Der Weisse schlägt den Roten

  20.08.2021 Wohlen

Degustation der beiden Festweine der 800-Jahr-Feier 1978

Der Fendant hat Jahrgang 1977, der Klevner 1976. Beide Flaschen liegen seit 43 Jahren im Keller. Sind die Festweine von damals heute noch geniessbar? Die beiden Weinakademiker Urs Schürmann und Lidwina Weh wagten den Test.

Chregi Hansen

Es ist ein Anlass, von dem heute noch viele Einwohner schwärmen. Gleich zehn Tage lang hat Wohlen im September 1978 seinen 800. Geburtstag gefeiert. Das Epizentrum der Feier war die Steingasse mit nicht weniger als 33 Festbeizli. Und in fast allen von ihnen gab es damals die beiden offiziellen Festweine mit der Strohsonne auf dem Etikett.

Organisiert wurden diese Weine durch den ehemaligen Gemeinderat Werner Strebel. Ausgewählt wurden ein Fendant d’Ardon Jahrgang 1977 und ein Wettinger Klevner Jahrgang 1976, beide aus den Weinkellereien von Volg. «Der Volg besass viele Rebberge, er war spezialisiert für einfache, aber durchaus gute Weine», weiss Urs Schürmann, Geschäftsführer von Schüwo Trink-Kultur Wohlen. Dass für das Fest eher einfache Tropfen gewählt wurden, ergebe Sinn. «Diese Weine sind zum schnellen Verbrauch gedacht», macht der Kenner deutlich. Heute seien Festweine generell nicht mehr so gefragt, «denn nach der Feier kann man sie kaum verkaufen und auch nicht mehr zurückgeben.» Zudem müsse ein Wein zum Essen passen, werde aber in den Beizli Unterschiedliches serviert.

Noch eine Flasche vom Roten gefunden

Wie viele Flaschen von diesem Fest noch vorhanden sind, ist nicht bekannt. Leser Oskar Marti hat sich nach dem Bericht über die 800-Jahr-Feier daran erinnert, dass er noch eine Flasche vom Weissen im Keller hat, und hat diese der Redaktion gebracht. Diese stellte sich die Frage, ob der Wein noch geniessbar sei, und forderte die beiden Wohler Weinakademiker Lidwina Weh und Urs Schürmann scherzhaft zu einer Degustation auf. Die beiden nahmen die Herausforderung an – unter der Voraussetzung, dass auch der zuständige Redaktor mitmacht. Und Vater Peter Schürmann steuerte aus seinem privaten Keller gleich noch eine Flasche des roten Festweins bei.

Diese Woche ist es so weit. Im Kursraum der Weinschule stehen die beiden Flaschen zur Degustation bereit. Dazu als Vergleich zwei weitere Flaschen mit den gleichen Trauben, aber aus jüngeren Jahren. «Wir sind selber gespannt und auch ein wenig skeptisch», gibt Lidwina Weh zu. Vor allem das tiefe Füllniveau des Weissen bereitet ihr Sorgen. «Das, was der Flasche entweicht, füllt sich mit Sauerstoff. Dieser oxidiert und beeinflusst den Wein», erklärt die Expertin. Wie gut ein Wein altere, hänge eben von vielen Faktoren ab: von der Lagerung, der Luftfeuchtigkeit, der Temperatur und der Qualität des Korkens. Und natürlich auch von der Herstellung davor.

Weniger Sorgen bereitet ihr der Belag auf dem Korken. «Solche Ablagerungen kann es geben», sagt sie, «diese kann man leicht abkratzen.» Zu einer Herausforderung wird das Öffnen. Vorsichtig dreht Weh den Zapfenzieher in den Korken. «Man sollte ihn möglichst ganz hineindrehen, sonst besteht die Gefahr, dass der Korken bricht. Und vor dem Rausziehen lohnt sich ein kurzer Schlag von oben auf den Zapfenzieher», gibt sie wertvolle Tipps. Doch es nützt alles nichts – der Zapfen bricht, es braucht einen zweiten Anlauf. Dann ist der grosse Moment gekommen, kann die Degustation beginnen.

