Voller Lieblingsgeschichten

  12.11.2021 Wohlen

«Zeitgeschichte Aargau 1950 – 2000»: Ein Mammutwerk mit Co-Projektleiter Fabian Furter, Wohlen

Das ist eine geballte Ladung. Wissen, Historie, Ereignisse werden im Buch «Zeitgeschichte Aargau 1950 – 2000» präsentiert. Dazu gehören noch eine Ausstellung im Stadtmuseum Aarau und eine Dokumentarilmreihe. Co-Projektleiter ist der Wohler Fabian Furter.

Daniel Marti

Vier Jahre Arbeit. Vier Jahre Forschung und Umsetzung. Als erster Kanton arbeitet der Aargau seine jüngste Geschichte auf. Aus dem vierjährigen Vermittlungsprojekt ist ein imposantes Werk entstanden. Die Publikation «Zeitgeschichte Aargau 1950 – 2000» umfasst 625 Seiten und ist satte 2,4 Kilogramm schwer.

An vorderster Front steht Fabian Furter, der Wohler ist Co-Projektleiter, auch seine Firma imRaum in Baden ist involviert. Der zweite Co-Projektleiter ist Patrick Zehnder. Auch er hat Spuren, die ins Freiämter Regionalzentrum reichen, seine Frau ist Wohlerin.

Wissenschaftliches Rückgrat

Und die beiden erlebten diese Woche einen besonderen Tag. Ihr grosses und komplettes Werk fand den Weg an die Öffentlichkeit. Das Buch liegt in gedruckter Form vor, die Ausstellung dazu im Stadtmuseum Aarau steht.

Im Auftrag der Historischen Gesellschaft Aargau entstand das einzigartige Werk. Es gilt als wissenschaftliches Rückgrat. «Es ist das Grundlagenwerk», sagt Patrick Zehnder, «so ein Projekt gab es in der Schweiz noch nicht.» Und man habe keine Blackbox produzieren wollen, so Zehnder weiter. «Darum haben wir stets gezeigt, was wir erarbeitet haben.» Auch in dieser Zeitung, die sich beispielsweise zusammen mit dem Projektteam um das Thema «Pulveri Dottikon» und deren Explosion gekümmert hat.

Ganz viel Freiamt steckt drin

Und die Macher von «Zeitgeschichte Aargau» zog es immer wieder nach Wohlen oder ins Freiamt: «Es ist ganz viel drin aus dieser Region», erklärt Fabian Furter. Motocross Wohlen vor Rekordkulissen, der Schachkrieg mit Viktor Kortschnoi um die WM-Krone, der Aufstieg der politischen Gruppierung «Eusi Lüüt», Peach Weber natürlich, die Freiämter Strohindustrie, die Epoche der Italiener in Wohlen, Kulturzentrum Bremgarten, Nationalrätin Doris Leuthard (später Bundesrätin) oder Gertrud Heinzelmann – Die Wohlerin kämpfte ein Leben lang für die politischen Rechte der Frau.

Weitere Freiämter Spuren werden im Buch immer wieder gekreuzt: Chappelehof, Badi und Vita-Parcours in Wohlen, die Altstadt und die Umfahrung in Bremgarten, die Entstaatlichung der Bezirksschule und ein Glockenaufzug in Muri. Auch die Kulturschaffenden Seven und natürlich der Circus Monti zählen zur Zeitgeschichte Aargau.

Wirtschaft, Politik, Kultur, Sport, Raumplanung, Bevölkerungsentwicklung und der facettenreiche Alltag bilden die einzelnen Kapitel, die umfassend in Wort und Bild dargestellt sind. Die neun Historikerinnen und Historiker recherchierten also auf allen Seiten.

Gespräche mit 60 Zeitzeugen

Zum Projekt «Zeitgeschichte Aargau» zählen auch eine Dokfilmreihe und 60 Gespräche mit Zeitzeugen. Ein gutes Beispiel ist hier Ursula Mauch aus Oberlunkhofen. Sie präsidierte als erste Frau eine Bundeshausfraktion. Mit allen diesen Teilprojekten versuchen die Buchmacher und das Projektteam, «die vielen Aargauer Geschichen in eine Art Balance zu bringen», erklärt Fabian Furter.

Zu diesem Balanceakt zählt auch die Ausstellung im Stadtmuseum Aarau. Sie wird als begehbarer Bilderkosmos angekündigt. Die These des Aargaus als Versuchslabor der Schweiz zieht sich durch die Ausstellung. Hier funktionieren Pressebilder als visuelle Zeitspeicher. Auf gross aufgezogenen Bildern sind dort neben vielen anderen Aargauer Helden auch Politiker Peach Weber, die Vereidigung von Doris Leuthard als Nationalrätin oder der Circus Monti zu bestaunen. «In der Ausstellung werden viele Geschichten erzählt, es gibt ganz viele Storys hinter den Bildern», so Furter. Für ihn sind das alles «Aargauer Lieblingsgeschichten, hier ist das Wichtigste vom Wichtigen zu bestaunen.»

