Unbeirrbar auf dem eigenen Weg

  01.09.2020 Wohlen

Die Vernissage zur grossen Werkschau von Heidi Widmer zog sehr viele Besucher an

Trotz dem strömenden Regen strömten an diesem Sonntag rund 200 Gäste in den alten Werkhof in der Bleichi. Noch bis zum 27. September ist hier eine Auswahl des grossen Schaffens der Wohler Künstlerin zu sehen. Heidi Widmer selber war überwältigt. Und ein wenig sauer.

Chregi Hansen

Maskenpflicht. Abstand halten. Nein, das passt nicht zu Heidi Widmer. Sie, die stets voller Lebenslust ist, die direkt auf die Menschen zu geht und sie umarmen möchte. Die am liebsten mit jedem Besucher persönlich anstossen will. Und nun wird auch noch der Apéro nach draussen verlegt, trotz Regen. Nein, das gefällt ihr nicht. Fast schon trotzig entledigt sie sich nach absolviertem offiziellem Teil ihrer Maske. Und sucht die Nähe zu den Gästen.

«Es tut uns leid, aber es muss eben sein», entschuldigt sich Hans Furter, der Präsident der Kunstkommission. Die Sicherheitsmassnahmen sind nötig, weil viel mehr Besucher kommen als erwartet – rund 200 sind es an diesem Morgen. Sie alle wollen dabei sein, wenn Wohlen seine grosse Künstlerin ehrt. Aus Anlass ihres 80. Geburtstages hat die Kunstkommission eine grosse Werkschau zusammengestellt. Rund ein Jahr dauerten die Vorbereitungen und die Auswahl der Bilder.

Längst fällige Würdigung

«Wir wollen nicht einfach die 30 schönsten Bilder zeigen, sondern einen Querschnitt durch ihr immenses Schaffen. Was das bedeutet, kann sich jeder vorstellen, der Heidi Widmer kennt», so Furter weiter. Denn die Künstlerin ist unermüdlich, die rund 600 hier gezeigten Werke sind nur ein kleiner Prozentsatz ihres Schaffens. «Ich kenne Heidi seit 50 Jahren. Aber ich habe immer wieder Bilder entdeckt, die ich nicht gekannt habe», gibt Furter zu.

Die grosse Ausstellung, sie ist die längst fällige Würdigung einer grossen Künstlerin, die meist etwas abseits stand. Viele tun sich schwer, Zugang zu ihren Werken zu finden. Die Fülle ihrer Arbeiten kann einen fast erschlagen. Heidi Widmer hat nie auf den kommerziellen Erfolg geschielt, sich nie angepasst. Vermutlich blieb ihr darum der grosse Durchbruch verwehrt. Gleichzeitig war und ist sie ein Menschenfreund. Das wenige, das sie hat, teilt sie gern mit anderen. Und wo sie Not entdeckt, da muss sie handeln. Wie damals, als sie in Sri Lanka den Tsunami erlebte. Und danach blieb und ein Hilfswerk gründete. «Noch immer ist sie hellwach und besessen von ihrer Arbeit», beschreibt Hans Furter die Künstlerin.

Ungebundenheit, Beharrlichkeit und Zugewandtheit: Diese drei Worte charakterisieren für Hans-Ulrich Glarner Heidi Widmer. Der Vorsteher des Amtes für Kultur des Kantons Bern hielt die Laudatio. Und outete sich als Besitzer eines Widmer-Bildes. Gerade in den heutigen Zeiten von Home-Office hätten Kunstwerke eine wichtige Funktion, gerne lasse er zwischendurch den Blick über diese Bilder schweifen – Kunst quasi als Home-Trainer für Seele und Geist.

Die Welt entdecken

Glarner erinnerte daran, wie die junge Heidi Widmer ausgebrochen ist und ungestüm die Welt eroberte. «Aber nicht, um sie zu besitzen, sondern, um sich ihr anzunähern und sie zu malen.» Widmer begab sich auf Weltreise, fast mittellos, aber mit grosser Neugier. Und das lange, bevor solche Reisen in Mode kamen. «Sie blickt in die Ferne und sieht in der Nähe.» Als ganz junge Frau wandte sie sich der Welt zu, dem Wunderbaren und Geheimnisvollen ebenso wie den Abgründen.

«Widmer spaziert aber nicht im Gänsemarsch durch die Welt und die Zeit, sie mäandriert wie ein Fluss, ist mal hier, mal da.» Am Amazonas. In Prag. Bei den Bootsflüchtlingen. Auch in ihrer Arbeit lässt sie sich nicht einengen. Mäandriert auch hier, versucht immer wieder Neues. Passt sich nicht an. Malt nicht das, was gefragt ist. Sondern das, was sie fühlt. Sie ruhte sich nicht aus, sondern ging stets suchend und schaffend durch die Welt. «Sie lässt sich nicht bewerten. Sie geht unbeirrbar, konsequent – stur – ihren Weg.»

Ausstellung der Sonderklasse

Noch heute malt sie täglich. «Ich habe grossen Respekt vor dir und deiner Arbeit», richtete sich Glarner an die Künstlerin. Sie malt nicht nur, auch ihre Texte seien bemerkenswert, so Glarner weiter. Ihre Tagebücher würden ganze Übersehkoffer füllen. Und dieses Ausschweifende lässt sich jetzt auch in der Ausstellung nachempfinden. Indem die verschiedenen Räume verschiedene Epochen ihres Schaffens zeigen, kann auch der Besucher durch die alten Hallen mäandrieren. Und immer wieder neue Aspekte entdecken.

«Die Spezialkommission hat einen grossartigen Job gemacht», zollt der Festredner Respekt. «Diesen Zusammenklang von Bild, Wort, Lebenszeit und Raum werte ich als eine Ausstellung der Sonderklasse.» Die grosse Werkschau ermögliche es, sich von Widmers Werk und Wirken berühren zu lassen – «geistig-ästhetisch und emotional», wie Glarner betont. Der Besuch der Ausstellung, davon ist der Kulturchef überzeugt, verändert den Blick auf diese Welt. Klärt ihn. Und das gut – gerade in Zeiten, in denen Menschen Masken tragen. Und auf Abstand gehen. Und Heidi Widmer nicht mal zwischen ihren Bildern mit ihren Freunden anstossen darf.

Die Ausstellung von Heidi Widmer im ehemaligen Werkhofgebäude der Bleichi dauert bis zum 27. September. Die Ausstellung ist jeweils von Mittwoch bis Freitag von 17. bis 20 Uhr sowie Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.


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