Von modrig bis Safran

Beim Riechen am Glas zeigen sich Unterschiede. Während dem Laien vor allem der etwas muffigere Kellergeruch auffällt, sind die beiden Weinakademiker positiv überrascht. Sie erkennen beim Fendant verschiedene Aromen wie Safran, Dörrfrüchte und Wachs, auch die goldgelbe Farbe gefällt. Und der erste Schluck kann durchaus munden. «Der Wein ist eher trocken, mit einer angenehmen Säure. Aber das Alter ist natürlich spürbar», kommentiert die Önologin. Doch schon beim nächsten Schluck verliert der Fendant viel von seinem Aroma. «Das ist oft so bei alten Weinen. Sie blühen nach dem Öffnen kurz auf und verabschieden sich dann», lacht Weh.

Nur ein kurzes Auflackern

Grundsätzlich könnten auch Weissweine im Alter reifen, macht Urs Schürmann deutlich. In der Schweiz werde dieser aber bevorzugt für den Apéro benutzt, da seien leichte und bekömmliche Weine gefragt, welche das Reifepotenzial möglichst schnell erreichen. Ein guter Weisswein kann aber durchaus 10 bis 15 Jahre alt werden – gerade denn, wenn er aus dem Barrique stammt. Dem Wohler Festwein geht aber inzwischen die Luft ganz aus, mit jeder Minute verliert er an Geschmack.

Noch schlechter schneidet der Rotwein ab. «Klevner ist nur ein anderer Name für Pinot noir oder Blauburgunder», klärt Schürmann auf. Diese Traube hat den Schweizer Rebbau lange dominiert. Obwohl die Flasche in einem besseren Zustand ist als beim Weisswein, so ist der Inhalt kaum noch geniessbar. «Der Wein war damals vermutlich ganz gut, hat aber sein Ablaufdatum überschritten», bilanziert Weh. Wobei Weine zu den wenigen Lebensmitteln gehören, die kein solches Datum deklarieren müssen. «Wein kann in dem Sinn nicht verderben, er schmeckt einfach nicht mehr», so die Expertin. So wie der rote Wohler Festwein. Der war 1978 vermutlich ein Hit, jetzt aber nicht kaum noch trinkbar.

Es geht auch anders

Doch wie ist es nun genau, was ist das optimale Alter für einen Wein? Eine klare Antwort gibt es nicht, das hängt von ganz vielen Faktoren ab. Heute seien die meisten Weine schon so weit ausgebaut, dass sie ihr Potenzial bereits nach kurzer Zeit erreichen. «Da hat man in den letzten Jahren im Rebbau, aber auch in der Kelterei grosse Fortschritte gemacht», sagt Schürmann. So durfte er vor Kurzem einen Château Mouton Rothschild Jahrgang 2015 geniessen, der schon sehr gut war. «Die meisten Konsumenten möchten ihre Weine nicht mehr über Jahre lagern», fügt er an. Laut einer Studie werden 80 Prozent der gekauften Weine in nert 14 Tagen getrunken. Egal ob weiss oder rot. «Es ist besser, einen Wein zu früh als zu spät zu geniessen», sagt denn auch Lidwina Weh.

Es gibt aber auch das Gegenteil. Weine, die auch nach Jahrzehnten noch schmecken. Etwa die Madeira-Weine. Die spezielle Herstellung macht ihn so langlebig. So wird er mit Branntwein angereichert, in der Hitze unter Welldächern gelagert und dann für Jahre und Jahrzehnte in Holzfässern auf bewahrt, woraus dann einzelne Flaschen abgefüllt werden. Eigentlich macht man also alles, was man nicht soll. «Dem Wein tut man so viel an, der wird dadurch unzerstörbar», erklärt Weh.

Bald ist der 850. Geburtstag

Und wie ist es nun bei den Wohler Festweinen aus dem Jahr 1978. Soll jemand, der noch eine Flasche zu Hause hat, diese öffnen oder lieber nicht? Für einmal sind sich die beiden Weinakademiker nicht einig. «Ich würde ihn im Keller lassen und mich durch die Flasche an das Fest erinnern lassen», sagt Urs Schürmann. Gattin Lidwina Weh sieht das anders. «Ich würde ihn probieren. Danach kann man die leere Flasche ja als Souvenir behalten», lacht sie. In einem aber sind sie sich einig. Es wäre schön, wenn Wohlen 2028 seinen 850. Geburtstag feiert. Schüwo Trink-Kultur würde als Festweinlieferant sofort zur Verfügung stehen.


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