Isoliert im Golfhotel

  11.01.2022 Wohlen

Marco Gwerder arbeitete und lebte während der Coronazeit in Indonesien und erlebte eine verrückte Zeit

Trotz Corona entschied sich Marco Gwerder, das laufende Projekt abzuschliessen. Die Folge: Seit bald zwei Jahren hat er seine Frau und seine Verwandten in der Schweiz nicht mehr gesehen. «Ich darf nicht klagen», sagt er trotzdem.

Chregi Hansen

In Kürze wird er seine Frau wieder in die Arme schliessen können. Nach fast zwei Jahren Trennung. Dabei war alles ganz anders geplant.

Marco Gwerder und seine Frau Siew Kuan reisten 2018 nach Kamerun und engagierten sich in einem Hilfsprojekt für Brunnenbau. «Es hat dort aber nicht so geklappt, wie wir uns das vorgestellt haben», erklärt Gwerder, «darum haben wir uns entschieden, das Projekt zu verlassen und etwas Neues zu wagen.» Seine Frau trat eine Stelle in Singapur an, er selber übernahm die Projektleitung für den Aufbau einer grossen Recyclinganlage für PET-Flaschen in Indonesien. Für ihn nichts Ungewöhnliches, war er beruflich doch schon in der halben Welt unterwegs. «Ich war schon in Indonesien, allerdings nur in Bali. Java ist komplett anders, das hat mich gereizt.» Und auch die Trennung erschien nicht als Hindernis. «Wir lebten zwei Flugstunden auseinander. Anfangs haben wir uns regelmässig besucht», berichtet Gwerder.

Doch im März 2020 trat Corona auf den Plan. Sowohl Indonesien wie auch Singapur schlossen die Grenzen. «Ich musste mich entscheiden, ob ich zurückkehren will oder nicht. Aber ich wollte dieses Projekt unbedingt erfolgreich abschliessen. Dies umso mehr, als andere ausländische Teammitglieder nach Hause gingen», berichtet er. Gwerder war einer der wenigen Ausländer, die das Land nicht verliessen. Seither erlebt er die Einschränkungen durch Corona in diesem asiatischen Land.

Plötzlich mit ganz vielen Problemen konfrontiert

Hätte er anders entschieden, wenn er gewusst hätte, wie lange Corona die Menschheit beschäftigen würde? Gwerder denkt nach. «Vermutlich nicht», sagt er. Natürlich war die Trennung von Frau und Familie nicht einfach. Und die Sorge vor einer Ansteckung war gross, denn die Gesundheitsversorgung in seinem Gastland ist nicht besonders gut. Zudem hatten die Coronamassnahmen auch Auswirkungen auf den Bau der Anlage. «Viele Spezialisten konnten nicht einfliegen. Wir mussten ganz viele Probleme online lösen, vieles hat sich immer wieder verzögert», berichtet Gwerder, der als Senior Construction Manager an allen Ecken und Enden gefordert war. Und trotzdem: «Mir war es wichtig, das hier abzuschliessen. Ich bin stolz auf das, was wir geleistet haben. Der Arbeitgeber ist zufrieden, der Kunde auch. Kurz vor Weihnachten konnten wir die Anlage an den Kunden übergeben. Ich kann jetzt mit einem guten Gefühl abreisen.»

Golfen als wichtiger Ausgleich

Während der letzten mehr als anderthalb Jahre erlebte Gwerder ganz unterschiedliche Phasen der Coronamassnahmen. Im März 2020 kam es zu einem mehrmonatigen Lockdown. «Alles war zu. Das war schwierig, niemand wusste, was jetzt auf uns zukommt.» Auch die Hotels mussten schliessen. Doch Gwerder hatte Glück, dass sein Hotel eine Ausnahmebewilligung erhielt. Lange Zeit war er mit drei chinesischen Arbeitskollegen der einzige Gast dort. «Das war schon ein spezielles Gefühl. Zwischen den Gästen und den Angestellten entstand eine enge Beziehung, wir waren fast eine Familie.»

