«Grosse Kisten»

  09.07.2021 Wohlen

Seit mehr als einem Jahr sind keine grossen Anlässe mehr möglich. Grund genug, um im Archiv nach genau solchen Events zu suchen. Von solch «grossen Kisten» wird diese Zeitung in den kommenden Wochen berichten. Und nachfragen, was davon in Erinnerung geblieben ist.


Ganz Wohlen eine Festmeile

Sommerserie «Grosse Kisten»: Die 800-Jahr-Feier Wohlen im September 1978

Nach Monaten, in denen es kaum noch Anlässe gab und Abstandhalten das Mass aller Dinge ist, erinnern sich viele gern zurück an Zeiten, in denen man ganz unbekümmert feiern konnte. Etwa an die 800-Jahr-Feier in Wohlen. Das Fest dauerte zehn Tage und lockte rund 100 000 Besucher an.

Chregi Hansen

Die eigenen Erinnerungen sind nur noch verschwommen. Als junger Bezschüler ist mir vor allem der riesige Lunapark im Gedächtnis haften geblieben. Gut, gibt es Menschen, die sich besser erinnern. «Es war sicher das grösste und vermutlich das beste Fest, das Wohlen je erlebt hat», sagt etwa Herb Müller, der sowohl als Musiker wie auch als Besucher täglich vor Ort war.

Und gut, gibt es das Zeitungsarchiv. Der Blick hinein bestätigt Müllers Aussage. Die 800-Jahr-Feier in Wohlen dauerte ganze zehn Tage. Die Berichterstattung darüber nimmt in jeder Ausgabe mehrere Seiten ein. «Dieses Jubelfest wird in die Geschichte eingehen», prophezeite der inzwischen verstorbene «WA»-Redaktor Horst Crusius zwei Tage nach dem Abschluss. «Es wurde mit so viel Spontanität, Originalität und Fröhlichkeit gefeiert, dass es einen fast etwas wehmütig berührt, sich jetzt damit abfinden zu müssen, das Bombenfest bereits als Vergangenheit zu betrachten», fuhr er fort.

33 Festbeizli und Tausende von Gästen

Höhepunkte gab es in diesen zehn Tagen zuhauf. 33 Festbeizen sorgten beispielsweise für viel Abwechslung. «Fast jeder Verein führte ein Lokal, und praktisch jeder verfügbare Raum an der Steingasse wurde zur Festbeiz», erinnert sich Müller. «Viele Wohler waren täglich vor Ort, ich habe nie mehr in so kurzer Zeit so viele Menschen kennengelernt wie da.» Jeder Tag stand unter einem anderen Motto. Es gab den historischen Markt, den Heimweh-Wohler-Tag (mit 1200 Gästen, die dafür in ihre alte Heimat reisten), einen Bünz- und einen Reusstalabend, den Tag der Jugend, einen Kostümball, den Unterhaltungsabend «Hallo Nachbarn», ein Heissluftballon-Treffen und vieles mehr. Etliche der Events fanden im grossen Zelt des Circus Olympia statt, das zeitweise aus allen Nähten platzte. So wurden allein am Bünztalabend mitten unter der Woche 1400 Besucher gezählt.

Und es gab einen Weltrekord. Für den sorgten die drei Wohler Bäcker und Konditoren Peter Bachmann, Bruno Widmer und Albrik Kuhn. «Hanspeter Weisshaupt kam im Vorfeld auf mich zu und fragte mich, ob ich für die Feier etwas Spezielles kreieren könne», erinnert sich Kuhn. Für ihn war aber klar, allein schafft er das nicht. «Unsere Väter verstanden sich damals noch als Konkurrenten. Wir Jungen hatten weniger Berührungsängste», erzählt Kuhn weiter. In rund 150 Stunden Arbeit und aus 300 Kilo Teig und 500 Kilo Vanillecreme produzierten die drei mit 300 Metern und 43 Zentimetern die längste Cremeschnitte der Welt, sie reichte vom Feuerwehrlokal bis zum Sternenplatz.

