Fast wie Aschenputtel

  21.10.2022 Wohlen

Das Model Sylvia Fragapane war einst die schönste Frau Österreichs und hat eine bewegende Lebensgeschichte

Ein Todesfall. Eine Schönheitskönigin. Ein Traumprinz. Was wie ein Märchen klingt, ist das Leben von Sylvia Fragapane. Das Model fand ihr Glück im Freiamt bei ihrem Ehemann aus Wohlen. Sie erzählt ihre besondere Geschichte, die dem Märchen von Aschenputtel gleicht.

Stefan Sprenger

Bevor die Mutter am Sterbebett ihre Augen für immer schliesst, sagt sie zu ihrer einzigen Tochter: «Liebes Kind, bleib fromm und gut. Ich will vom Himmel auf dich herabblicken.» So beginnt das Märchen von Aschenputtel der Brüder Grimm. Und so beginnt auch das Leben von Sylvia Fragapane.

Die Mutter stirbt, als sie fünf Jahre alt ist

1985. Ihre Mutter stirbt. Auf tragische Weise. Sylvia Fragapane ist damals fünf Jahre alt. Ein kleines, unschuldiges Mädchen. Ihr leiblicher Vater hat sie schon vor ihrer Geburt verlassen. Er hat die Familie einfach sitzen gelassen. Und jetzt das, dieser tragische Tod, diese Ohnmacht. «So war das», sagt Sylvia Fragapane, während sie sich ihre braunen Haare aus dem Gesicht streicht. «Ich war fortan ein Waisenkind.» Wenn sie an ihre Mutter denkt, dann ist es nicht dieser traurige Tod, der präsent ist, sondern sie rückt andere Dinge in den Vordergrund, die positiven Erinnerungen an die Mama. Sie versucht es zumindest. «In diesen fünf Jahren, die ich mit meiner Mama erleben durfte, hat sie mir viele gute Dinge in meinen Lebensrucksack gepackt. Beispielsweise, dass man jeden Tag versuchen soll, ein guter Mensch zu sein.» Oder wie man zu Aschenputtel sagte: «Bleib fromm und gut.»

Die schwierige Kindheit

Selbstbewusst. Sympathisch. Erzählfreudig. Sylvia Fragapane sitzt im Restaurant Marco Polo in Wohlen. Als sie den ersten Schluck ihres Cola Zero nimmt, erwähnt sie das Offensichtliche selbst: «Ja, es gibt Parallelen zu Aschenputtel.» Denn wie bei der Märchenfigur geht auch ihr Leben holprig weiter. Aschenputtel wächst bei der Stiefmutter auf, mit zwei bösen Stiefschwestern. Fragapane wächst bei lieblosen Pflegeeltern auf. Die Beziehung war schwierig. Kurz: «Es war keine schöne Kindheit.»

Der Wendepunkt in ihrem Leben

Im Märchen kündigt der König ein dreitägiges Fest an, wo sich der Prinz eine Frau aussuchen soll. Aschenputtel, das schöne Mädchen, wird von der Familie gemobbt und weiss gar nicht, dass es in Wahrheit sehr hübsch ist. Auch Sylvia Fragapane wusste als Teenager nicht, dass sie wunderschön ist. Während im Märchen das Fest des Königs den Wendepunkt zum Guten markiert, ist es bei Fragapane sehr ähnlich. Bei ihr ist es die Wahl zur Miss Vorarlberg. Auf den letzten Drücker hat sie sich angemeldet. Spontan. Einfach so. Am Ende der Veranstaltung trägt sie die Krone. «Diese Miss-Wahl war der schönste Anlass meines Lebens und hat alles geändert.» Sie gewinnt. Ein Auto, das sie nicht fahren darf, weil sie erst 17 Jahre alt ist. Viel mehr wert ist aber die Erkenntnis, dass sie eine wundervolle Ausstrahlung hat. «Das war mir vorher nicht bewusst. Denn in meiner Kindheit wurde mir das nie gesagt.» Fragapane – die damals noch Goriup hiess – gewinnt nicht nur ein Auto, sondern Selbstvertrauen.

