Herz-Schmerz

  06.04.2023 Hägglingen, Region Unterfreiamt

«GlücksPost»-Chefredaktor Leo Lüthy aus Hägglingen legt sein Amt nieder – und wartet auf ein Spenderherz

Im People-Journalismus hat er Karriere gemacht. Leo Lüthy verfolgte die letzten 40Jahre die Stars und Sternchen dieser Welt. Der 60-Jährige muss nun aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten. Lüthy spricht über Begegnungen mit Weltstars und wieso sich sein Leben vor über einem Jahr abrupt geändert hat.

Stefan Sprenger

Brrr. Brrr. Das Handy vibriert auf dem Tisch. Sofort schaut Leo Lüthy auf den Bildschirm. Den Anrufer drückt er weg. «Ich bin auf Abruf. Ich warte auf ein Spenderherz. Wenn sie anrufen, dann muss es ganz schnell gehen.» Er erzählt dies ohne grosse Emotionen. Als würde es sich um jemand anderen handeln. «Verdrängung», meint Lüthy.

Vom Elektriker zum Chefredaktor

Seine Lebensfreude, der Schalk des Journalisten, der immer alles wissen will, beides ist nach wie vor da. Lüthy sagt, er habe «einen der geilsten Jobs der Welt». Nie wurde es ihm langweilig. Als junger Mann machte er die Lehre zum Elektriker in Dottikon. Doch sein Weg geht in eine ganz andere Richtung. «Ich konnte in der Schule immer sehr gut Aufsätze schreiben», erzählt er beim Gespräch im Rüebliland-Café in Wohlen. Er will Journalist werden. Und er wird ein Schwergewicht im Schweizer Journalismus. 1983 absolviert er die Ringier Journalistenschule, arbeitet dann beim «Blick». Zehn Jahre später wird er bei der Boulevard-Zeitung Chefreporter. Von 1995 bis 2004 ist er in dieser Funktion beim «Sonntags-Blick». Danach ist Lüthy für zwei Jahre bei der Fernsehzeitschrift «TV Star». Erst als Redaktor, dann als Mitglied der Chefredaktion. 2016 kehrt er zu Ringier zurück, wird stellvertretender Chefredaktor der «GlücksPost» – ein Jahr später ist er der alleinige Chef.

Dinge sehen, die sonst keiner sieht

Was waren die wirklich guten Geschichten in seiner Journalistenkarriere? Lüthy drückt Zeigefinger und Daumen auf seine Nasenlöcher und überlegt. «Immer, wenn ich jemanden aufspüren musste.» Beispiel: Hansjörg Enz. Der Ex-Tagesschaumoderator versteckte sich in einem Kloster in Slowenien. Nachdem er seinen Job verloren hatte, wollte er vor der Welt flüchten und untertauchen. Niemand wusste, wo er ist. Doch Leo Lüthy hat ihn gefunden. «Als ich an die Tür des Klosters klopfte und Hansjörg mich gesehen hat, ist er sehr erschrocken.» Lüthy muss lachen. Menschen zu finden, das mochte er. Im Journalisten steckt auch ein Detektiv. Auch den leiblichen Vater von DJ Bobo habe er in Italien aufgespürt.

Eine seiner grössten Stärken ist es, Dinge zu sehen, die sonst keiner sieht. Menschen aufspüren, Geschichten finden. Wenn man «Leo Lüthy» googelt, ist die Geschichte über den Freiämter Olympia-Bobfahrer Christian Reich eine der ersten Storys, die erscheinen. Gefunden hat er die Geschichte in dieser Zeitung. Lüthy hat sie dann für die «GlücksPost» aufgearbeitet. Christian Reich erlitt vor wenigen Jahren einen Schlaganfall. Lüthy macht den Titel: «Wie ihn das Leben aus der Bahn warf». Ein Titel, der auch auf die Geschichte von Leo Lüthy passen würde.

Herzinfarkt im Frühjahr 2022

Frühjahr 2022. «Es war ein Montagmorgen», erzählt er. Auf der Redaktion der «GlücksPost» spürte er plötzlich einen intensiven Schmerz in der Brust. Schon zuvor merkt er mehrere Male ein komisches Gefühl in der Brust- und Bauchgegend. «Es waren wohl kleinere Herzinfarkte.» Zum Arzt ging er nicht. «Ich dachte, es sei Magenbrennen.» An diesem Montagmorgen ist es definitiv ein Herzinfarkt. «Alles nicht so schlimm. Das kommt wieder gut», dachte er sich. In den folgenden Monaten muss er dreimal am Herzen operiert werden. Stents, Bypass, das volle Programm. Auf der Intensivstation im Universitätsspital Zürich kriegt er viel mit, was mit ihm – und um ihn herum – geschieht. Lüthy kommt wieder auf die Beine, erholt sich in der Klinik Barmelweid. «Mensch war das langweilig.»

Brrr. Brrr. Das Handy vibriert auf dem Tisch. Irgendein Beat ruft an. Lüthy blickt sofort auf den Bildschirm, drückt den Anrufer emotionslos weg. «Bitte keine Krankheitsgeschichte machen», sagt er.

