Der Mensch als Kunstwerk

  27.07.2021 Wohlen

Sommerserie «Auf den Punkt»: Die Make-up-Artistin Yvonne Schmid ist am Bankweg in Wohlen gross geworden

Offiziell bezeichnet sich Yvonne Schmid als Visagistin und Make-up-Artistin. Die Wohlerin, die mit ihrem Mann in ihrem Elternhaus lebt, ist aber viel mehr. Mit Pinsel und Schminke vollbringt sie wahre Kunstwerke auf Haut und ist eine Meisterin der Verwandlung.

Josip Lasic

Der Bankweg in Wohlen an einem verregneten Sonntagnachmittag. Ein Paar geht mit seinem Hund spazieren. Dieser entdeckt eine Quartierkatze auf ihrem Rundgang. Ein kurzes Bellen, ein Hechtsprung des Kätzchens in einen nahe gelegenen Garten. Das war es mit Action im verschlafenen Quartier.

Der Dartpfeil ist auf der Karte in diesem Bankweg eingeschlagen. In einem Haus mit drei Klingeln. Einmal Hoppler, einmal Mettler und einmal Schmid. «Das sind meine Eltern, meine Schwester mit ihrer Familie und wir», erklärt Yvonne Schmid, die in diesem Haus aufgewachsen ist und jetzt mit ihrem Ehemann Stefan nach wie vor dort wohnt – und gebürtig auch Hoppler heisst.

Die Vielseitigkeit in Person

Wie sollte es anders sein, hat eine Person, die ihr ganzes Leben am Bankweg gelebt hat, auch 20 Jahre lang in einer Bank gearbeitet. Sie darauf zu reduzieren, würde der Person Yvonne Schmid allerdings nicht gerecht werden. Ursprünglich hat sie den Beruf als Dentalassistentin gelernt, arbeitet heute im Sekretariat einer Elektro-Firma und geht daneben mit ihrem eigenen Unternehmen «PRO-ART Schmid» ihrer Passion als Visagistin und Make-up-Artistin nach. «In meinem Jahrgang hat beinahe jedes weibliche Wesen eine Ausbildung zur Dentalassistentin absolviert. Der Arbeitsmarkt war überflutet. Deshalb habe ich vor rund 20 Jahren berufsbegleitend eine Ausbildung zur Visagistin und Make-up-Artistin gemacht. Danach hat sich das Ganze weiterentwickelt», erklärt die 46-Jährige.

Die Weiterentwicklung ist auf ihrer Homepage gut sichtbar. Denn so vielseitig, wie Yvonne Schmid beruflich ist, so vielseitig ist ihr Angebot im Bereich Make-up. Sie schminkt Models für Fotoshootings, Frauen für Hochzeiten, wagt sich allerdings auch an komplexere Dinge, wie Fasnachtsund Kindergeburtstags-Schminken, Belly-Paintings für Schwangere, Bodypainting und vieles mehr. «Ich habe mich früher sehr gern selbst geschminkt und bin auch leidenschaftliche Fasnächtlerin. So ist die Passion in diesem Bereich entstanden.»

Misswahlen und nackte Menschen

Dass Yvonne Schmid in ihrem Bereich etwas auf dem Kasten hat, beweist die Vielfalt an Aufträgen, die sie schon übernehmen durfte. So konnte sie 2006 das Make-up für die Autogrammkarten der verschiedenen Gewinnerinnen der Miss-Wahlen übernehmen, wie der «Miss Earth», «Miss Argovia» und «Miss Elegance».

Vor zwei Jahren hat sie es mit ihrer Kunst sogar in die «20Minuten» geschafft. Der New Yorker Künstler Andy Golub hat in Zürich den Bodypainting-Day veranstaltet. 35 Menschen sollten bemalt werden. Und die Wohlerin war eine der Make-up-Artistinnen, die für die Farbe auf einem der 35 Models verantwortlich waren. Das Besondere: Die Botschaft des Künstlers sollte sein, dass jeder Mensch einzigartig ist und sich alle gegenseitig lieben und akzeptieren sollen. Und deshalb sollte das Bodypainting am nackten Menschen zu sehen sein. «Das ist normalerweise im Bodypainting nie so», erklärt Schmid. «Der Intimbereich ist bei Männern und Frauen immer bedeckt und auch die Brust ist bei Frauen nie komplett entblösst. Ausserdem ist es an Bodypainting-Anlässen in der Regel so, dass kein Fotograf Bilder macht, bevor die Farbe auf den Körper aufgetragen ist.»

