Hoffnung für Hunde

  30.09.2022 Waltenschwil

«New Graceland» in Waltenschwil

Geboren, um zu sterben. Die Schicksale der spanischen Windhunde sind brutal. Jedes Jahr werden in Spanien Zehntausende Galgos für die Hasenjagd oder Windhundrennen gezüchtet. Kaum sind sie ihren Besitzern nicht mehr nützlich, werden die Tiere ausgesetzt oder getötet. Man geht aber von jährlich über 50 000 Tieren aus. Die Organisation «New Graceland» in Waltenschwil rettet ehemalige spanische Jagdhunde und andere Hunde in Not, päppelt sie auf, sozialisiert und beschäftigt sie und sucht für sie ein neues, schönes Zuhause. Mehr als 3500 Hunde konnten sie in über 20 Jahren retten und vermitteln. Ein Besuch der Auffangstation zeigt die Arbeit der Tierschutzorganisation. --sab


Würdiges Hundeleben ermöglichen

New Graceland in Waltenschwil gibt Hunden wieder Hoffnung

Furchtbare Schicksale von Hunden gibt es viele. Brutal sind auch die Geschichten von spanischen Windhunden. Die Auffangstation New Graceland rettet solche Tiere und gibt ihnen die Chance auf einen schönen und umsorgten zweiten Start in ein glückliches Hundeleben.

Sabrina Salm

Ein Hund mit Strick um den Hals läuft Tierrettern in der Nähe von Madrid zu. Sie wissen sofort, dieser Hund sollte am Galgen erhängt werden. Irgendwie gelang es der Hündin, sich loszureissen und zu entkommen. Sie hatte Glück und geriet in helfende Hände.

Heute heisst der Galgo Español Elsa und ist zurzeit in Waltenschwil in der Auffangstation New Graceland. Sie hat durch die gescheiterte Hinrichtung physiologische Schäden davongetragen. «Sie hat vor vielem Angst, versucht aber trotzdem alles immer wieder. Man spürt richtig: Sie will leben», erzählt Yasmin Strebel. Sie hat die Leitung Tierpf lege bei New Graceland. «Ich bin fasziniert von diesen Hunden. Sie haben so viel Schlimmes erlebt. Trotzdem schenken sie einem schnell Vertrauen, sind freundlich und anhänglich.»

Hunde haben in Spanien keinen Wert

Elsa ist einer von vielen Galgos. Alle teilen sie eine grauenhafte Vergangenheit. «Die Hunderasse ist beliebt für die Jagd. Besonders in Spanien. Ein Jäger hält nicht selten zehn bis zwanzig Hunde in seinem Rudel», erzählt Sarah Hegi, Vorstandsmitglied von New Graceland. Spanien ist eines der letzten Länder in Europa, in denen das Jagen mit einem Tier als Waffe noch erlaubt ist. «Sie werden für die sogenannte schöne Hasenjagd eingesetzt, das heisst, sie müssen im Zickzack die Beute jagen», berichtet Hegi weiter. Nach zwei bis drei Jahren haben die Hunde in den meisten Fällen ausgedient. Die Jäger, Galgueros genannt, können sie nicht mehr gebrauchen. «Sie werden regelrecht entsorgt.» Im besten Fall werden sie in Auffangstationen gebracht und warten dort auf die Todesspritze. Im schlimmsten Fall werden sie brutal beseitigt. Sie werden erhängt, mit Säure übergossen, in Brunnen geworfen oder ausgesetzt. «Wenn sie ausgesetzt werden, wird ihnen ein Bein gebrochen, damit sie nicht mehr nach Hause laufen können», berichtet Hegi und erklärt: «Die Galgos sind sehr auf ihre Menschen bezogen, auch wenn ihre Besitzer sie wie Abschaum behandeln.» In Spanien hätten die Hunde keinen Wert. Auch wenn seit diesem Jahr ein neues Gesetz in Kraft getreten ist, das besagt, dass Hunde ein fühlendes Wesen sind. «Die Jagdlobby hat eine Petition eingereicht, damit Jagdhunde von diesem Gesetz ausgenommen werden», sagt Hegi, «diese Lobby ist in Spanien leider mächtig.»

Wer nicht mehr schnell ist, wird ausgemustert

Aus diesen Gründen setzt sich der Verein «New Graceland» für Hunde, insbesondere der Rasse Galgo Espa- ñol, ein. Der Verein wurde 1999 von drei Frauen im luzernischen Sigigen gegründet. Der Ursprung zum Engagement im Tierschutz ist in der Rennszene zu finden. Ein entscheidender Moment war die Aufnahme von 40 Greyhounds im Jahr 2002. Die Hunde mussten wegen der Schliessung einer der letzten Hunderennbahnen in Italien vor dem sicheren Tod gerettet werden. Doch in Spanien werden nach wie vor Rennbahnen zu kommerziellen Zwecken betrieben. Es ist ein hartes Geschäft und es gilt das gleiche Gesetz wie bei der Jagd mit Galgos: Wer nicht mehr schnell genug oder zu alt ist, wird ausgemustert.

Nach einer Zwischenstation in Bilten konnte New Graceland 2014 in ein neu erbautes Tierheim in Waltenschwil umziehen. «Ein grosszügiger Spender hat den Bau einer Auffangstation ermöglicht. Seither vermietet er dem Verein die Station zu einem sehr niedrigen Mietzins.» Der Standort und die Lage seien ideal. «Der Umschwung ist toll und die Umgebung super für Spaziergänge», findet Hegi.

