«Wasser ist meine Heimat»
07.10.2025 BremgartenHanspeter Stöckli ist seit 25 Jahren Brunnenmeister – ab dem nächsten Jahr zieht er sich langsam zurück
Tagein, tagaus sorgt er dafür, dass das Trinkwasser in und um Bremgarten fliesst und sauber aus unseren Hähnen kommt. Hinter der Arbeit ...
Hanspeter Stöckli ist seit 25 Jahren Brunnenmeister – ab dem nächsten Jahr zieht er sich langsam zurück
Tagein, tagaus sorgt er dafür, dass das Trinkwasser in und um Bremgarten fliesst und sauber aus unseren Hähnen kommt. Hinter der Arbeit des städtischen Brunnenmeisters steckt weit mehr, als man gemeinhin denken würde. Hanspeter Stöckli nimmt uns mit in seinen faszinierenden Alltag.
Marco Huwyler
Ob Tag oder Nacht – Hanspeter Stöckli hat sein Handy ständig auf laut geschaltet. «Wenn irgendwas passiert, muss ich bereit sein», sagt er. Zwar hat man in Bremgarten vorschriftsgemäss einen Pikettdienst, bei dem sich vier Personen abwechseln. Doch der Brunnenmeister rückt in der Regel auch dann aus, wenn er nicht dafür eingeteilt ist. «Ich fühle mich für das Wasser in unserer Stadt verantwortlich», sagt er schulterzuckend. Und so kommt es pro Jahr bis zu 50 Mal vor, dass er unvorhergesehen irgendwohin zu Hilfe eilt, wo es mal wieder «geklöpft hat», wie es Stöckli nennt, wenn ein Leitungsbruch auftritt. Oft auch mitten in der Nacht oder am Wochenende. «Ich bin froh, dass ich eine Frau an meiner Seite habe, die das so mit mir aushält», sagt er lächelnd.
Faszination Wasser
Seit einem Vierteljahrhundert kümmert sich Hanspeter Stöckli um die Wasserversorgung. Wobei er dies bis zum Zusammenschluss zwischen Bremgarten und Hermetschwil-Staffeln für das einstige Dorf in Personalunion als Werkhofchef tat. «Dort war ich Mädchen für alles», sagt der Ur-Hermetschwiler. Doch die wahre Leidenschaft Stöcklis, die galt immer dem Wasser. «Dass wir so etwas Reines, Essentielles, einfach jederzeit aus dem Hahn lassen können, hat mich schon immer fasziniert.» So hat er als junger Bursche auch Sanitär gelernt und 22 Jahre auf dem Berufsfeld gearbeitet, bevor das Engagement bei seiner Heimatgemeinde zustande kam.
Angesichts seiner Liebe für alles rund ums Thema Wasser war es für Stöckli deshalb keine Frage, dass er das Angebot nach dem Zusammenschluss 2014 annehmen würde, sich künftig als Bremgarter Brunnenmeister um die Wasserversorgung des Bezirkshauptorts zu kümmern. «Das Timing passte perfekt – mein Vorgänger stand vor seiner Pension.» Abgesehen von ein paar wenigen Tagen, wenn es schneit («denn den Winterdienst lasse ich mir nicht nehmen»), kümmert sich Stöckli seither nur noch um Wasser. Wobei «nur» eigentlich eindeutig das falsche Wort ist.
1,6 Milliarden Liter
Denn allein die Dimensionen sind mehr als eindrücklich. Gemeinsam mit seinem Assistenten ist Stöckli nicht nur für die Wasserversorgung in Bremgarten inklusive Hermetschwil-Staffeln, sondern seit 2021 auch noch für diejenige in Niederwil und Fischbach-Göslikon zuständig. Ein Leitungsnetz von 150 Kilometern Länge beliefert in diesem Einzugsgebiet 13 700 Einwohner mit jährlich rund 1,6 Milliarden Litern Trinkwasser. Diese stammen aus drei Grundwasserpumpwerken, die rund 50 Meter unter dem Erdboden Wasser zutage fördern und einem Quellwasserpumpwerk im Stockweiher. Über vier Reservoire und ein Stufenpumpwerk fliesst das Wasser bei Bedarf an die Bevölkerung. Jeden Tag durchschnittlich rund 250 Liter pro Person. Zur Arbeit eines Brunnenmeisters gehört jedoch nicht nur Betrieb, Reinigung und Wartung dieser eindrücklichen Infrastruktur, sondern ganz vieles mehr. Die Pendenzenliste eines Brunnenmeisters liest sich schier endlos.