Anders in Zürich. Die Models haben sich auf der Strasse nackt ausgezogen, diverse Fotografen standen sofort bereit und Yvonne Schmid durfte einen nackten Mann von Kopf bis Fuss bemalen. «Ich bin da unkompliziert», sagt sie lachend. «In diesem Moment habe ich es als meinen Job angesehen und ging das Ganze sehr professionell an. Das Model war zum Glück auch ein sehr unkomplizierter, sympathischer Typ. Er war mit seiner Freundin dort. Die Fronten waren geklärt und es war eine spezielle Erfahrung», erzählt die Wohlerin und fügt lächelnd an. «Ich weiss nicht, ob ich es noch einmal so durchziehen würde.» Dass sie auch da mit ihrem Ganzkörper-Make-up beeindrucken konnte, beweist die Tatsache, dass ihr Model für die «20 Minuten» fotografiert wurde. An solche Aufträge kommt die Visagistin und Make-up-Artistin durch Weiterempfehlungen und Mundpropaganda. «Das ist aus meiner Sicht auch die beste Art der Werbung, wenn jemand über dich sagt, dass du etwas gut gemacht hast.»

Auf jeden Kunden speziell eingehen

Dafür gibt sie sich auch allergrösste Mühe. «Ich rechne für jeden Kunden und jede Kundin genug Zeit ein. Die Qualität der Arbeit leidet, wenn sie unter Zeitdruck durchgeführt wird.» Dabei ist es eine Herausforderung, den Zeitaufwand richtig einzuschätzen. Ein normales Tages-Make-up benötigt laut Schmid zwischen 30 und 45 Minuten. Ein Bodypainting kann bis zu acht Stunden abverlangen. «Ich möchte aber wirklich auf jede Person, jeden Wunsch genau eingehen, sodass sich der Mensch wohlfühlt.» Je nach Anlass gibt es für das Make-up spezielle Anforderungen. «An einer Hochzeit will die Braut den ganzen Tag perfekt aussehen. Das Make-up muss lange halten. Für ein Fotoshooting ist es nicht wichtig, dass es so lange hält, aber es muss auf den Punkt perfekt aussehen.»

Während der Pandemie hat sie ausserdem die Hygienemassnahmen hochgefahren, damit sich die Kundschaft immer sicher fühlt. Wegen Covid ist Schmid auch froh, dass sie neben ihrer Arbeit als Visagistin und Make-up-Artistin eine weitere Einkommensquelle hat. «In der Schweiz ist es eher schwierig, von diesem Beruf allein zu leben», sagt die Wohlerin.

Kreativität ist ihr Leben

Dabei gibt es Ausnahmen. «Wenn es eine Möglichkeit gäbe, in einem Theater in Zürich unterzukommen oder irgendwie im Film. Dann gäbe es auch Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln», erklärt Yvonne Schmid. «Mich fasziniert beispielsweise der Beruf des Maskenbildners. Kleinere Dinge für Fasnachtskostüme, wie Wunden, kann ich auch kreieren. Aber Maskenbildner ist nochmals eine ganz andere Stufe.» Bisher hat sie es immerhin zu den Theaterfreunden Niederwil geschafft, wo sie seit rund 16 Jahren für die Maske zuständig ist. Allgemein ist Schmid in der Region verankert. Deshalb haben sie und ihre Schwester mit den Eltern auch vor einigen Jahren gemeinsam entschieden, dass das Elternhaus so weit ausgebaut wird, dass alle drei Parteien darin wohnen können.

Auf dem Esszimmertisch bei Yvonne Schmid zu Hause steht einiges von ihrem Equipment. «Das ist meine neuste Faszination: Glitzertattoos.» Die Wohlerin kreiert und stellt Schablonen her, druckt sie auf Folie aus und nutzt diese, um Kindern temporäre Tattoos mit Glitzer aufzumalen.

Der Redaktor dieser Zeitung ist neugierig und möchte eine Kostprobe von Schmids Kunst haben. Die Schablone ist ausgesucht. Die Haut wird mit Alkohol gereinigt, die Folie aufgetragen. Yvonne Schmid trägt zuerst einen speziellen Körperleim auf, trocknet diesen mit einem kleinen Föhn. Dann wird die Glitzerfarbe eingesetzt und am Ende die Folie entfernt. In knapp zehn Minuten kann der Redaktor mit einem glitzernden Herz rund um einen Fussball zeigen, wie sehr er diese Sportart mag. «Das Tattoo hält zwischen drei und zehn Tage», sagt Schmid lächelnd.

Sie möchte sich immer weiterentwickeln. Kreativität ist ihr Lebenselixier. Schon als Kind hat sie gern gezeichnet und gebastelt – und tut es heute noch gern, wenn es beispielsweise um Geschenke geht. Ihr nächstes grösseres Projekt soll erneut aus dem Bereich Bodypainting kommen. Sie will das Motiv komplett selbst entwerfen und dann auf ein Model auftragen.

Nach etwas mehr als einer Stunde ist der Exkurs in die Welt der Schminke und des Make-ups zu Ende. Der Bankweg wirkt nicht weniger verschlafen als zuvor. Nicht mal eine Katze wird mehr von einem Hund gejagt. Aber es gibt viel Spannendes in diesem Quartier zu entdecken. Wie die Make-up-Artistin, die sich und andere mit Schminke in jemand völlig anderes verwandeln kann.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote