Zwischen Welten

  25.09.2020 Region Oberfreiamt

Martin Köchli war der bisher einzige Grüne des Bezirks Muri im Grossen Rat

Sie waren unter den Ersten in der Region, die ihren Landwirtschaftsbetrieb biologisch führten. Es ist nicht der einzige Entscheid, mit dem Martin Köchli aneckte. An seiner Seite steht seit Jahrzehnten seine Frau Josy. Er ist extro-, sie introvertiert. «Wir ergänzen uns, in jeglicher Hinsicht.»

Annemarie Keusch

«Der Plan lag bereit, als ich auf die Welt kam», sagt Martin Köchli, geboren und aufgewachsen in Weissenbach. Nach drei Töchtern gebar seine Mutter einen Sohn. Landwirt lernen, den Hof übernehmen. Der Weg war für die Ältesten in diesen Jahren vorbestimmt. Martin Köchli wählte eine andere Route, auch wegen seiner Frau Josy. Die gelernte Krankenschwester wollte nach Afrika, gemeinsam lebten sie fünf Jahre in Zaire, der früheren Kolonie Belgisch-Kongo. Köchlis haben aus diesen Jahren vor allem eine Überzeugung mitgebracht: «Wir kommen nicht darum herum, global zu denken.»

Bildhauerin und Dichter

Mit nach Hause genommen haben sie auch die Idee der biologischen Landwirtschaft. «Nach den Erfahrungen mit den Klein- und Kleinstbauern war uns klar, dass es nur so gehen kann – besonders in ärmeren Regionen.» Köchlis probierten es auch zu Hause, stellten ihren Betrieb um, als Erste der Region. Dafür steckte die Familie einiges ein. Nicht nur die Eltern wurden «schräg angeschaut» und verbal angegriffen. Auch die Kinder mussten Sprüche einstecken in der Schule.

Martin Köchli ist aber nicht nur Biobauer und seine Frau stärkt ihm nicht nur im Hintergrund den Rücken. Er ist Philosoph, Dichter, macht Führungen in der Wyssenbacher Sagi, mag lange Ausritte auf seinem Pferd und war der erste Grüne des Bezirks Muri im Grossen Rat. Sie wollte eigentlich Bildhauerin werden, lebt diese künstlerische Ader jetzt rund ums Haus aus und sagt: «Vielleicht hätte ich auch in die Politik einsteigen sollen.» Sie sei dazu aber wohl zu ruhig. Interessiert hat sie das Thema immer, mit ihrem Mann über politische Themen zu diskutieren, zu philosophieren, das mag sie. Im kleinen Weiler Weissenbach haben sich die beiden ihr Leben eingerichtet, in der Stille, aber in der Meinungsäusserung auch mal laut; in der Gemeinschaft, aber mit ihren ganz eigenen Ideen.


Ein Blumen- und Ährenstrauss

Josy und Martin Köchli sind in vielen Welten – und vor allem in Weissenbach – zu Hause

Martin Köchli ist ein Mann mit vielen Facetten. Seine Frau Josy steht ihm seit Jahrzehnten zur Seite. «Unser Leben ist wie ein Blumenstrauss, jede Facette braucht die andere», sagt Martin Köchli. Eine Annäherung an einen Mann, der im Freiamt mit seinen Ideen ein Pionier war.

Annemarie Keusch

Ein Plädoyer für das einfache Leben. Martin Köchli hat das Buch extra für den Interviewtermin bereitgelegt. «Die unerschöpfliche Kraft des Einfachen» heisst es. «Faszinierend», sagt Köchli. Stimmen von Eremiten, Einzelgängern, sie inspirieren Josy und Martin Köchli. Im Buch lesen sie immer mal wieder, sehen Aspekte aus ihrer Kindheit darin. Josy Köchli wuchs in Luthern auf einem «Berheimet» auf, kein Wasser und kein Strom im Haus. Einfach leben die Köchlis in Weissenbach immer noch – vis-à-vis der alten Mühle, im Tobel. «Heute zwar mit Wasser und Strom und dem Subaru vor dem Haus, aber immer noch ohne ÖV, Trottoir und Schiene», sagt Martin Köchli und lacht.

