Hinter die Strohkunst geblickt

  19.02.2021 Wohlen

Der Wohler Künstler Hannes Zulauf kuratiert in Bern eine Ausstellung über Wohlen

Er hat Wohlen schon vor einiger Zeit verlassen. Doch die Geschichte des Dorfes ist ihm immer noch vertraut. Mit dem Team von «Milieu Bern» hat Hannes Zulauf die Ausstellung «Musterdorf» gestaltet, in deren Zentrum die Strohindustrie steht. Das Resultat gibt es derzeit nur online zu sehen.

Chregi Hansen

Für Ausstellungsmacher wie Hannes Zulauf sind es schwierige Zeiten. «Im Normalfall werden wir gefragt, was wir denn gerade zeigen. Derzeit geht es nur darum, wie man überhaupt planen kann», sagt der Wohler Künstler, der zusammen mit Selina Lutz und Livio Casanova den Ausstellungsraum Milieu in Bern leitet.

Erst letztes Jahr haben die drei Künstlerkollegen ihre Arbeit an diesem speziellen Ort aufgenommen. «Wir kennen uns schon lange, haben bereits einige gemeinsame Projekte realisiert. Hier im Milieu haben wir die Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern spannende Ausstellungen zu gestalten», erklärt Zulauf. An diesem geschichtsträchtigem Standort direkt neben dem Berner Münster wird bereits seit 1973 Kunst präsentiert. Erst als Galerie, seit 2007 als unkommerzieller Kunstraum. Zulauf, Lutz und Casanova sind die 3. Generation des Leitungsteams und sehen sich nicht als Kuratoren, auch wenn sie die Ausstellungen kuratieren. «Wir wollen hier in erster Linie Prozesse initiieren», erklärt Zulauf.

In Bern ist die Strohindustrie weit weg

Derzeit wäre im Kunstraum Milieu ihre zweite Ausstellung zu sehen. «Musterdorf», eine Arbeit von Thomas Moor in Kooperation mit dem Archiv des Strohmuseums im Park Wohlen. «Wir hatten im Dezember nur gerade zwei Tage offen, dann mussten wir schon wieder schliessen», bedauert der Wohler, der sich stark für dieses Projekt eingesetzt und den Künstler eng begleitet sowie unterstützt hat. Theoretisch wäre die Ausstellung bereits zu Ende, doch vorläufig wartet man ab. «Wir hoffen, dass wir wenigstens noch einmal öffnen und eine Finissage durchführen können, bevor dann die Räume wieder neu genutzt werden», sagt Zulauf.

«Musterdorf» hat viel mit Zulaufs Heimat zu tun. Mit Wohlen. Mit der Strohindustrie. Aber auch mit dem Schicksal der Arbeiter. «In Wohlen ist vieles eng mit dieser Branche verbunden, trifft man überall auf Überreste dieser Geschichte. Hier in Bern weiss man nichts davon, ist alles weit weg», sagt Zulauf, der einst an der Hochschule der Künste Bern studiert hat und seither als freischaffender Künstler lebt und arbeitet. Er selber war schon immer an der Geschichte seiner Heimat interessiert. «Die Idee zu diesem Projekt kommt von mir. Ich wollte das Ganze aber nicht selber realisieren, sondern habe nach der passenden Person dafür gesucht», erklärt er weiter.

Verschiedene Welten verbinden

Gefunden hat er Thomas Moor. Der Fricktaler Künstler hat vor drei Jahren in einer alten Scheune in Densbüren einen Kunstraum eingerichtet und verschiedene Ausstellungen organisiert. Auch Hannes Zulauf war bei ihm zu Gast und hat seine Arbeiten gezeigt. «Es hat mich beeindruckt, wie er zeitgenössisches Kunstschaffen in ein kleines Dorf brachte und es mit seiner offenen Art geschafft hat, auch die lokale Bevölkerung für dieses Projekt zu begeistern», berichtet Zulauf. Die Finissage des Projekts fand zeitgleich mit dem Dorffest statt. «Da besuchten beispielsweise auch Trachtenfrauen die Ausstellung. Thomas Moor ist es gelungen, zwei völlig gegensätzliche Welten zusammenzuführen.» Zulauf machte Moor sein Projekt schmackhaft, dieser war sofort begeistert.