«Wie in einem richtig guten Film»

Die junge Frau wird zehn Monate später zum «Best Model of Austria» gekürt. Ihre Modelkarriere rollt nun so richtig an. Ja, man kann sagen, dass sie den Laufsteg erobert. An den Modeschauen, bei denen sie als Model teilnimmt, wird die teure Haute Couture mit Security eingeflogen. «Wie in einem Film», sagt sie. Ihr Blick schweift kurz weg und kehrt mitsamt einem Lächeln zurück: «Wie in einem richtig guten Film.» Ihr Höhenflug geht weiter. 2002 wird sie zur «Missis Austria» gewählt. Während Aschenputtel das schönste Mädchen auf dem Fest des Königs ist, wird Fragapane zur Schönsten des ganzen Landes gekürt.

Ihr Lebensfilm wird zum Blockbuster. Die junge Frau, die eine Lehre im Elektrofachhandel absolvierte, plötzlich auf den Laufstegen dieser Welt anzutreffen. Paris. Mailand. New York. Oder Japan. In den letzten 25 Jahren arbeitete sie für viele bekannte Marken. Hugo Boss, United Colors of Benetton, Bogner, Max Mara. Es sind zu viele, um alle aufzuzählen. Seit Jahren modelt sie auch in der Werbebranche. Von unzähligen Unternehmen wurde sie im vergangenen Vierteljahrhundert schon gebucht. Und vermutlich hat sie jeder von uns schon auf irgendeinem Plakat oder Werbespot gesehen. Zuletzt durfte sie sogar Schauspiel-Luft schnuppern in einer Mini-Serie namens «Schatten im Paradies». Ihre persönlichen Schatten sind verflogen. Sie ist im Paradies. Nach der schwierigen Kindheit ist ihr Leben heute «eigentlich perfekt», wie sie sagt.

Per Zufall den Traumprinz gefunden

Im Märchen verliert das bezaubernde Aschenputtel auf dem Fest seinen Schuh. So ist es dem Prinzen möglich, es schlussendlich zu finden – und zu heiraten. «Die Geschichte, wie ich meinen Traumprinzen gefunden habe, hat damit nichts zu tun, sie ist aber trotzdem unglaublich märchenhaft.»

Der Mann im Flugzeug und die Frau aus der Werbung

Es war einmal im Jahr 2009. Fabio Fragapane sitzt im Flugzeug nach Ibiza. Er will sich ein paar Tage Urlaub mit einem Kumpel gönnen. Der Wohler, der sich seinen Lebensunterhalt mit Musik verdient und Inhaber der Produzentenschule Schweiz ist, wühlt in der Sitztasche ein Magazin hervor. Vor dem «Takeoff» des Flugzeugs blättert er gelangweilt die Seiten durch. Bis er bei einer Benetton-Werbung zusammenzuckt. Das Model, das für das italienische Konfektionsmode-Unternehmen wirbt, ist brünett, hat lange Beine und ist hübsch. Sie gefällt ihm – auch wegen ihrer Ausstrahlung. «Eine Traumfrau. Die will ich kennenlernen», sagt Fabio Fragapane zu seinem Kumpel, der den Kommentar eher ungläubig zur Kenntnis nimmt.

Wochen später schlägt der Zufall zu. Durch eine gemeinsame Bekanntschaft lernen sich Sylvia und Fabio kennen. Sie schreiben einander Nachrichten auf Facebook. Dann treffen sie sich nach einer Mode-Show von Sylvia. Fabio Fragapane weiss nicht, dass Sylvia die Frau aus der Werbung ist. Das realisiert er erst später. «Ich wusste sehr schnell, dass wir füreinander bestimmt sind», erzählt Sylvia Fragapane. Sie verlieben sich. Sie heiraten. Sie ziehen zusammen. Sie bekommen eine Tochter. Sie hat ihren Traumprinzen gefunden. «Er ist mein Seelenverwandter, wir verleihen uns gegenseitig Flügel.»

«Die Region ist wunderschön»

Weil das Model an vielen Orten dieser Welt arbeitet und ihr Traumprinz sehr an seiner Heimat Wohlen hängt, ist für Sylvia Fragapane klar, dass sie zu ihm ins Freiamt zieht. Ein Schritt, den sie nicht bereut. «Die Region ist wunderschön», sagt sie. Ihr Wohnglück finden sie in einem Nachbardorf von Wohlen. «Immer, wenn ich nach Hause komme, zu meinem Mann, zu unserer Tochter, in unser schönes Haus, dann lächle ich. Das ist das schönste Gefühl der Welt. Mein Zuhause.» Aschenputtel hat ihr Glück gefunden.


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