Das einfache Leben, es ist das, was sie mögen. Die Holzdecke der Stube ist tief, ein Werk des Emmentaler Künstlers Martin Schürch symbolisiert Weltverbundenheit. Von den Wänden strahlen die Gesichter der Enkel. Sie stehen für die Verantwortung kommender Generationen gegenüber. «Unsere Aufgabe ist hier», sagt Josy Köchli. Ein anderes Leben habe sie sich nie gewünscht, vor allem nicht, als mit der Geburt der Kinder die Verantwortung kam. Martin Köchli spricht von einer Übung zwischen Leben und Tod. So hat man ihm von seiner eigenen Geburt erzählt. «Mit Karabinern haben sie Salutschüsse abgefeuert, vor Freude», sagt er. Nach drei Töchtern war er der erste Sohn seiner Eltern, der Stammhalter, der Nachfolger auf dem Landwirtschaftsbetrieb, die Zukunft. «So war das damals.» Der Plan lag bereit, um umgesetzt zu werden.

Bekannt durch Politik

Martin Köchli machte aber vieles anders, als es zu Beginn seines Lebens eigentlich vorgespurt war. Er wurde unter anderem Politiker – und mit seiner Wahl in den Grossrat des Kantons 2009 der breiten Öffentlichkeit bekannt. «Das Gefühl, dass sich etwas ändern soll und muss, brachte mich in die Politik», sagt er. Früher sei er eher ein phlegmatischer Träumer gewesen. Und auch seine Frau Josy ist politisch, aber nur zu Hause. «Ich habe mich nie getraut, meine Meinung in die Öffentlichkeit zu tragen, Martin schon.» Lange fühlte er sich der CVP politisch nahe. «Der Riss kam, als sie vom Biolandbau nichts wissen wollten und ich nichts von Atomkraftwerken.» Er wurde von den Grünen angefragt, war der erste Grüne, der für den Bezirk Muri im Grossen Rat sass. Das mögliche Schulfach Glück machte ihn medial bekannt, abgewählt wurde er 2012 trotzdem. «Knapp, wie ich vier Jahre zuvor gewählt wurde.»

Zwischen Tradition und Entwicklung

Etwas ändern wollen, dieses Gefühl beschlich Martin Köchli schon früh. Er spricht vom Spannungsfeld zwischen Tradition und Entwicklung. Und meint damit den elterlichen Bauernhof, den er in dritter Generation übernahm. Aussiedeln war ein Thema. «Ich sah nur steile Hänge und viele Gebäude, die es zu unterhalten galt», erinnert er sich. Denn zum Landwirtschaftsbetrieb gehörte auch die Sagi. Die Mühle und die Bäckerei waren wegen der fehlenden Rentabilität schon damals geschlossen. «Es war eine Ansammlung funktionsloser Strukturen, die ich in den 70er-Jahren übernahm.»

Prägende Jahre in Zaire

An der Hochzeit von Josy Köchlis Schwester war es, als sich die beiden kennenlernten. «Ich war in einer verzweifelten Bauer-ledig-sucht-Situation damals», meint Martin Köchli lachend. Zufall wars, dass er für einen geladenen Gast die Stallarbeit übernahm und als Dank an das Nachtessen eingeladen wurde. Dort trafen sie sich. Und Josy Köchli war es auch, die ihn dazu bewegte, den Hof nicht zu verkaufen. «Ich spürte etwas Spezielles an diesem einzigartigen Ort und spüre es noch immer.» Josy Köchli spricht von positiver Energie, mittlerweile gepaart mit Heimatgefühl.

