Berger ist nicht gleich Berger

  04.12.2020 Boswil

Der Kulturverein Boswil bringt ein neues Buch zu den Zu- und Spitznamen im Dorf heraus

Die Fülle an Zunamen in Boswil ist gross. Entsprechend auch die Arbeit, ihren Ursprung herauszufinden. Benedikt Stalder hat diese auf sich genommen. Morgen Samstag erscheint das Buch.

Annemarie Keusch

Othmar Müller ist «eine vo s Deckers». Josef Müller-Stierli ist der Namensgeber dieses Zunamens. Er war Landwirt und Dachdecker. Othmar Müller trägt den Zunamen in vierter Generation und ist langjähriges Mitglied im Vorstand des Kulturvereins. Othmar Stöckli, Präsident des Vereins, ist mütterlicher Abstammung «vo s Ölerhanse». «Öler» steht für den Berufsnamen von jemandem, der eine Ölmühle betreibt und aus Nusskernen, Leinen- oder Rapssamen Öl herstellte. Und Benedikt Stalder, ebenfalls Vorstandsmitglied und Autor des Buches? «Ein fremder Fötzel», sagt er und lacht.

Aber Benedikt Stalder kennt die Geschichte von Boswil besser als viele, die das Dorf ihren Heimatort nennen und seit vielen Jahren dort leben. Der Lokalhistoriker hat sich die letzten Monate und Jahre intensiv mit den Zu- und Spitznamen in Boswil befasst und so viel über die Herkunft der Zunamen herausgefunden. «Die einen stammen von Namen ab, andere von Berufsbezeichnungen, wieder andere von den Orten, wo die Leute lebten. Das ist ganz unterschiedlich», sagt Stalder.

Mit «Bürgergeschlechter und Zunamen in Boswil» verfolgt der Kulturverein das Ziel, dass diese Namen nicht aussterben. «Es ist so, viele Junge kennen die Namen nicht mehr», sagt Präsident Othmar Stöckli. Entstanden sind sie, als es noch keine Adressen gab und die vielen gleichnamigen Leute, die beispielsweise Keusch, Huber, Keller, Berger oder Hildbrand hiessen, irgendwie auseinandergehalten werden mussten.


Vom «Röcklispatz» bis zu «s Schange»

Der Kulturverein Boswil lanciert ein Buch zu den Bürgergeschlechtern und Zunamen

Namen, Familiennamen und speziell auch Rufnamen erzählen Geschichte. Zumindest unter den älteren, langjährigen Einwohnern eines Dorfes. Damit diese Namen nicht in Vergessenheit geraten, schrieb Benedikt Stalder darüber ein Buch. Die Arbeit brauchte viel Zeit und Engagement. Morgen Samstag erscheint das Werk.

Annemarie Keusch

Alle drei überlegen sie einen Moment. «Röcklispatz», sagt Benedikt Stalder. Othmar Stöckli und Othmar Müller nicken. Die drei sind es, die im Vorstand das Projekt «Zunamen-Buch» immer wieder vorangetrieben haben. Und Benedikt Stalder hat in den letzten Monaten und Jahren viel Zeit in die Recherche und ins Schreiben des Buches investiert. «Röcklispatz» ist ihre Antwort auf die Frage, welcher Zu- oder Spitzname ihrer Meinung nach der speziellste ist.

Vier Johann Notter

Von «s Röcklis» abstammend war Josef Viktor Notter (1896 bis 1978), ein Dorforiginal. Ein geringer, aber sehniger Mann, mit einer grossen Portion «Buureschlöji» ausgestattet. Mit kleinen Händeln hielt er sich über Wasser, verkaufte im Feldenmoos gestochene Torben, im Winter Christbäume in Zürich. Seinen Spitznamen trägt er seit Kindheit. Es sei in der Schule gewesen, als er sein Maul etwas gar voll genommen habe und der Lehrer zu ihm sagte: «Tue nid so plagiere du chline Spatz.» Der Name blieb hängen. «Solche und ähnliche Geschichten gibt es zuhauf», sagt Benedikt Stalder. Sie heissen Ammann, Berger, End, Hildbrand, Hilfiker, Huber, Keller, Keusch, Mäder, Meier, Müller, Notter, Stierli, Stöckli oder Werder. Die Liste der Boswiler Bürgernamen ist zwar einigermassen lang. «Aber früher hiessen fast alle Leute im Dorf so», erzählt Othmar Stöckli. Er ist Präsident des örtlichen Kulturvereins. Weil es zudem Vornamen gab, die ganz besonders in Mode waren, etwa Johann oder Jakob, kam es vor, dass mehrere Leute gleich hiessen. «Johann Notter hiessen zur gleichen Zeit gleich vier Männer», sagt Benedikt Stalder. Zunamen boten Abhilfe, weil es Adressen in der heutigen Form noch gar nicht gab.