Tablet als ständiger Begleiter
Einmal jährlich wollen auf dem ganzen Stadtgebiet die rund 1500 Zähler abgelesen und wenn nötig ersetzt sein. 600 Hydranten gilt es instand zu halten und regelmässig zu kontrollieren. 25 städtische Brunnen werden periodisch gereinigt und gewartet. Strassen- und Hochbauprojekte begleitet der Brunnenmeister jeweils eng – von der Planungssitzung bis zu Ausführung –, da damit auch immer neue Wasserleitungen einhergehen. Die Reservoire, Wasserpumpwerke und Leitungen müssen nicht nur bedient und betreut, sondern ständig kontrolliert werden. Wie auch das Wasser respektive dessen Qualität einer engmaschigen Qualitätskontrolle unterliegt. An 16 verschiedenen Orten wird das Bremgarter Wasser viermal jährlich wissenschaftlich auf seine Qualität geprüft. Und die Datenlogger-Überwachung liefert dem Brunnenmeister ständig in Echtzeit Werte an zahlreichen Messpunkten übers ganze Leitungsnetz verteilt. «Das Tablet ist unser ständiger Begleiter», sagt Stöckli deshalb. Er hat die Messwerte ständig im Blick, um reagieren zu können, wenn etwas nicht so ist, wie es sollte, und der Ursache dafür auf den Grund zu gehen.
Eine Zahl als Antrieb
«Viele der Arbeiten, die bei uns anfallen, sieht und kontrolliert niemand», sagt Hanspeter Stöckli. Als Brunnenmeister brauche man deshalb einen hohen Eigenantrieb und eine grundsätzliche Freude an dem, was man tue. Mit dem Werkhofleiter hat er zwar einen Chef. Aber: «Da ist niemand, der mich im Alltag überwacht. Nachschaut, wie oft wir Dinge kontrollieren. Ob wir um unsere Anlagen regelmässig Unkraut jäten und Rasen mähen oder uns lobt, weil wir ein Leck schnell gefunden haben», sagt Stöckli. Und doch macht er all dies und noch vieles mehr mit viel Leidenschaft und intrinsischer Motivation. Akribisch dokumentiert er jeden Wasserverlust – neben Leitungsbrüchen und sonstigen Defekten können beispielsweise auch Feuerwehreinsätze, landwirtschaftlicher Wasserverbrauch oder Baustellenbedarf Gründe dafür sein. Ständig sucht er nach Optimierungspotenzial. Stöcklis Antrieb ist vor allem auch eine Kennzahl, auf die er stolz ist. «Sie ist der Lohn und das Spiegelbild eines Brunnenmeisters», lächelt er. Diejenige des Wasserverlustes. Also der Menge des Wassers, die vom Pumpwerk bis zum Endverbraucher verloren geht, ohne, dass sie von einem Wasserzähler aufgezeichnet oder sonst dokumentiert wird. «Während meiner Amtszeit in Bremgarten ist diese Zahl von 20 auf 8 Prozent gesunken», sagt Stöckli stolz. Das tönt für den Laien zwar immer noch nach relativ viel. Doch im Vergleich sei das ein absoluter Spitzenwert, betont der Brunnenmeister. «Man muss sich nur mal vorstellen – manchmal haben wir irgendwo auf dem riesigen Leitungsnetz einen Wasserverlust – und wissen nicht, wo das Leck ist.» Da gingen dann schnell mal 400 Liter pro Minute verloren. «In solchen Fällen bin ich wie auf Nadeln, bis wir die Ursache endlich identifiziert haben», erzählt Stöckli. Man beginne dann aussen – vom Waldgebiet bis in den Stadtkern –, bis die undichte Stelle gefunden ist. Die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. «Meistens sind es ganz abgelegene Orte, wo man fündig wird», sagt er. Denn in der bewohnten Stadt werden Lecks von der Bevölkerung in der Regel schnell entdeckt und gemeldet.
