Voll motiviert am neuen Ort

  09.03.2021 Wohlen

Neue Werkstätten für die Integra Wohlen

Aus der Not eine Tugend machen, dies ist das Motto der Wohler Institution. Um ihre Klienten besser zu schützen, wurden neue Arbeitsplätze geschaffen.

Weil die Bewohner und Bewohnerinnen der eigenen Wohngruppen seit Oktober weder in die Produktion noch in die Kreativwerkstatt gehen, hat die Integra neue Räume gesucht und gefunden. So richtete sie für alle Mitarbeitenden der Kapellstrasse drei Beschäftigungsgruppen im «Chappelehof» ein. Die zwei Wohngruppen in Anglikon haben den früheren Pavillon am alten Hauptsitz an der Jurastrasse wiederbelebt, und die Wohngruppe Steindler nutzt den Gemeinschaftsraum im grossen Innenhof der Überbauung.

Geschäftsführer Peter Truttmann ist froh um diese temporären Lösungen. Zuvor wurden die Bewohner und Bewohnerinnen auf den Gruppen selber beschäftigt. «Extern arbeiten zu können, ist eine erfreuliche Abwechslung für unsere Bewohner und auch fürs Personal», sagt er. Wie wichtig diese Möglichkeiten sind, beweist ein Besuch in der neuen Werkstatt an der Steindlerstrasse. --chh


Lösungen suchen statt jammern

Die Integra musste wegen Corona neue Arbeitsräume suchen – und wurde fündig

Die Pandemie beeinflusst auch den Betrieb der Integra. Um die Gefahren zu minimieren, werden die Klienten möglichst wenig durchmischt und wird auf genügend Abstände geachtet. Gearbeitet wird nun an ganz verschiedenen Orten – so auch in der Überbauung Steindler.

Chregi Hansen

Es sind nur wenige Meter. Aber sie sind wichtig. Seit Dezember können die Bewohner und Bewohnerinnen der Wohngruppe an der Steindlerstrasse den Gemeinschaftsraum der Überbauung als Werkstatt und Kreativraum nutzen. Zuvor waren sie zum «Homeoffice» verdonnert.

«Das hat sich aber je länger je mehr als schwierig erwiesen», so Teamleiterin Barbara Bortoluzzi. Nun sind Wohnen und Arbeiten wieder getrennt. Zwar dauert der Arbeitsweg nur wenige Sekunden, aber die Klienten müssen dafür Schuhe und Jacke anziehen, das Haus verlassen und sich auf eine neue Umgebung einstellen. Von ihrem neuen Arbeitsplatz haben sie zudem einen wunderbaren Ausblick auf den schönen Innenhof der Überbauung. «Es ist toll hier», sagt denn auch Bewohnerin Nicole Steimer, während sie an ihrer Zeichnung arbeitet.

Bestens eingelebt und angekommen

Seit 2018 ist eine der Integra-Gruppen in dieser Überbauung zu Hause. «Das ist gelebte Inklusion», freut sich Geschäftsführer Peter Truttmann. Für die Gruppe wurden beim Bau extra zwei Wohnungen im Parterre zusammengelegt. «Wir haben hier optimale Verhältnisse», so Bortoluzzi. «Wir haben uns in den letzten zwei Jahren hier bestens eingelebt, und die Bewohner haben bald begonnen, ihre Zimmer individuell einzurichten. Wir sind angekommen.» Und vielleicht gebe es bald sogar ein Haustier, freut sich Bewohnerin Esther Niederer.

Sieben kognitiv beeinträchtigte Personen wohnen hier. Dank der Grösse der Wohnung kommen sie sich kaum in die Quere. Das änderte sich durch den Ausbruch von Corona. Vom Virus ist die Institution stark betroffen. «Wir haben unter unseren Bewohnern viele Risikopatienten», erklärt der Geschäftsführer. Deren Schutz zu sichern und gleichzeitig die Betreuung und Beschäftigung aufrechtzuerhalten, das erwies sich als gar nicht so einfach. Um die Kontakte zu reduzieren, wurden die internen Wohnplätze und die Arbeitsplätze im Hauptgebäude klar getrennt.

Betroffen sind vor allem die Wohngruppen. Deren Bewohner durften seit Oktober nicht mehr extern arbeiten. Damit keine Langeweile einkehrt, wurde auf der Gruppe selber eine Beschäftigung angeboten. So auch an der Steindlerstrasse. «Das war aber nicht optimal», berichtet die Teamleiterin. «Anfangs konnten wir noch in den Wintergarten ausweichen. Aber im Winter wurde am Esstisch gearbeitet, während daneben gekocht oder geputzt wurde», berichtet die Teamleiterin. «Das hat sich auch auf die Stimmung ausgewirkt, es entstand eine grosse Unruhe», ergänzt Ruth Zimmermann, die Leiterin der Kreativwerkstatt.

