Überraschung im Quartier

  10.07.2020 Wohlen

Sommerserie «Auf den Punkt»

Der Start in die Sommerserie «Auf den Punkt» ist ein bierischer Volltreffer.

In der Sommerserie «Auf den Punkt» werfen die Redaktoren dieser Zeitung einen Dartpfeil auf die Dorfkarte und begeben sich an den getroffenen Ort. Dort wird dann nach spannenden Geschichten gesucht. Eine abenteuerliche und spontane Sache. Zum Start dieser Serie landete der Dartpfeil an der Waltenschwilerstrasse in Wohlen. Beim einzigen Rotlicht im Dorf findet sich eine einmalige Geschichte eines Liebespaars, das pro Monat 1000 Liter Bier in seinem Keller braut. --spr


Ein Bier an der Ampel

Sommerserie «Auf den Punkt»: Sery und Daniel Scherrer, die Bierbrauer mitten in Wohlen

Eine USA-Reise erweckte die Freude am Bier. Sery und Daniel Scherrer produzieren nun seit drei Jahren rund 8000 Liter Bier an der Waltenschwilerstrasse. Es soll noch mehr werden.

Stefan Sprenger

«Wie das Leben so spielt», sagen Sery und Daniel Scherrer, bevor sie ihre eindrückliche Geschichte erzählen. Das Ehepaar lebt seit drei Jahren in Wohlen und produziert im Keller ein regionales Bier mit Geschmack. Sie sind Inhaber der «Kunstwerk Craft Beer»-Brauerei. Doch während man ihr Bier im Freiamt schon kennt, ist die Familie eher unbekannt.

Dies ändert die Sommerserie dieser Zeitung. Es stellt sich die Frage: Wie viel Glück braucht es, um die erste Brauerei in Wohlen seit 140 Jahren mit dem Dartpfeil zu treffen? So passiert beim Start zur Serie «Auf den Punkt». Auf die Wohler Dorfkarte wird ein Dartpfeil geworfen. Er schlägt ein bei der Waltenschwilerstrasse. Dort, wo seit ein paar Jahren Miet- und Eigentumswohnungen stehen. Diese Häuser sind eingekesselt von der Bünz, der BDB-Bahnlinie und der Waltenschwilerstrasse. An diesem Ort wurde eine Geschichte gesucht. Und auch faszinierend schnell gefunden.

Kleine Stadt, viele Biere

Vis-a-vis der Fahrschule Kurt Brunner steht die Siedlung mit den Neubauten. An diesem Dienstagmorgen ist es ruhig. Nur wenig Verkehr herrscht am einzigen Wohler Rotlicht (das sich im Dorf befindet). Für grössere Lastwagen ist der Tunnel zu eng. Fussverkehr gibt es kaum. Die vielen Kinder und Jugendlichen des benachbarten Junkholzschulhauses haben Ferien.

Wo gibt es hier eine spannende Geschichte? Schon bei den Briefkästen strahlt es heraus: «Kunstwerk Craft Beer» steht unter dem Namen Sery und Daniel Scherrer. Steht hier, mitten in einer Wohnsiedlung, wirklich eine Brauerei? Die 40-Jährige Sery Scherrer öffnet die Tür an der Waltenschwilerstrasse 38A. Sofort ist man offen, ihre Geschichte zu erzählen. Sery und Daniel Scherrer laden zu sich auf die Terrasse ein. Es ist 11 Uhr. Zu früh für ein Bier. Leider. Denn die Auswahl in ihrem Haushalt wäre eine Degustation wert.