Seine Frau war es auch, die mit der Idee kam, für einige Jahre nach Afrika zu gehen. «Mir kam das gerade recht. Ich brauchte Abstand, sah vor lauter Problemen und Herausforderungen die Freude kaum mehr.» Dauerstress, sagt Martin Köchli rückwirkend. Und Josy Köchli sagt: «Wenn ich ledig geblieben wäre, wäre ich sowieso nach Afrika gegangen.» 1978 gingen sie als junge Familie und lernten in diesem Projekt die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen kennen, die es braucht, damit Heimat entsteht. Die Zeit in Zaire, der früheren Kolonie Belgisch-Kongo bezeichnen beide als prägend. Prägend für das, was später in ihrem Leben kam und was sie heute noch betonen: «Wenn es dort zum Davonlaufen ist, dann kommen sie zu uns», warnte Martin Köchli schon damals.

Gemüse für den Bremgarter Markt

Aus Afrika brachte er zudem die Überzeugung des biologischen Anbaus mit. «Es wäre für uns nicht mehr vertretbar gewesen, herkömmliche Landwirtschaft zu betreiben», sagt er. Vor allem finanziell sei das für die Klein- und Kleinstbauern in Afrika die einzige Möglichkeit. «Kunstdünger, Pestizide und Fungizide kann sich dort niemand leisten.» Hinzu kommt der ökologische Aspekt – für Köchlis seit jeher ein gewichtiger. Also stellten sie den Betrieb auf Bio um.

Heute ist vieles anders. Sie haben ihren Landwirtschaftsbetrieb ihrem ältesten Sohn weitergegeben. Der Gemüseanbau und die Viehhaltung sind nicht mehr zentral. «Das ist der Lauf der Zeit, auch wenn es vor allem für mich nicht einfach war und ist, das zu akzeptieren.» Gemüse bauen Josy und Martin Köchli noch immer mit viel Leidenschaft an. Tomaten, Auberginen, Zucchetti und, und, und. Am Markt in Bremgarten bieten sie die Ware zum Verkauf an. Daneben sind Ausritte mit Pferd Pasco und das Singen im Chor für Martin Köchli Lebensfülle pur. Und die Sagi, auch dort ist er immer noch täglich, führt Sägeaufträge aus, macht Führungen. «Zukunft braucht Herkunft.» Martin Köchli sagt den Satz mehrmals. Josy Köchli schmunzelt zustimmend.

Freunde des geschriebenen und gesprochenen Wortes

Köchlis gehörten zu den ersten Landwirten im Freiamt, die auf den biologischen Anbau setzten. Mit vielen Sprüchen wurden sie dafür eingedeckt, ein Sohn trägt heute noch den Spitznamen «Bio». «Nur einfach war das nicht», sagt Martin Köchli. Die Landwirtschaft sei damals noch stark vom Krieg und von Not geprägt gewesen. Sätze wie «Willst du zurück in die Hungersnot?» bekam er oft zu hören. «Doch wir waren überzeugt, zu hundert Prozent», sagt Josy Köchli. Sie haben es durchgezogen, samt Klischees. Die beiden lachen. «Ja, wir hatten schon ab und zu ein Chaos rund um Haus und Hof, wie es den Biobauern eben nachgesagt wird.»

Martin Köchli ist Dichter, Philosoph, liebt das gesprochene, aber auch das geschriebene Wort. Darum gehören ebendiese über die Wunschzukunft mit seiner Frau Josy und der ganzen Menschheit ihm:

E Mönschheit, wo d Gränze tuet wyt öbersprenge

Wo n es neus Gsecht för die Wält wett lo glenge

es Gsecht, wo Frede ond Liebi usstrahlet

wo nömme met falschem Schyn omeprahlet

E Mönschheit, wo n es neus Glychgwecht wett fende

wo wett, dass die Wält ond d Natur eusne Chende

weder e Heimet ond Hoffnig cha sy wo Hochmuet ond Stolz send tot ond verby

Wo Flyss ond Freud eus alli treid wo Treu ond Glaube nie verseid

wo die, wo arm ond machtlos send z’mettst enne, ned am Rand oss stöhnd

Öberall es Zeiche setze wo mer chönd, e Hoffnig sy

emmer mahne, nie verletze cha doch gfreuti Ufgab sy.


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