«Wir haben zusammen rund ein Jahr für diese Ausstellung gearbeitet, waren dafür mehrfach im Freiamt zu Gast», erzählt Zulauf, der den Text zur Ausstellung verfasst hat. Unter anderem stand ein Besuch im Strohmuseum auf dem Programm. «Wir waren skeptisch, was uns dort erwartet. Wurden aber mit offenen Armen empfangen. Museumsleiterin Petra Giezendanner freute sich, dass sich junge Künstler mit dem Thema beschäftigen, und hat uns den Zutritt zum Archiv ermöglicht», berichtet Zulauf weiter. Auch überliess man den beiden einige Leihgaben, so etwa Beispiele der Musterkollektion der Aargauischen Strohindustrie für die Weltausstellung 1867 in Paris. «Es ist schade, dass bisher noch niemand vom Strohmuseum die Ausstellung vor Ort besuchen konnte. Es wäre schön, wenn das noch klappt.»

Schicksal der Arbeiter bewegt

Zulauf war es wichtig, sich kritisch mit dem Thema zu beschäftigen. So geht es in seinem Text auch darum, wie es den Arbeitern und Arbeiterinnen ging. Er zitiert eine Interpellation aus dem Grossen Rat, in welcher die Regierung gefragt wird, ob sie denn wisse, dass in den Betrieben der aargauischen Hutgeflechtindustrie die gesetzliche Arbeitszeit vielfach ganz bedeutend überschritten wird und dass Arbeitgeber jugendliche Arbeiter vom Besuch des obligatorischen Bürgerschulunterrichtes abhalten, um diese zu Überzeiten verwenden zu können.

Der Weg der beiden Künstler führte auch zur Turnhalle nach Fahrwangen, dem Schauplatz des «Turnhallenverbotes», welches 1911 für Aufruhr im Kanton Aargau sorgte. Als Fabrikarbeiter der Hutgeflechtindustrie einen Gewerkschaftssekretär zu einem Lichtbildvortrag luden, verbot der Gemeinderat dem Textilarbeiterverband die Versammlung in der Turnhalle. «Auf der Fahrt von Wohlen nach Fahrwangen haben wir versucht, uns vorzustellen, wie das Leben der Arbeiter war, die auf dieser Achse mit der eigens für die Strohindustrie gebauten Wohlen-Meisterschwanden-Bahn zwischen der Fabrik und ihrem Wohnort pendelten. Wir wollten das Thema kritisch beleuchten, aber gleichzeitig auch die Schönheit des Strohhandwerkes zeigen. Es ist dieser Gegensatz, der für Spannung sorgt.»

Nur virtuelle Besichtigung

Hannes Zulauf hat Künstler Thomas Moor eng begleitet, ihm aber keine Vorschriften gemacht. So gab es keinerlei Vorgaben, in welcher Form er seine Arbeit zu gestalten hat. «Es war lange offen, was passiert, es hätte auch eine Videoarbeit oder eine Installation werden können», erklärt der Wohler. Moor hat auf die Malerei gesetzt, für die er in letzter Zeit eine grosse Leidenschaft entwickelt hat. Der Kunstraum Milieu hat seine Arbeiten coronabedingt online gestellt, der Museumsbesuch ist virtuell möglich. Das sei nicht ungewöhnlich, «die Kunstszene ist heute durchaus auch digital unterwegs», erklärt der Ausstellungsmacher. «Aber es macht natürlich schon einen Unterschied, ob ich im Raum selber bin oder nur Bilder am Monitor anschaue.»

Darum hoffen er und seine Kollegen, dass das «Milieu» schon bald wieder ein offener Raum ist, der in einem regelmässigen Rhythmus junge regionale, nationale sowie internationale zeitgenössische Kunst zeigen kann. Die gestrigen Aussagen des Bundesrates lassen darauf hoffen. «Aber vorerst können wir nur warten und versuchen, das Beste daraus zu machen», sagt Zulauf zum Schluss.

https://milieu-digital.com/


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