Dabei erhielten die drei Wohler Jungbäcker grosse Unterstützung. Mit Fässern und Brettern wurde ein riesiger Tisch konstruiert, der mit Seilen abgesperrt wurde. Am Samstagmorgen begann das Zusammensetzen der vorbereiteten Elemente. «Eigentlich war es ein Wahnsinn, was wir machten. Niemand hat sich überlegt, was passiert, wenn das Wetter schlecht ist. Zum Glück blieb es trocken.» Nach dem Vermessen wurde die Cremeschnitte stückweise verkauft. «Das war eine Riesennummer. Ich habe wie in Trance Stück um Stück abgeschnitten und nach hinten gereicht. Dabei wurde ich mehrfach von Wespen gestochen und musste sogar von der Sanität versorgt werden», berichtet der frühere Konditormeister.

Eine Freundschaft fürs Leben

Noch Jahre später war der gelungene Weltrekord ein Thema – auch wenn der offizielle Eintrag dann doch nicht klappte. Der entthronte Weltrekordhalter hat schnell, schnell eine noch längere produziert. Als Albrik und Barbara Kuhn ein Jahr später heirateten, überreichten ihm seine Berufskollegen nach der Trauung natürlich eine Cremeschnitte. «Die hatten aber eine Schicht Holz eingebaut, damit ich mich beim Schneiden blamiere», lacht Kuhn. Überhaupt – er habe lange Zeit keine Cremeschnitten mehr sehen können. Umgekehrt hat die Aktion die drei konkurrierenden Bäcker zusammengeschweisst. «Wir waren nachher gute Freunde.»

Tagelang im Einsatz

Auch sonst haben Kuhns das Fest in bester Erinnerung. «Es war einfach fantastisch. Jeder hat sich beteiligt. Jeder Unternehmer, jeder Verein», erinnert sich Barbara Kuhn. Natürlich hatte die Bäckerei Kuhn selber einen Stand auf dem Festplatz. «Tagsüber haben wir verkauft, abends sind wir feiern gegangen. Und morgens früh musste ich wieder in der Backstube stehen», berichtet Albrik Kuhn. Aber man habe es eben genossen, all die verschiedenen Beizli auszuprobieren. «Wohlen war eine riesige Festmeile», schwärmt Barbara Kuhn von dieser Zeit. Und das Zentrum bildete die Steingasse mit ihren vielen historischen Gebäuden.

Auch Herb Müller war an diesem Fest immer wieder im Einsatz. «Die Schlössli-Crew engagierte mich und meine Jazzband als Hausband, wir sind dort jeden Abend aufgetreten», berichtet Müller. Zudem organisierte er im Rahmen der 800-Jahr-Feier ein Dixieland-Festival mit lauter lokalen Formationen, es war sozusagen der Auftakt für die vielen weiteren Jazzevents in Wohlen in den späteren Jahren. Gut erinnert sich der Pianist auch an den Auftritt am historischen Markt. «Wir spielten auf der Ladefläche eines Oldtimer-Lastwagens, der ständig den Markt hoch- und runterfuhr. Zuvor mussten wir beim Pianohaus Egle ein Klavier ausborgen und es auf die Ladefläche hieven», lacht er. Natürlich trat Müller auch mit der «First Harmonic Brass Band» auf, und dies erst noch im grossen Zirkuszelt. «Dafür haben wir unsere üblichen Fracks mit Clochard-Kleidern getauscht und unser Programm erweitert. Vor allem für die Klamaukabteilung der FHBB war dieser Auftritt eine einmalige Gelegenheit, sich von ihrer besten Seite zu präsentieren», berichtet Müller.

In sieben Jahren wäre es wieder so weit

Und dann wird beim Blättern durch die alten Zeitungen doch noch eine eigene Erinnerung geweckt. Im Zirkuszelt trat die noch unbekannte Rockband «Krokus» auf. Es war Liebe auf den ersten Blick. Wenige Jahre später war der Redaktor wieder dabei, als die Solothurner Hardrocker im ausverkauften Hallenstadion auftraten. Lange ist es her. Es wäre wieder mal Zeit. Nicht für ein Konzert von «Krokus». Aber für ein unvergessliches Fest in Wohlen. In sieben Jahren wird die Gemeinde 850 Jahre alt. Das wäre doch die Gelegenheit.


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