Wo man früher Schwimmen lernte

  03.08.2021 Bünzen

Sommerserie Wasser: Vom einstigen Bünzersee ist nicht mehr viel übrig geblieben

Er war rund 2,2 Kilometer lang, 1,5 Kilometer breit und maximal drei bis vier Meter tief. Nach dem Ende der Eiszeit, 8000 vor Christus, entstand der Bünzersee. Rund 6000 Jahre später verlandete er. Lange blieb ein Moor zurück. Bis dieses während der zwei Weltkriege Anfang 20. Jahrhundert richtiggehend ausgebeutet wurde.

Annemarie Keusch

Er prägte Generationen. Die einen machte er arm, die anderen reich. Der Torfabbau im Fohrenmoos, auf dem Gebiet des ehemaligen Bünzersees, war während der beiden Weltkriege das grosse Thema. Alle waren sie da. Alle aus den Dörfern Aristau, Besenbüren, Boswil und Bünzen. «Viele in meinem Alter wissen noch genaue Details davon», sagt Benedikt Stalder. Er ist zwar nicht in einem dieser Dörfer aufgewachsen, kennt die Geschichte als Lokalhistoriker aber bestens. Kinder waren sie, die Männer und Frauen, die heute über 80-jährig sind, als sie in der «Forre», wie das Fohrenmoos damals und heute noch genannt wird, halfen, Torf zu stechen. Und damit halfen, ein Moor auszubeuten, das über Jahrtausende gewachsen war.

Am Anfang dieses Moores stand das Ende der Eiszeit, der Rückzug des Reussgletschers. 8000 vor Christus sei es gewesen, so steht es in den Geschichtsbüchern, als der Bünzersee entstand. «Leider wurde zwischen Bünzen und Boswil fast nichts abgelagert, sodass der nun entstandene See, als sich der Gletscher weiter zurückzog, nur etwa drei bis vier Meter tief war.» So formulierte es der Besenbürer Robert Brun-Keusch in einer Schrift unter dem Titel «Die Entstehung des Fohrenmooses», die er 2000 zusammenstellte. Auch Benedikt Stalder bekam eines der wenigen Exemplare.

Wegen Bäumen und Sträuchern «schnell» verlandet

Diesen Bünzersee gibt es aber schon Tausende von Jahren nicht mehr. Er ist verlandet, innerhalb von rund 6000 Jahren. «Rund um den See war Wald», weiss Benedikt Stalder. Nicht die dicht stehenden Bäume, die heute als Wald bezeichnet werden, sondern viele einzelne Bäume und Sträucher. Primär Föhren, die dem Gebiet den Namen gaben, und Birken. «Beides Pionierpflanzen in nassen Gebieten.» Diese Bäume und Sträucher verloren Blätter und Äste, der Bünzersee verlandete zusehends, an dessen Grund entstand Moor. «Moor wächst langsam, einen Millimeter pro Jahr», weiss Stalder. Fünf Meter beträgt der je gemessene Höchststand. Heisst, 5000 Jahre wuchs dieses stetig an.

Übrig geblieben ist davon kaum mehr etwas. «Der Weiher beim Murimoos ist der letzte Rest», vermutet der Lokalhistoriker. Seen gibt es nur noch bei Überschwemmungen, etwa 1994, aber auch diesen Sommer.

Mit dem Schiff von Besenbüren zur alten Kirche

Lange war dieses Moor unberührt. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Heisst, bei Regenperioden bildeten sich überall kleinere Weiher. Zwar nicht als offizieller Flurname, aber ein Gebiet in Besenbüren wird als «Schifflände» bezeichnet. Stalder weiss aus Erzählungen: Es verkehrten kleine Ruderboote auf den immer wieder entstandenen Weihern. «Zu Verkehrszwecken dienten diese nicht, vielmehr für den Spass.» Auch der mittlerweile verstorbene Robert Brun mit Jahrgang 1926 schreibt: «Vor der ersten Bünzkorrektur konnten meine Grosseltern bei Hochwasser mit einem Schiff von Besenbüren bis fast zur alten Kirche Boswil fahren.» Was wäre, wenn es den Bünzersee noch geben würde? Stalder lacht. «Der wäre wohl zu wenig tief und das Freiamt wäre keine Strandferiendestination.» Brun hat in einem der vielen kleinen Weiher dennoch das Schwimmen gelernt. «An schönen Sommer-Sonntagen haben wir als Buben unsere Moorbäder im warmen Wasser über alles genossen.»

Mit den beiden Weltkriegen änderte sich alles. Die Ressourcen wurden knapp. Schon Jahrzehnte zuvor haben die Ortsbürger der verschiedenen Gemeinden für den Eigenbedarf Torf gestochen. «Das störte die Natur nicht. Die Menge war nicht gross», weiss Benedikt Stalder. Während des ersten Weltkriegs begann die Ausbeutung. Zu Heizzwecken wurde der Torf in grösseren Mengen zu «Turben» (Torfbriketts) gestochen und getrocknet. Im zweiten Weltkrieg erfolgte der Abbau gar industriell. Nicht mehr nur ein Grossteil der Bevölkerung griff ein, auch Zürcher Firmen, die extra Maschinen entwickelten, die den Torf noch vor Ort pressten. An diese Zeiten können sich noch viele ältere Leute in den betroffenen Dörfern erinnern. An die Feste, an die Geselligkeit, aber vor allem an die harte Arbeit, die es in der «Forre» zu verrichten gab.

Unterschiedliche Folgen in der Bevölkerung

Auch wenn es den Bünzersee längst nicht mehr gibt, auch Anfang des 20. Jahrhunderts längst nicht mehr gab: Ohne ehemaligen See hätte es kein Moor gegeben, ohne Moor keinen Torf, ohne Torf keinen Abbau. Und dieser Abbau hatte weitreichende Folgen für die Bevölkerung. Vereinfacht sagt es Benedikt Stalder so: «Die einen wurden reich damit, andere verarmten.» Konkret meint er, dass einige Leute diesen wirtschaftlichen Aufschwung im Dorf nutzten, Firmen gründeten, investierten, daran wuchsen. Andere investierten das verdiente Geld gleich am Abend an den regelmässigen Festivitäten, an denen laut Erzählungen viel Alkohol floss.

Von der Geschichte des Torfabbaus und vom Torf ist nicht viel geblieben. Erzählt wird davon noch ab und zu, gerade wenn ältere Leute am Tisch sitzen. Ein Überbleibsel ist auch das Reservat, der kleine Weiher von Wald umgeben in der Ebene zwischen Boswil und Besenbüren. «Die Ortsbürger entschieden sich, dieses Stück der Natur zu überlassen, nachdem sie die restliche Fläche ausgebeutet hatten. Dieses Wort tönt so negativ. Und klar, es imponiert, wenn innerhalb weniger Jahre das abgebaut wurde, was in 5000 Jahren herangewachsen war, aber die Menschen hatten schlicht keine Alternativen während der Kriege», betont der Lokalhistoriker.


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