In Wohlen heimisch geworden

  14.07.2020 Wohlen

Nach fast einem Vierteljahrhundert geht die Ära Brun im «Rössli» zu Ende

Die Schliessung wegen Corona war nicht die erste Krise in der Gastrobranche, welche Madeleine und Herbert Brun meistern mussten. Aber es war die letzte. Am Sonntag, 19. Juli, öffnen sie die Türen zum «Rössli» zum letzten Mal. Dann geht es in den verdienten Ruhestand.

Chregi Hansen

Eine Austrinkete wird es nicht geben. «Wir sind still und leise gekommen, wir werden jetzt still und leise gehen», sagt das Wirtepaar Madeleine und Herbert Brun. Bis zum 19. Juli werden sie ihre Gäste normal empfangen und bewirten, dann ist Schluss. «Time to say goodbye», so das Motto der letzten Wochen. Madeleine Brun geht in Pension, ihr Mann wird noch ein Jahr arbeiten. Wo, das steht noch nicht fest. «Aber sicher in der Gastronomie», sagt er.

Denn etwas anderes können sich die beiden nicht vorstellen. Ein Leben für den Gast – so lässt sich ihre Geschichte umschreiben. Madeleine Brun ist gelernte Köchin, Herbert ist eigentlich Metzger, aber mittlerweile auch schon 44 Jahre in der Gastronomie tätig. «Wir sind mit Leib und Seele Wirte», sagen sie. Und sie sagen es mit Stolz. Sie schielten nicht nach dem schnellen Geld, ihnen war es wichtig, in ihrem Betrieb etwas aufzubauen. Und das ist ihnen gelungen. «Wir haben eine wunderbare Stammkundschaft, aber bei uns ist jeder willkommen. Vom Büezer über die Vereine bis zu Familienfeiern und Geschäftsessen», sagt Herbert Brun.

Dem Grundkonzept immer treu geblieben

Stolz erzählt er die Geschichte des jungen Paars, das regelmässig ins «Rössli» zum Essen kam. Irgendwann wurde die Frau schwanger und bestellte immer das gleiche Menü. «Das Kind kam zur Welt. Einige Zeit später kam der Mann zu mir und fragte, ob es dieses Menü zum Mitnehmen gibt. Da war mir klar, was das bedeutet, das zweite Kind war unterwegs», lacht Brun. Mittlerweile fanden im «Rössli» die Taufen, Kommunions- und Firmfeiern aller vier Kinder statt. «Und wenn wir noch bleiben würden, hätten wir wohl bald die ersten Hochzeiten der Jungen.»

Fast ein Vierteljahrhundert hat das Ehepaar die Traditionsbeiz geführt. Eine eindrücklich lange Ära in einer Zeit, wo anderswo die Wirte im Halbjahrestakt wechseln. «Die Konkurrenz ist spürbar, aber Konkurrenz belebt das Geschäft», sagt Madeleine Brun. Eine gewisse Zeit seien die jüngeren Gäste dem «Rössli» ferngeblieben, hätten lieber exotisch gegessen oder in Trendlokalen. «Aber inzwischen kommen sie wieder zurück und schätzen, was wir anbieten», freut sich die Wirtin. Feine saisonale und gutbürgerliche Küche auf hohem Niveau, das war stets das Ziel. «Und ich denke, das ist uns gelungen. Unsere Gäste sind jedenfalls begeistert», sagt die gelernte Köchin.

Vom See an die Bünz

Am 1. Oktober 1996 haben sie das Lokal übernommen. Zusammen mit ihren beiden Kindern sind sie von Weggis nach Wohlen gezogen. Am Vierwaldstättersee führten sie zuvor einen Hotelbetrieb mit 35 Angestellten. Feriengäste aus Wohlen hatten sie auf das Restaurant in Wohlen aufmerksam gemacht. «Und wir wollten wieder näher zum Gast, nicht mehr einen solch grossen Betrieb führen», sagt Madeleine Brun. Hier im Freiamt haben sie sich einen Namen gemacht. Dabei waren die Anfänge gar nicht so leicht. «Nach dem Terroranschlag in New York 2001 gingen die Gästezahlen markant zurück. Viele hatten Angst um ihren Job und verzichteten auf das Essen auswärts», erinnert sich Herbert Brun.