Für Barbara Bortoluzzi war klar: Es muss sich etwas ändern. «Und sie jammert nicht, sie sucht nach Lösungen», lobt Truttmann. Weil der Gemeinschaftsraum der Überbauung Steindler im Winter meist leer steht, fragte sie die Verwaltung an, ob die Integra ihn als Werkstatt nutzen darf. Und erhielt das Okay. «Für uns ist das optimal. Wir haben hier viel Raum, können die Abstände wahren. Und Wohnen und Arbeiten sind wieder getrennt», freut sich die Teamleiterin. Auch Ruth Zimmermann ist froh um diese Lösung. «Es hat die Situation ganz klar entlastet. Viele sind richtig aufgeblüht», erzählt sie.

Gewisse Nervosität herrschte beim Einzug

Die Betreuer und Betreuerinnen der Wohngruppe arbeiten dabei eng mit der Werkstatt zusammen. So werden vor dem Mittag zwei Bewohner abgeholt, damit sie beim Einkaufen helfen. Nachmittags steht zudem immer ein Spaziergang auf dem Programm. «Bewegung und frische Luft sind wichtig», betont Bortoluzzi. Genauso wie die gemeinsame Bewältigung des Haushalts. «Wir sind kein Hotel», macht die Teamleiterin klar. In der Wohngruppe Steindler wird jeden Tag selber gekocht. Dabei helfen die Bewohner mit – bei der Auswahl der Menüs, beim Rüsten, bei der Zubereitung. «Dadurch dauert alles viel länger», lacht Bortoluzzi, «aber das ist besser als jede Ergotherapie.» Ziel sei es, dass die Beeinträchtigten möglichst viel alleine entscheiden und machen. «Wir begleiten sie und stellen die Leitplanken auf.»

In einer Überbauung wie hier an der Steindlerstrasse ist dies eine besondere Herausforderung. «Wir waren schon etwas nervös vor dem Einzug», gibt Barbara Bortoluzzi zu. Wie würden die anderen Bewohner der Überbauung auf die Integra-Gruppe reagieren? Am Anfang sei tatsächlich eine gewisse Skepsis spürbar gewesen. Man habe dann alle Nachbarn zum Kaffee eingeladen und konnte so eventuell vorhandene Ängste abbauen. Inzwischen ist die Integra bestens akzeptiert. «Alle wohnen friedlich unter einem Dach. Und wenn es Probleme gibt, redet man miteinander. So sollte es doch sein», freut sich der Geschäftsführer.

Eine Bereicherung

Es sei ein Geben und Nehmen, betont Bortoluzzi. Sie machte den Nachbarn klar, dass die Gruppe keine Sonderbehandlung braucht. Wenn die Integra-Bewohner zu laut sind oder einfach fremde Terrassen betreten, so darf und soll man reagieren. «Viele Bewohner schätzen es inzwischen, dass hier rund um die Uhr Personal vor Ort ist. So nehmen wir immer mal wieder Pakete für unsere Nachbarn entgegen», lacht sie. Es gebe inzwischen einige, die finden die Integra-Gruppe eine Bereicherung. «Vor Kurzem sagte mir eine Nachbarin: Schön, dass ihr hier seid.»

Auch bei der Miete des Gemeinschaftsraums wird Rücksicht genommen. «Er ist im Winter kaum belegt. Wenn doch jemand ein Fest machen will, dann räumen wir ihn natürlich für diesen Tag», betont die Teamleiterin. Seit Kurzem wird dieser Raum nicht nur zum Arbeiten genutzt, sondern verwandelt sich abends auch mal in eine Turnhalle. «Viele unserer Bewohner vermissen die Bewegung», erklärt Bortoluzzi, die sich auch als Judotrainerin für Beeinträchtigte engagiert. Darum haben einige Mitarbeitende begonnen, mit den Bewohnern zu turnen. Schliesslich hilft Sport, gesund zu bleiben.

Es gibt immer Lösungen

«Wir sind froh, dass wir in Wohlen so gut unterstützt und akzeptiert werden. Und mit unseren Anliegen an den meisten Orten offene Türen einrennen», sagt Geschäftsführer Peter Truttmann. Gerade in Coronazeiten sind der Stiftungsrat, die Geschäftsleitung und alle Mitarbeitenden besonders gefordert. «Aber unsere Massnahmen funktionieren. Natürlich gab es einzelne Quarantänefälle, aber das blieben immer Ausnahmen», betont Truttmann. Auch die Produktion läuft nach dem ersten Lockdown wieder auf Hochtouren. Jetzt hofft man, dass sich die Beeinträchtigten und das Personal bald impfen lassen können. «Angemeldet sind wir inzwischen. Aber bislang haben wir keinen Termin erhalten», berichtet Truttmann. So lange müsse man weiter mit den temporären Lösungen leben. Aber das ist kein Grund zum Jammern. «Es gibt immer eine Lösung», ist er überzeugt.


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