Kaffee mit den Hollywood-Stars

Lüthy hat aus 40 Jahren im People-Journalismus genügend Erzählstoff bereit. Er hat Roger Federer getroffen – mehrmals. Mit Hollywood-Star Michael Douglas hat er Kaffee getrunken. Er sass an einem Anlass zwischen Steven Spielberg und Meryl Streep. Und mit dem Schweizer Filmproduzenten und mehrfachen Oscar-Preisträger Arthur Cohn sei er oft unterwegs gewesen. Auch wenn Leo Lüthy mit den ganz grossen Stars dieser Welt zu tun hatte, ist er selbst nie abgehoben. «Man sollte sich nicht blenden lassen, man sollte geerdet bleiben und wissen, wo man hingehört», sagt er.

«Jacky», der Jackpot

Und wo gehört Leo Lüthy hin? «Hier. Ins Freiamt.» Die Mutter eine Hägglingerin, der Vater ein Wohler. Er ging in Hägglingen in die Unterstufe, in Wohlen in die Bezirksschule. Gewohnt hat er in Dottikon, Hägglingen und Wohlen. «In der Ex-Bude von Andy Hug», wie er erwähnt. Hier im Freiamt, besonders in Hägglingen und seinem Heimatort Wohlen, da kennt man Leo Lüthy. Den Menschen, nicht den Journalisten. «Das ist Heimat.» Seine Frau Jacqueline (ledig: Geissmann) lernt er schon in der Schulzeit kennen. «Sie ist meine erste und einzige Liebe.» Nach diesem Satz lächelt er und wirkt gleich ein wenig glücklicher. Man merkt: «Jacky» ist sein Lebens-Jackpot. Sie heiraten 1990. Mit ihr hat er drei Kinder. Luca, Lara, Sergio. Letzterer schlägt auch eine Journalistenkarriere ein.

Das freut den Vater. Das weckt Erinnerungen an seine Anfangszeiten. Er habe sich mal bei dieser Zeitung beworben. «Ich hatte eigentlich schon zugesagt.» Als er die Büros gesehen hatte, machte er aber einen Rückzieher. «Die waren mir zu abgenutzt.» Beim Verlagshaus Ringier hat er das gefunden, was ihm gefiel. Unterhaltung. Prominente. Lifestyle. Und doch sind es andere Geschichten, die in seiner Laufbahn das Prädikat «unvergesslich» erhalten haben. 1989 begleitete er für den «Blick» die Camel-Trophy. Eine Art Rallye mit Expeditionscharakter. Drei Wochen war er im Amazonas in Brasilien unterwegs. «Genial» war das. Seine Texte für den «Blick» wurden im Dschungel vakuumverpackt und nach Zürich transportiert. Per Helikopter.

Herz hat 22 Prozent Leistung

Ein Helikopter könnte ihn auch jetzt jeden Moment abholen. «Ich muss rund um die Uhr telefonisch erreichbar sein», sagt er. Nach seinem Herzinfarkt und den Operationen diagnostizierte man ein grösseres Problem mit dem linken Herzmuskel. 22 Prozent Leistung hat sein Herz noch. Beim Treppensteigen geht ihm schnell die Luft aus. «Aber es geht mir den Umständen entsprechend gut.» Leo Lüthy musste vor einem Plenum antreten und Auskunft über sein Leben geben. Er wurde von Kopf bis Fuss medizinisch durchgecheckt. «Die wollten alles wissen.» Die Ärzte mussten dann entscheiden, ob er auf die Liste für ein Spenderherz kommt oder nicht. Die Antwort: «Ja.» Nun wartet er auf den Anruf.

Lüthy erzählt dies ohne Gefühlsregungen. «Ich nehme einen Tag nach dem anderen. Das kommt gut», sagt er. Und ja, es ist auch gewissermassen ein Verdrängungsmechanismus. «Was bleibt mir anderes übrig?» Es gilt: Je schneller er ein neues Herz bekommt, umso besser ist es. Die Chance, dass sein Körper das Herz annimmt und nicht abstösst, schätzt er (nach Angaben der Ärzte) auf 86Prozent. «Das ist doch ganz gut.»

Gesund werden – und reisen

Im Zeitungsständer des Rüebliland-Café sind die letzten drei Ausgaben der «GlücksPost». Seine «Glücks-Post», die während vieler Jahre die meistverkaufte Zeitschrift an den Schweizer Kiosken war. Die vornehmlich weibliche Leserschaft zwischen 50 und 100 Jahren musste in den vergangenen Monaten grösstenteils auf die Beiträge von Chefredaktor Lüthy verzichten. Er musste massiv reduzieren, zurückschrauben, zur Ruhe kommen. Verständlich. Denn: Erholung ist wichtig. Vor wenigen Tagen – per Ende März – hat er sein Amt als Chefredaktor niedergelegt. In Zukunft wird er noch als Autor und Berater für die «GlücksPost» arbeiten. Er hat noch viele Geschichten im Kopf, die er realisieren möchte. Und er möchte mehr Zeit haben. Für die Familie, seine «Jacky» und das Reisen. Er liebt Safaris in Afrika. Die Tierwelt fasziniert ihn. Ein grosser Traum: «Die Victoriafälle und das Okavango-Delta will ich unbedingt einmal sehen.»

Brrr. Brrr. Das Handy vibriert. Lüthy blickt sofort auf den Bildschirm. Wieder ruft Beat an. Er drückt den Anruf weg.


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