Taufbücher als Quellen

Berufe, Vornamen, Charaktereigenschaften – am Ursprung der Zunamen stehen ganz unterschiedliche Geschichten. «S Balze» ist eine Verkürzung des Vornamens Balthasar, «s Schange» ist die deutschschweizerische Schreibweise von Jean. «S Humbels» ist von der Hummel abgeleitet, die pummeliger ist als eine Honigbiene. Entsprechend müsse es eine gedrungene, fleissige Person gewesen sein, auf die der Name übertragen wurde. Oder «s Komidante» hiessen so, weil der Namensgeber damals Kreiskommandant war und die militärische Kontrollführung innehatte. Es sind drei Beispiele für ganz viele Herleitungen, denen Benedikt Stalder auf die Spur kam.

Dass ein Zunamen-Buch verfasst werden soll, ist in Boswil seit Jahrzehnten ein Thema. Immer wieder kam es aufs Tapet, verschwand aber auch wieder – wegen zu wenig Zeit, wegen anderen Projekten. «Das Thema war latent vorhanden, wurde aber nie fertigbehandelt», beschreibt es Vereinspräsident Othmar Stöckli. So war es, bis sich Vorstandsmitglied Benedikt Stalder des Themas annahm. Seine grösste Quelle fand er im Kirchenarchiv. «Viele Zunamen sind in den Taufbüchern erwähnt», sagt er. Weil dort neben dem Namen des Säuglings auch jene der Eltern und bei Erstgeborenen jene der Grosseltern standen – weil diese in der damaligen Zeit oft Paten der Erstgeborenen waren –, waren diese Bücher für Stalder eine Goldgrube.

Auch die Steuerbücher im Gemeindearchiv gaben einiges her. Und in den Handbüchern des damals in Boswil tätigen Pfarrers Pater Ignaz Infanger blätterte Stalder auch. «Ab 1820 führte er über alles Buch. Bis ins 17. Jahrhundert zurück gehen die ersten Taufbücher. «Viele Zunamen sind seit dieser Zeit geläufig, etwa «s Becke», deren Zuname nicht darauf zurückging, dass sie Bäcker waren. Diese Berufsgattung nannte man damals Pistor.»

Diskussionen rund um Spitznamen

In vielen Gesprächen mit älteren Einwohnerinnen und Einwohnern sammelte der Kulturvereinsvorstand zusätzliche Informationen. «Das war ein sehr spannender Prozess», sagt Vorstandsmitglied Othmar Müller. Aber auch wenn die Recherche tiefgreifend war, dass die Herleitungen wirklich stimmen, kann der Autor nicht versprechen. «Ich musste umschreiben, annehmen. Vor allem auch weil die Überlieferungen in all den Jahren verwässert sind.» Trotzdem sagen die drei mit Stolz: «Wir haben alles aufgeschrieben, was wir herausfinden konnten. Von A bis Z sind wir wohl ganz nahe an der Vollständigkeit aller Zunamen.» Aufgelistet sind nicht nur die Zunamen, sondern auch Spitznamen. Vom «Cheese Maker» über den «Fahneschwinger», den «Rosenober» oder den «Null-Eis» bis zum «Fränzi» – auch ihre Geschichte ist erzählt. «Die Spitznamen führten zu einigen Diskussionen», sagt Benedikt Stalder und lacht. Man habe sich darauf geeinigt, dass noch lebende Personen im Buch nicht vorkommen.

Vorverkauf morgen Samstag im Foyer

Das Buch ist druckfrisch. Die drei Männer halten die ersten Exemplare in ihren Händen. «Es ist toll geworden», sagt Othmar Müller. Vor allem von der Qualität der teils uralten Fotos sind sie begeistert. «Wir hoffen, dass auch dank diesem Werk vielleicht wieder mehr auch jüngere Leute die Zunamen kennen», sagt Othmar Stöckli. Die Namen seien ein Kulturgut, das nicht ganz verschwinden soll. Das Buch «Bürgergeschichten und Zunamen in Boswil» erscheint morgen, 5. Dezember, «ideal als Weihnachtsgeschenk», sagen die Vorstandsmitglieder und grinsen. Der erste öffentliche Verkauf findet morgen, 10 bis 14 Uhr, im Foyer des Schulhauses statt. Nachher ist das Buch im Volg käuflich oder man kann es auf der Homepage des Vereins bestellen.

Mehr Infos: www.kulturverein-boswil.ch.


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