AUS DEM GROSSEN RAT
24.10.2025 Kolumne, Region OberfreiamtEin Tag der Kontraste
Der 21. Oktober wird als Tag der politischen Kontraste in die Geschichte des Aargauer Grossrats eingehen. Mit knappen Mehrheiten hat das Parlament gleich zwei Volksinitiativen zur Annahme empfohlen, beide mit weitreichenden Folgen ...
Ein Tag der Kontraste
Der 21. Oktober wird als Tag der politischen Kontraste in die Geschichte des Aargauer Grossrats eingehen. Mit knappen Mehrheiten hat das Parlament gleich zwei Volksinitiativen zur Annahme empfohlen, beide mit weitreichenden Folgen für die Bevölkerung.
Sozialhilfe-Initiative: kürzen statt stärken. Mit 67 zu 64 Stimmen sprach sich der Grossrat für die Initiative der Jungen SVP aus, die eine Kürzung des Grundbedarfs um mindestens fünf Prozent nach zwei Jahren Sozialhilfebezug verlangt. Die Befürworter (SVP und FDP) sehen darin ein Mittel gegen «Dauerbezug» und für mehr Eigenverantwortung, argumentieren, Sozialhilfe sei eine temporäre Unterstützung und dürfe nicht zur Dauerlösung werden. Diese Sichtweise verkennt die Realität vieler Betroffener. Sozialhilfe ist oft das letzte Auffangnetz für Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen in Not geraten sind: Krankheit, familiäre Umstände, wirtschaftliche Umbrüche. Eine pauschale Kürzung nach zwei Jahren ignoriert individuelle Lebenslagen und setzt auf Druck statt auf Perspektiven. Die Gegner (Mitte, SP, Grüne, EVP und GLP) sowie die Regierung warnen vor wachsender Armut und sozialer Ausgrenzung. Besonders irritierend ist, dass die Initiative trotz rückläufiger Sozialhilfequote befürwortet wurde, obwohl die bestehenden Instrumente Wirkung zeigen. Der Entscheid des Grossrats sendet für mich ein fragwürdiges Signal: Statt auf nachhaltige Lösungen, Bildung und Arbeitsintegration zu setzen, wird auf symbolische Härte gegenüber den Schwächsten gesetzt. Ich wünsche mir, dass die Bevölkerung differenzierter urteilt als die knappe Mehrheit im Parlament. Die Abstimmung am 8. März 2026 wird zeigen, ob die Bevölkerung diesen Kurs mitträgt.
«Blitzerabzocke»-Initiative: mehr Kontrolle, weniger Willkür? Mit 72 zu 65 Stimmen empfahl der Grossrat auch die Initiative «Blitzerabzocke stoppen!» der Jungfreisinnigen zur Annahme. Sie fordert eine Bewilligungspflicht für stationäre Radar- und Rotlichtanlagen sowie eine zeitliche Begrenzung für semistationäre Geräte. Hintergrund ist die Kritik an der einzigen fixen Anlage in Baden, die seit Jahren für politischen Zündstoff sorgt. Die Befürworter sind erneut SVP und FDP. Sie sehen darin ein Gebot der Fairness und Transparenz. Doch die Gegner (Mitte, SP und Grüne) kritisieren zu Recht, dass diese Regelung massiv in die Gemeindeautonomie eingreift. Pikant: Ausgerechnet die SVP, die sonst vehement für kommunale Selbstbestimmung eintritt, unterstützt hier eine kantonale Regulierung. Ein Widerspruch, der zeigt, wie flexibel Prinzipien werden können, wenn es um populäre Anliegen geht. Ja, die Initiative mag populär sein, doch sie kratzt an einem Grundpfeiler der föderalistischen Ordnung. Wer Gemeindeautonomie nur dann verteidigt, wenn es ins eigene Narrativ passt, verliert an Glaubwürdigkeit.
Ein Grossratstag mit ambivalentem Signal: Während die Sozialhilfe-Initiative auf Sparpolitik gegenüber den Schwächsten setzt, will die «Blitzer»-Initiative staatliche Kontrolle über Überwachungstechnologien stärken. Beide Entscheide spiegeln ein Misstrauen gegenüber bestehenden Systemen, sei es gegenüber Sozialhilfebeziehenden oder kommunalen Verkehrsbehörden. Es liegt nun am Stimmvolk, diese Weichenstellungen zu beurteilen.

