrenmoos im Einsatz standen. «Zum Teil war es mehr als die Hälfte der Dorfbevölkerung, die dort Torf abbaute», weiss Ueli Ineichen. Auch das gesellschaftliche Leben habe sich beim «Güsle» abgespielt. Die «Rothenthurm-Initiative» zum Schutz der Moore machte dem Torf-Abbau 1987 ein Ende. «Heute wäre das auch wirtschaftlich nicht mehr interessant. Torffreie Erde ist zum Beispiel viel eher gefragt», führt Ineichen aus.

Rund um die beiden Weltkriege war der Torf aber nicht primär als Dünger für den Garten gefragt, sondern als Brennstoff. Der Kohle-Import war eingeschränkt. Wenn vorher monatlich 280 000 Tonnen Kohle importiert wurden, waren Alternativen gefragt. Gestochener Torf bot diese. Am Ort des ehemaligen Bünzersees wurde schweizweit die viertgrösste Menge abgebaut. Zwischen den Weltkriegen wurde extra die Bünz nochmals abgesenkt, um mehr Torf abbauen zu können.

Eröffnung am Sonntag

Fotos zeigen, wie die Dorfbevölkerung beim Torfabbau zur verschworenen Einheit wurde – beim Stechen, wenn der Torf als Brennmaterial gebraucht wurde, beim «Güsle», wenn er dem Garten dienen soll. In Muri ist eine Güselmaschine aus dem Jahr 1930 ausgestellt. Diese raute den Boden ganz leicht auf, damit nachher das Material eingesammelt werden konnte. Via Bahn wurde es verteilt, ob als Dünge- oder Heizmittel. «Das Problem war, dass nicht jeder Bahnwagen gedeckt war. Sobald der Zug losfuhr, zog er eine braune Wolke hinter sich her», weiss Ineichen zu erzählen. Nach dem zweiten Weltkrieg waren Maschinen beliebt, die den Torf zu Briketts pressten.

Wie sich diese Geschichte weiterentwickelte und wie die Torfgrundstücke untereinander aufgeteilt wurden, vermittelt das Museum «Zwischen Pflug und Korn». Am Sonntag, 9. Mai, sind die Türen von 13 bis 16 Uhr geöffnet, mit Take-away-Betrieb. Ab Montag, 10. Mai, bis am 23. Oktober kann das Museum auf Anmeldung besucht werden.

Reservation telefonisch unter 056 664 71 28 oder im Internet unter www.museum-muri.ch.


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