«Wir wollen Rehe retten»

  08.06.2021 Bünzen

Die Jagdgesellschaft Bünzen-Rottenschwil setzt bei der Rehkitzrettung auf Drohnen

Ist das Wetter ideal zum Heuen, sind sie jeden Morgen unterwegs. Mit einer Drohne werden alle Felder überflogen, in denen frisch geborene Kitze sein könnten, um sie vor dem Mähtod zu retten.

Annemarie Keusch

Die letzte Woche war für die Landwirte ideal. Mehrere Tage am Stück passte das Wetter bestens, um zu heuen. Solche Tage beginnen für Hubert Bereuter, Peter Huber, Traugott Keller senior und Traugott Keller junior früh am Morgen. Mit dem Sonnenaufgang beginnt ihre Arbeit. Sie bilden das Rehkitzrettungsteam der Jagdgesellschaft Bünzen-Rottenschwil.

«Verblenden» nennt es sich, wenn die Jäger oder die Landwirte selber einen Tag vor dem Mähen lange Holzstecken, mit Säcken überstülpt, in den Feldern verteilen. Durch die Veränderung bringen die Rehe ihre jungen Kitze dazu, diese Felder zu verlassen. «Es ist eben keine hundertprozentige Garantie», sagt Hubert Bereuter. Frisch gesetzten Rehen, die noch nicht selber laufen können, droht trotz Warnung der Mähtod.

Jedes Feld akribisch absuchen

Die Technik bringt neue Möglichkeiten. Über 2500 Rehkitze konnten laut Rehkitzrettung Schweiz dank der Drohne schon gerettet werden. Dieses Jahr probiert auch die Jagdgesellschaft Bünzen-Rottenschwil diese neue, sicherere Variante. Will ein Landwirt sein Feld mähen, kontaktiert er die Jagdgesellschaft und diese sucht das Feld mit der Drohne ab, die von der Stiftung Wildtier Aargau zur Verfügung gestellt ist.

Ein Besuch zeigt, wie viel Zeit die vier Männer für die Rettung der Rehkitze aufwenden und dass es durchaus sein kann, dass vier Stunden lang Felder abgesucht werden, ohne ein einziges Reh zu sehen. «Besser so und wir sind sicher, dass keine vermäht werden», sagt Bereuter.


Die Suche nach weissen Punkten

Rehkitze mit Drohnen vor dem Mähtod retten – eine Reportage bei der Jagdgesellschaft Bünzen-Rottenschwil

«Da, ein weisser Punkt. Habt ihrs auch gesehen?» Traugott Keller senior sagts laut. «Retour», sagt Hubert Bereuter und spricht damit Peter Huber an. Huber ist der Drohnenpilot,

Annemarie Keusch

Traugott Keller senior, Hubert Bereuter und Traugott Keller junior sind mit Monitoren ausgestattet. Diese zeigen das Wärmebild, das Huber mit der Drohne filmt. Das Bild ist mehrheitlich grau, mal dunkler, mal weniger dunkel. Und dann ist da eben dieser weisse Punkt. «Das muss ein Tier sein», sind sich die vier Männer der Jagdgesellschaft Bünzen-Rottenschwil einig.

Angewiesen von Huber und Keller junior waten Hubert Bereuter und Traugott Keller senior durchs hohe Gras. «Noch ein Meter, dann solltest du direkt auf den Punkt zulaufen.» Das Walkie-Talkie vereinfacht die Kommunikation. Voller Erwartungen laufe ich Bereuter und Keller senior nach. Ich freue mich auf grosse, braune Augen eines Rehkitzes, die uns entgegenblicken. Stattdessen ruft Bereuter: «Nichts. Nur ein Nachtlager.» Aber eines, das noch nicht lange verlassen ist, sonst hätte die Wärme nicht so stark abgestrahlt.