Weit mehr als nur Energiekanton

Dazu nennt er drei Beispiele aus der Welt der Wirtschaft. Die BBC, später ABB, «der Weltkonzern in Baden», beschäftigte einst 20 000 Menschen im Aargau oder weltweit rund 100 000. Bei der Migration war der Aargau in den 60er-Jahren so etwas «wie ein Testfeld», mit den Schwerpunkten in Baden und Wohlen mit der Einwanderung der Italiener. Furter weiter: «Oder der Bau der Kernkraftwerke machte den Aargau zum Energiekanton.» Aber er ist natürlich weit mehr als das – dies beweist das Projekt «Zeitgeschichte Aargau» eindrücklich.

Mit dem 625-seitigen Buch, der Dokfilmreihe und der Ausstellung in Aarau bis im Juli 2022 wird einiges geboten. Eine solche Wucht an Geschichtsträchtigem und Wissenswertem sucht nach Vergleichen. «Aber das ist noch lange nicht das Ende», sagt Fabian Furter. Denn morgen Samstag an der Buchvernissage wird auch der Film «Stromland» vorgestellt. Eine Drohne liefert «entlang der Aargauer Flüsse fantastische Bilder», so Furter. «Der Film zeigt die Vielseitigkeit des Aargaus.» So wie das Herzstück des Projekts, und das ist das umfassende und für Aargauer Verhältnisse rekordverdächtige Nachschlagewerk.

Letzte Plätze für die Vernissage und Buchtaufe von morgen Samstag, 15 Uhr, im Kultur- und Kongresszentrum Aarau, gibt es hier: www.stadtmuseum.ch/ vernissage.


NACHGEFRAGT

«Ich betrachte es  als Privileg»

Zeitgeschichte Aargau «1950 – 2000» wurde von einem Kernteam realisiert. An vorderster Stelle steht Fabian Furter, der zusammen mit Patrick Zehnder die Projektleitung innehat. Furter, in Wohlen aufgewachsen und heute in Baden wohnhaft, wo auch seine Firma imRaum ihren Sitz hat, ist mit viel Engagement bei der Planung und Umsetzung des riesigen Projekts dabei.

Sie haben das Projekt «Zeitgeschichte» vier Jahre lang begleitet. Können Sie beschreiben, wie Sie das Projekt beschäftigt hat?

Fabian Furter: Ich war als Co-Projektleiter sowie als Autor in einer Doppelrolle. Einerseits das Gesamtprojekt konzipieren und leiten, andererseits in die Inhalte eintauchen und schreiben. Die Projektleitung hat meinen Kollegen Patrick Zehnder und mich sowie unsere Assistentin Nina Kohler schon über die ganze Zeit andauernd beschäftigt im Umfang von etwa einem Tag in der Woche.

War das Ganze über diese lange Zeit eine reine Freude oder eben auch Belastung?

Grundsätzlich war es eine Riesenfreude, diese grosse Kiste zu schaukeln. Ich betrachte es auch als Privileg, denn nicht jeder Historikergeneration wird diese Aufgabe zuteil. Die letzten Bänder zur Kantonsgeschichte wurden vor über 40 Jahren geschrieben. Innerhalb der Projektleitung haben wir ein ausgezeichnetes Einvernehmen und eine sehr gute Rollenteilung gefunden. Gleiches gilt für das ganze Kernteam aus neun Historikerinnen und Historikern. Natürlich gab es auch mal Differenzen, aber übers Ganze gesehen sind diese absolut irrelevant.

Welches ist Ihr Lieblingsbeitrag im Buch und warum?

Ich habe keinen Lieblingsbeitrag. Jeden Text meiner Kolleginnen und Kollegen habe ich mit grossem Interesse gelesen und redigiert. Alle haben spannende Episoden aus den Archiven gehoben.

Das Projekt ist weitgehend abgeschlossen, wird es Ihnen nun langweilig?

«Zeitgeschichte Aargau» ist mit der Vernissage morgen Samstag auf dem Höhepunkt, aber noch nicht am Ende. 2022 entstehen noch ein Geschichtsmagazin sowie drei Kurzdokumentarfilme. Wir fahren nicht von 100 auf 0, sondern reduzieren schrittweise und versuchen, im Gespräch zu bleiben. Langweilig wird es mir persönlich keinesfalls. Ich freue mich sehr auf die nächsten Projekte. --dm


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