Ans Alltagsleben gewöhnen

Die Innenräume sind in mehrere Zimmer aufgeteilt. Jedes Zimmer hat einen eigenen kleinen Auslauf mit einem direkten Zugang zu mehreren Wiesen, auf denen die Hunde sich mehrmals am Tag austoben können. Hier in Waltenschwil hätten sie theoretisch Platz für 36 Hunde. Durchschnittlich bietet die Auffangstation jedoch für 20 geschundene Hundeseelen eine Zwischenstation. «Das halten wir bewusst so. Wir wollen ihnen Zeit geben und sie auf ein Leben in einem neuen Haushalt vorbereiten», informiert Sarah Hegi. In der Regel werden die Hunde in Spanien in kleinen Ställen gehalten. Oft kennen sie Geräusche, wie beispielsweise Strassengeräusche, nicht. Verschiedene Düfte oder auch das normale Alltagsleben sind ihnen fremd.

Von Blutfarm gerettet

Erst gerade Mitte September ist ein neuer Transport mit ausrangierten Hunden in Waltenschwil angekommen. Einer von ihnen ist Noa. Die weisse Galgo-Hündin weist viele Narben am ganzen Körper auf. Sie wurde aus einer sogenannten Blutfarm gerettet. Erst im Juni dieses Jahres wurden rund 200 Tiere, Katzen und Hunde, bei einer Razzia erlöst. «Auf solchen Blutfarmen wird den Tieren so viel Blut abgenommen, dass ihr Immunsystem nicht mehr funktioniert. Das Blut wurde an Tierarztpraxen verkauft. Ein lukratives Geschäft», so Sarah Hegi. Die Partnerorganisation von New Graceland in Spanien nahm gleich 20 Hunde auf. Weitere brachten sie in die Schweiz.

Noa ist nun in Waltenschwil «angekommen». Neugierig beschnuppert sie den Besucher. Aus ihren grossen braunen Augen strahlt so viel Freundlichkeit. Sie war in einem schlechten Zustand, als sie vor gut zwei Wochen im Freiamt ankam. Verbissen und abgemagert. «Mittlerweile geht es ihr besser. Sie hat auch schon ein Kilo mehr auf den Rippen», erzählt Yasmin Strebel. Sie kann auf einen grossen Erfahrungsschatz im Umgang mit Hunden schauen. Vom Diensthundewesen in Österreich zur Heimtierpf lege in der Schweiz, so Strebels Werdegang. Zurzeit absolviert sie noch eine Ausbildung zur Hundephysiotherapeutin. Mit ihr sind es drei Tierpflegende, eine Lernende, eine im Office und Praktikanten, die sich täglich um die Hunde kümmern. «Es ist eine körperliche, harte Arbeit. Diesen Job macht man aus Überzeugung.» Ebenfalls gibt es viele freiwillige Helfer, die auf Spaziergänge mit den Vierbeinern gehen.

Ins Wesen der Galgos verliebt

So eine freiwillige Spaziergängerin war auch Sarah Hegi aus Geltwil. Sie ist nun seit zwei Jahren im Vorstand tätig. «Ich wollte etwas Sinnvolles machen und stiess per Zufall auf New Graceland», erzählt sie. Zuerst war sie sich nicht sicher, ob sie mit Galgos etwas anfangen könne. «Ich gebe zu, es war nicht meine Rasse. Doch zum Glück bin ich trotzdem gegangen. Ich habe mich in ihr Wesen verliebt», sagt sie und streichelt die beiden spanischen Windhunde Selena und Mani. Die beiden trauen sich gerade auf der Auslaufwiese in den Regen. «Regen haben sie eigentlich überhaupt nicht gerne», lacht Hegi. Galgos seien ruhige, zutrauliche und sehr sensible Hunde. Sobald sie aber draussen sind, ist ihr Jagdtrieb sofort geweckt. «Das kann man ihnen nicht abgewöhnen. Dessen muss man sich bewusst sein.» Man müsse lernen, wie man mit einem Jagdhund umgeht. Hegi arbeitet 100 Prozent und kann deshalb keinen eigenen Hund aufnehmen. «Irgendwann bestimmt», sagt sie.

Ihre Vorstandstätigkeiten machen die Mitglieder ehrenamtlich. New Graceland finanziert sich vollumfänglich durch Spenden. Bis zu 400 000 Franken Ausgaben haben sie im Jahr. «Wir sind auf Spenden angewiesen», betont Sarah Hegi.

Qualität vor Quantität

Bisher konnten sie alle Hunde weitervermitteln. «Die Frage ist nur, wie lange es dauert», so Hegi. «Die Hunde haben ihr Rucksäckli. Wir wollen ihre Defizite nicht in Watte packen und kein Bild verfälschen.» Deshalb nehmen sie sich viel Zeit bei der Vermittlung. Drei Besuche sind Pflicht. Wer einen Hund will, soll sich gut mit dessen Charakter beschäftigen und schauen, ob der Hund zu ihm passt. Der Aufwand, bis der Tierheimhund einen neuen Platz hat, ist gross. «Wir setzen Qualität vor Quantität. Die Hunde waren schon einmal Wanderpokale und das soll nicht wieder vorkommen.» Seit sie so konsequent sind, seien die Rückgaben sehr gering.

New Graceland betreibt Tierschutz. Ihre Philosophie: «Jedes Lebewesen hat ein Recht auf ein adäquates Leben.» Nicht nur Galgos wird hier geholfen. Auch andere Rassen und Mischlinge nehmen sie auf. «Wir verschliessen unsere Augen auch nicht vor deren Elend», sagt Hegi. Sie wollen sensibilisieren. Sie sind der Meinung: «Das Leid, das von Menschenhand angerichtet wurde, sollte auch von Menschen wieder geradegebogen werden.» Das sei der Grund, weshalb New Graceland sich mit Leib und Seele für notleidende Hunde aus Spanien einsetzt.

Weitere Informationen unter www.newgraceland.org


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