Drohnen immer mehr auf dem Vormarsch

Es ist früh am Morgen. Treffpunkt 6 Uhr war eigentlich geplant. Am Vortag ruft mich Peter Huber an. «Wir hatten viele Anrufe von Landwirten, die mähen wollen. Darum beginnen wir schon um 5.30 Uhr, in Besenbüren.» Die Dörfer Bünzen, Besenbüren, Rottenschwil und Hermetschwil zählen zum Revier der Jagdgesellschaft Bünzen-Rottenschwil. Mit Drohnen in den Feldern nach Rehkitzen zu suchen, ist für die vier Männer der Gesellschaft Neuland. Immer mehr ist diese Methode auf dem Vormarsch, in erster Linie, weil sie sicherer ist als das Verblenden.

Seit einigen Wochen sind Drohnenpilot Huber und die drei Männer am Monitor immer dann frühmorgens unterwegs, wenn den Tag hindurch gemäht wird. «Wir müssen noch viel lernen», sagt Traugott Keller junior. Schon viele Male sind sie vergebens durch das hüfthohe Gras gestampft. «Wir haben auch schon eine Ente gefunden dabei», sagt sein Vater und lacht. Es funktioniere aber immer besser. «Immer mehr wissen wir, wie weiss der Punkt sein muss, damit es wirklich ein Tier ist und nicht ein Maulwurfshügel.»

Temperaturunterschied frühmorgens am grössten

Dass sich die Männer in den frühen Morgenstunden treffen, ist nicht in erster Linie, um möglichst wenig Arbeitszeit dafür einsetzen zu müssen. «Wir sind entweder selbstständig oder pensioniert, sonst würde es nicht gehen», sagt Peter Huber. An diesem Morgen werden viereinhalb Stunden vergangen sein, bis alle Felder abgesucht sind und sich alle verabschieden und für den nächsten Morgen, noch eine halbe Stunde früher, verabreden. Die frühen Morgenstunden sind am besten geeignet, weil der Temperaturkontrast von der noch kalten Luft zum warmen Körper der jungen Rehe am grössten ist, das Wärmebild darum die Umrisse der Tiere stärker akzentuiert. Schon alleine der Unterschied der Bilder von 5.30 zu jenen von 9.30 Uhr ist frappant.

Gestartet sind wir an diesem Morgen in Besenbüren. Angefangen hat die Arbeit für Pilot Peter Huber viel früher. «Gestern Abend habe ich bis gegen 23 Uhr programmiert», sagt er. Heisst, er hat Felder eingelesen, der Drohne vorgegeben, welche Flächen sie abfliegen muss. «Während des Flugs brauche ich nicht zu steuern, das läuft automatisch. Nur wenn wir uns nicht sicher sind, ob wir ein Kitz gefunden haben, und ich nochmals zurückfliege, erfolgt das manuell», erzählt Huber. In rund 40 Metern Höhe überfliegt die Drohne die Felder. Der Akku ist schnell verbraucht, der Motor eines der Autos wird nur selten ausgeschaltet, um die Akkus laufend zu laden. «Sonst hätten wir keine Chance, alle Felder zu schaffen.»

In einem Feld drei Kitze vermäht

Huber ist es, der die Prüfung zum Drohnenpiloten absolviert hat. Vor einem Jahr begann er sich intensiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen. «Ich wollte nicht einfach eine Drohne kaufen», sagt er. 8000 Franken kostet die ganze Ausrüstung, mit der die vier Männer unterwegs sind. Für das Pilotjahr ist diese von der Stiftung Wildtier Aargau ausgeliehen. Im Kurs der Rehkitzrettung Schweiz lernte Huber, worauf es zu achten gilt, welche gesetzlichen Gegebenheiten gelten, wie die Drohne zu handhaben ist. Freiwillig hängte er die Ausbildung für Drohnen mit einem Gewicht über 350 Gramm an. «Ja, ich bin ein wenig angefressen», sagt Huber und lacht.