Das Leben im Hotel mit so wenigen Leuten hatte auch Vorteile. So musste er nicht ständig Maske tragen – etwas, was sonst im Land überall verlangt wurde, «sogar allein im Auto musste man eine tragen.» Und der 47-Jährige wohnte zudem in einem Golfhotel und konnte dadurch sein Hobby weiter pf legen. «Das war enorm wichtig», erklärt er. «Beim Golfspielen konnte ich vom Stress bei der Arbeit abschalten. Zudem konnte ich das Golfen zur Vergrösserung meines Netzwerkes einsetzen. Das half, das Projekt voranzubringen.» Die golferischen Fortschritte können sich denn auch sehen lassen. In den letzten Wochen gelangen ihm sowohl ein Hole-in-One als auch ein Adler (Eagle) (nur drei Schläge auf einem Fünferloch). Und ja, er sei privilegiert gewesen, ist er sich bewusst. «Das war sicher mein Glück, dass ich hier wohnen durfte. Das gab mir die Kraft, die Arbeit abzuschliessen.»

Wenn die Moscheen die Todesfälle verkünden

Ansonsten war auch er ganz vielen Einschränkungen unterworfen. Seine Arbeitsstelle lag rund 30 Kilometer vom Hotel entfernt. Oft waren die Strassenabschnitte wegen Corona geschlossen, lange Zeit musste man spätestens um 18 Uhr zu Hause sein. Auch die tägliche Versorgung war eingeschränkt, die Restaurants geschlossen. «Es gab vorwiegend Reis und Hühnchen. Ich freue mich, wenn ich in der Schweiz mal einen Wurstsalat kriege», lacht Gwerder. Im vergangenen Sommer erlebte das Land dann die zweite grosse Welle. «Da war es wirklich schlimm. Es ist ein muslimisches Land, und die Moscheen haben per Lautsprecher alle Coronatodesfälle bekannt gegeben. Da fühlt man sich schon unwohl.» Die Krankenhäuser waren immer mehr am Anschlag. Als der Wohler einmal einen Kollegen notfallmässig ins Spital fahren musste, wurde er mehrfach abgewiesen, weil es keinen Platz gab. «Da kommt man schon ins Grübeln.»

Marco Gwerder hat viel erlebt in den letzten zweieinhalb Jahren. «Ich könnte ein Buch schreiben», lacht er. Als Beispiel nennt er seine Impfung. In Indonesien kam ein chinesischer Impfstoff zum Einsatz, dem er nicht so ganz traute. Ein Golfpartner, der Besitzer einer Schuhfabrik, lud ihn darum ein, sich bei ihm zu melden, wenn er seine Belegschaft mit Astra-Zeneca impft. «Als ich da ankam, habe ich gestaunt. Denn das Ganze fand in einem buddhistischen Tempel statt.» Er hofft jetzt, in der Schweiz den Booster zu erhalten, bevor er wieder nach Singapur auswandert.

Schon bald wieder Rückkehr nach Asien

Marco Gwerder freut sich auf die Schweiz. Gleichzeitig macht er sich etwas Sorgen. «Wenn man jetzt sieht, wie sehr Corona in der Schweiz wütet, dann fragt man sich schon, ob man das Risiko eingehen will.» Immerhin könne er einigermassen problemlos reisen. Er erzählt von einem chinesischen Kollegen, der vor Kurzem in seine Heimat zurückkehrte. «Er musste vor dem Abflug in Quarantäne, wurde dort mehrfach getestet, musste nach der Landung in China und danach auch in seiner Heimatstadt nochmals in Quarantäne. Insgesamt war er über einen Monat isoliert.» In Asien gehe man eben anders mit dem Thema um. Trotzdem kehrt er schon bald nach Asien zurück. Zu seiner Frau. Und zu seinem nächsten Projekt, einer Anlage für die Verarbeitung von Sondermüll. Sein derzeit vermietetes Haus in Birmenstorf muss also noch länger auf seine Besitzer warten.


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