Wie aus einer anderen Zeit

  08.09.2020 Wohlen

Kulturpalast, der Zirkus der Compagnie Roikkuva, begeisterte am Premierenabend das Publikum

Mit nur vier Artisten und zwei Helfern gehört der Kulturpalast vermutlich zu den kleinsten Zirkusunternehmen in der Schweiz. Das Gezeigte muss sich aber hinter dem, was die Grossen bieten, nicht verstecken.

Chregi Hansen

Auch das Scheitern gehört hier zum Programm. Schliesslich geht es im Stück «Empire of Fools» um einen Zirkus, in dem vieles nicht unbedingt zum Besten steht. Und um eine Truppe, die sich zwar immer wieder zusammenrauft, aber eigentlich gar nicht so richtig zusammenpasst. Je länger der Abend dauert, desto mehr kommt dieser Konflikt zum Vorschein. Bis zuletzt noch Andreas Muntwyler ganz allein auf dem Seil steht. Und in seiner Not einen Zuschauer bitten muss, dieses wieder zu spannen. Damit er endlich seinen Salto zeigen kann.

Viele stille Momente

Es ist keine «grosse» Geschichte, welche der Zirkus Kulturpalast in seinem ersten Programm erzählt. Es ist eine kleine, poetische und sehr stimmungsvolle Erzählung über das, was die Faszination Zirkus ausmacht. Gewürzt mit wunderbarem Humor, toller Musik und artistischen Leistungen. Es gibt philosophische Exkurse über das Seiltanzen, aber auch wunderbar stille Momente, wenn ein trauriger Pierrot sich in seinem Traum verliert. Auch dabei wird mit den verschiedenen Ebenen gespielt. Man müsse diese Nummer gleich am Anfang zeigen, denn sie passe überhaupt nicht zum Rest, erklärt Andreas Muntwyler dem Publikum augenzwinkernd, während er die Manege wischt und das «offizielle» Programm einläutet.

Vieles ist anders, als man es sich heute gewohnt ist. Fast begibt man sich auf Zeitreise. Da passt es, dass ein Teil der Nummer sozusagen in Schwarz-Weiss inszeniert wird. Auf dem Weg zur Tribüne kommt das Publikum an den Garderoben vorbei und sieht, wie sich die vier Artisten bereitmachen. Danach sitzt man ganz nahe am Geschehen, teilweise schaukelt Ulla Tikka haarscharf über die Köpfe hinweg. Gespielt wird ohne Pause, aber auch ohne Längen – die Geschichte packt, die Menschen in ihr berühren. Komik, Artistik und poetische Momente wechseln in bunter Reihenfolge, überschneiden sich, fügen sich zu einem Ganzen.

Einfach sehenswert

Das funktioniert, weil die vier Protagonisten Multitalente sind. Das Artistenpaar Ulla Tikka und Andreas Muntwyler absolviert viele Einsätze als Musiker – und wagt damit Neues. Der eigentliche Musiker Samuel Messerli steuert nicht nur viele wunderbare Kompositionen bei und spielt auf allem, was ihm zwischen die Finger kommt, sondern beweist zusätzlich komödiantisches Talent. Doch die Herzen der Zuschauer gewinnt vor allem Gerardo Tetilla, der als listiger, immer zu Schabernack aufgelegter, aber gleichzeitig auch schwermütiger Clown in seinem Bademantel und den roten Wollsocken durch die Manege stapft. Lustig und tragisch zugleich. Einfach sehenswert.

Der Kulturpalast der Compagnie Roikkuva sieht sich ganz in der Tradition der früheren Wanderzirkusse. Er will ganz nahe bei den Menschen sein und sie einen Abend lang mitnehmen auf eine Reise in die Fantasie. Die Premiere in Wohlen war ein voller Erfolg. Nun folgt bis Ende September die Bewährungsprobe in Unterägeri, Uster und Rheinfelden. Möge das Stück auch dort seine Magie entfalten.


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