Obwohl heuer erstmals mit der Drohne unterwegs, sind die vier Männer ein eingespieltes Team. Einer holt die Drohne aus dem Auto, einer die Start- und Landeplattform. Wenn Huber bereit ist, schaltet einer per Knopfdruck die Drohne ein. «Ja, der Aufwand ist gross», sagt Traugott Keller junior. Bis Mitte Juni, bis die Ökofläche ab dem 15. Juni gemäht werden darf, sind sie bei gutem Wetter fast täglich im Einsatz. Aber sie wissen, wofür sie es tun. Auch wenn sie bis zu meinem Besuch erst ein Reh vor dem Mähtod retten konnten. «Wir wollen nicht möglichst viele finden, sondern wir wollen, dass möglichst keine vermäht werden», betont Hubert Bereuter. Lieber überfliegen sie ein Feld ohne Erfolg, als es nicht zu tun und später über vermähte Kitze informiert zu werden.

Gefeit sind sie vor solchen Anrufen aber nicht. Hubert Bereuter spricht vom schlimmsten Moment in seiner Jagdlaufbahn, die schon über vier Jahrzehnte andauert. «Vor wenigen Tagen vermähte ein Landwirt in einem Feld drei Kitze.» Gerufen wurde Bereuter, um die nicht schon toten Jungtiere zu erlösen. Wütend? «Vor allem enttäuscht. Es bräuchte vom Landwirt ein einziges Telefon, dann würden wir kommen und solche Ereignisse vermeiden.»

In einer Kiste vor Mähtod schützen

Lange finden wir kein Rehkitz im hohen Gras, in Besenbüren nicht, auch in Rottenschwil nicht, wo wir wegen des Nebels erst später hinfahren. Und auch in Hermetschwil und in Bünzen nicht. Entsprechend erklärt Traugott Keller senior in der Theorie, was passieren würde, wenn sie ein Rehkitz im Feld aufspüren. «Zuerst wird der Landwirt angerufen und gefragt, wann er genau mäht.» Ist das nicht innerhalb der nächsten drei Stunden, wird das Kitz noch im Feld gelassen. Dann kommen die Rehkitzretter später nochmals und holen es heraus. Der Grund: Eine Rehgeiss säugt ihr Kitz rund alle drei Stunden. Wäre es weg, käme die Geiss in zu starken Stress und das Kitz hätte Hunger.

Bevor der Landwirt mit dem Mähwerk zufährt, wird das Kitz in eine Kiste gelegt, möglichst ohne es mit blossen Händen zu berühren. «Sonst riecht es anders und die Mutter findet es nicht mehr», erklärt Hubert Bereuter. Die Kiste wird mit einem Stein befestigt. «Sonst versucht die Geiss das Kitz zu befreien.» Die Gefahr, dass dieses zurück in die zu mähende Wiese läuft, wäre zu hoch. Ist das Feld gemäht, darf das Kitz zurück in die Freiheit.

Schwarzer Sack anstatt ein Kitz

Wir fahren vom einen Feld zum nächsten. «Unglaublich», sagen die vier Männer. Zigmal waren sie sich sicher, in diesem oder dem anderen Feld sicher ein Kitz zu finden. Und dann sind es gleich fünf, sechs Punkte in einem Feld. Ich kann es kaum fassen, die Kamera ist gezückt, um die süssen Kitze zu fotografieren, die Regenhosen montiert, um eines nach dem anderen anzusteuern. Doch die Ernüchterung folgt nach wenigen Sekunden. Noch vor dem ersten Schritt ins Gras fällt auf: Es sind die schwarzen Säcke über den Holzstecken, die zum Verblenden aufgestellt wurden. Nur schon die wenigen Sonnenstrahlen lassen sie auf der Wärmebildkamera weiss erscheinen. Wir lachen. «Das sind Erfahrungen, die wir sammeln müssen», sagt Peter Huber.

Nach viereinhalb Stunden ist Schluss. Alle Felder sind abgesucht, ein Rehkitz wurde nicht gefunden. «Die Landwirte können nun ungeniert mähen», sagt Hubert Bereuter. Die Arbeit der Jäger ist gemacht, zumindest bis zum nächsten frühen Morgen, der einen schönen Tag und damit ideales Wetter zum Mähen verspricht.


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