Einige Zeit haben sie sogar mit einer Rückkehr in die Innerschweiz geliebäugelt. Doch spätestens mit dem Hauskauf am Rebberg war das Thema dann vom Tisch. Heute sind die beiden froh, sind sie geblieben. «Es war nicht immer eine einfache Zeit, aber am Schluss bleiben einem vor allem die positiven Erlebnisse in Erinnerung», sagen sie. Immer wieder waren sie mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Etwa die Reduktion der Promillegrenze im Verkehr, das Rauchverbot, Covid-19. Während andere Wirte jammerten, haben die «Rössli»-Wirte die Situation zum Anlass genommen, den Betrieb zu überdenken.

Angefangene Schnapsfaschen für die Fasnachtsvereine

«Man darf nicht stehen bleiben, muss sich immer weiterentwickeln», so der Ratschlag von Madeleine Brun, die sich selber stetig weitergebildet hat, die Ausbildung zur Chefköchin machte, sich im Verband engagierte und auch immer Lehrlinge ausgebildet hat. Die beiden haben zudem ein gut laufendes Catering aufgebaut, den Mahlzeitendienst für Senioren, es gab ausverkaufte Jazzkonzerte und legendäre Fasnachtsnächte. «Die Fasnacht war immer eine anstrengende, aber auch schöne Zeit», schaut Herbert Brun zurück. Mit den Fasnachtsgesellschaften fühlt sich das Paar denn auch verbunden – als Dank haben die beiden ihnen alle angefangenen Schnapsfaschen geschenkt. «Für den nächsten Umzugswagen», wie sie schmunzelnd erzählen.

Auch beim Personal hatte das Wirtepaar meist Glück – viele Mitarbeiter blieben ihnen über Jahrzehnte treu. Ein besonderer Coup gelang ihnen, als sie vor 12 Jahren Rita Camenzind nach Wohlen lockten. Sie hatte zuvor in einem Gault-Millau-Betrieb gearbeitet. «Sie war für uns wie ein Sechser im Lotto. Es ist unglaublich, wie schnell und auf welch hohem Niveau sie kocht und wie sie die Arbeit im Griff hat, damit auch bei vollem Haus niemand lange warten muss», schwärmt Herbert Brun. Und 2011 folgte ein weiterer Höhepunkt – die Aufnahme des «Rössli» Wohlen in die Gilde. Weniger als ein Prozent der gesamten Schweizer Gastronombetriebe erlangt Zugang in diesen etablierten Kreis. Mit dem Weggang verliert das Restaurant den Gildenstatus wieder.

Grosse Dankbarkeit

Inzwischen sind Madeleine und Herbert Brun Grosseltern geworden. Sie freuen sich auf etwas ruhigere Zeiten. Und trotzdem – wären sie noch einmal jung, sie würden wieder in die Gastronomie gehen. «Gastgeber zu sein ist eine schöne Aufgabe», sagen sie. «Man ist zwar gefordert, aber bleibt in Bewegung. Und man hat ganz viele Möglichkeiten», sind sie überzeugt. Jetzt geniessen sie die letzten Tage und verabschieden sich von den vielen Stammgästen, die alle noch ein letztes Mal zum Essen kommen. Am 19. Juli ist dann endgültig Lichterlöschen. Geht eine Ära im «Rössli» zu Ende. «Wir sind dankbar für alles, was wir hier erleben durften», sagen die beiden Wirte zum Schluss. Und dankbar sind auch die vielen Gäste für das, was die beiden fast ein Vierteljahrhundert lang hier geleistet haben.


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