Gegenüber den Bauherren hartnäckig sein
63-jährig ist Hanspeter Stöckli mittlerweile. «Die Pension naht mit grossen Schritten», lächelt er. In rund eineinhalb Jahren ist für den Hermetschwiler definitiv Schluss. «Noch ein bisschen dabeibleiben, teilzeitmässig ohne Gesamtverantwortung – das könnte ich nicht», sagt er. «Ich brauche einen harten Schnitt.» Obwohl Stöckli sein Wasser liebt, freut er sich auch sehr darauf, in absehbarer Zeit einen Schlussstrich ziehen zu können. «Denn ich spüre die mentale 24/7-Belastung immer mehr und freue mich auf den Moment, wenn der Druck der jahrzehntelangen Verantwortung abfällt.» Bis es so weit ist, wird er seinen jetzigen Assistenten Fabian Glauser ab dem kommenden Jahr sukzessive auf sein Erbe vorbereiten und diesem Verantwortung abgeben. «Fachlich und technisch weiss Fabian eigentlich schon fast alles», sagt Stöckli. «Doch er muss noch lernen, gegen aussen ein wenig energischer aufzutreten.» Gegenüber Bauherrenvertretern und Handwerkern gelte es zuweilen sehr hartnäckig zu sein, um Schlampereien vorzubeugen. «Man muss denen manchmal klipp und klar sagen: ‹Nein, das genügt so noch nicht›, und auch mal streiten können.» Bereits in Planungssitzungen müsse man sich aktiv einbringen und die Sicht des städtischen Brunnenmeisters vertreten. Und bei den Ausführungsarbeiten danach genau hinschauen. Sonst habe man nach ein paar Jahren an exakt jener Stelle den Salat – respektive den Leitungsbruch. «Von den Bauherren respektive den Handwerkern ist dann aber nichts mehr zu erwarten. Die sind dann nicht mehr verantwortlich und über alle Berge.»
Anders die Brunnenmeister. Nachdem die Ursache geortet und das Wasser abgestellt ist, flicken Stöckli und sein Assistent die Leitungsbrüche in aller Regel selbst, inklusive Grabung und Aufschüttung. Bis zu drei grosse Leitungen können in Bremgarten gleichzeitig ersetzt werden, wobei bei einer solchen Häufung die Werkhof-Gspändli natürlich helfen. Eine Herausforderung ist es deshalb auch, das Lager an Ersatzteilen à jour zu halten. «Eine Wasserleitung bestellst du nicht mal eben im Internet», schmunzelt Stöckli. Ausserdem gilt es exakt zu arbeiten – und dennoch schnell zu sein. «Denn die Menschen sind auf fliessend Wasser angewiesen. Klappt das einmal nicht, ist das Gejammer gross.» Deshalb gilt für einen Brunnenmeister stets die Devise: «Geht nicht gibts nicht!» Dieses Motto hat Stöckli über all die Jahre begleitet.
Neues Ämtli ohne Druck?
Man spürt es in jeder Aussage: Das Bremgarter Wasser ist für den 63-Jährigen nach wie vor ein riesiges Herzensanliegen. Die Verantwortung dafür bald aufzugeben, macht ihn deshalb schon auch ein wenig wehmütig. «Und doch ist es wirklich gut so», sagt er mit Nachdruck. Wer den Hermetschwiler kennt, weiss aber, dass er wohl nicht lange einfach wird still sitzen können. «Die Gefahr besteht – vielleicht sieht man mich dann bald in einem Kleinpensum woanders wieder», schmunzelt Stöckli.
Allerdings nicht mehr als Brunnenmeister, so viel stehe fest. «Ein kleines Ämtli zu übernehmen, das könnte ich mir schon vorstellen.» Irgendwas, wobei man nicht viel studieren müsse und keinen Druck habe. «Vielleicht Abfall sortieren oder so. Das wäre ein schöner Gedanke.» Doch auch wenn er schon bald nicht mehr um Mitternacht aus dem Bett springt, um irgendwo in der Stadt ein Leck zu flicken, wird Stöckli nie zu denen gehören, die teilnahmslos und unbekümmert den Wasserhahn aufdrehen können. Denn wenn einer weiss, was alles dahintersteckt, dann er.