18 Blasen und eine Bier-Erleuchtung

Sery Scherrer holt ein Erinnerungsbuch hervor. Es ist voller Bilder ihrer Reise im Jahr 2016. Das Paar geht mit Sohn Julian (12) auf eine Reise durch die USA. Sie wandern auf dem «Pacific Crest Trail» durch die Bundesstaaten Oregon und Washington. Täglich legen sie rund 30 Kilometer zurück – zu Fuss. In den vier Wochen Urlaub meistern sie 800 Kilometer. «Ich hatte 18 Blasen am Fuss», fügt Sery Scherrer lachend an. Er meint: «Auf den langen Wanderungen kriegten wir Durst auf ein Bier.» Nach 5 Tagen in der Wildnis gehen sie in der ersten kleinen Stadt in einen Supermarkt. «Trotz minimaler Zivilisation in diesem Dorf war die Auswahl an verschiedenen Bieren gigantisch», erzählt der 37-Jährige. Sie kaufen sich ein IPA-Bier, ein Indian Pale Ale. «Das war der Moment, in dem wir den unglaublichen Geschmack für uns entdeckten. Ab dem ersten Schluck war es um uns geschehen. Dieser hopfige, fruchtige Geschmack war unglaublich. Eine Explosion der Sinne», meint er philosophisch.

Die Wanderung entwickelt sich zu einer Bier-Erkundungstour. Sie besichtigen viele Brauereien, die es in dieser Gegend zuhauf gibt. Sie lernen Leute kennen, die ihnen ihre Tipps und Tricks beim Bierbrauen weitergeben. Freundschaften wurden geboren, die bis heute halten. Und auf ihrem Leben schwimmt ab sofort Bierschaum mit.

«Freiämter Helles» und «Angry Wolf»

Sery und Daniel Scherrer nehmen ein paar Biere mit ihn die Schweiz. Doch das reichte nicht. Sie wollten den Geschmack der IPA-Biere den Schweizern näherbringen. Denn hier ist die Vielfalt an IPAs gering. Von seiner Frau kriegt Daniel Scherrer einen 20-Liter-Tank zum Geburtstag geschenkt. «Kunstwerk Craft Beer» war geboren. Es folgten ein 50-Literund ein 100-Liter-Tank. Heute produzieren sie in ihrem 16m2 grossen Keller rund 1000 Liter im Monat. «Wir haben klein angefangen und wachsen mit unseren Kunden. Es ist ein zweites Standbein und es macht uns riesigen Spass», erzählen die beiden stolz.

Er ist der Braumeister und kreiert immer wieder neue Biersorten. Mal mit einem Schuss Curaçao, mal mit Koriander. In ihrem Sortiment gibt es Biere mit den Namen «Freiämter Helles», «Freiämter Weizen», «Wild Grizzly», «Angry Wolf» oder «Orange Milkshake». Die Brauerei will konstant wachsen. «Der Gewinn wird gleich wieder investiert. Es ist ein Hobby und ein zweites Standbein zugleich», sagt Daniel Scherrer. «Immer erst probieren. Jedes einzelne Bier soll ein Kunstwerk sein», so sein Anspruch.

Vor drei Jahren zügelte das Ehepaar nach Wohlen. Er, der Sales Director bei der Swisscom, stammt aus dem Thurgau. Sie, die gelernte Fotografin, ist im Kanton Glarus aufgewachsen. Bis 2017 lebten sie für sieben Jahre im Tessin – wegen seines Jobs. Sie wollten dann zurück in die Deutschschweiz. «Doch wohin?», fragten sie sich. Schliesslich sticht ihnen Wohlen ins Auge. «Ideal gelegen, nahe an der Natur, man ist schnell in Zürich und es gibt hier alles und noch mehr, was man zum Leben braucht», sagt Daniel Scherrer. Ihre Freunde rümpften die Nase. «Wohlen hat bei vielen Auswärtigen einen schlechten Ruf. Wir verstehen aber nicht, wieso. Es ist wunderbar hier», sagt Sery Scherrer.

Bier hilft bei Integration

Beide sagen, es sei schwierig, wenn man nicht hier aufgewachsen ist, den Anschluss an das Dorf zu finden. «Ich kenne zwar den Soulsänger Seven, aber sonst nur wenige Menschen. Wir versuchen, uns weiterhin ins Wohler Dorf zu integrieren», sagt Sery Scherrer. Das Bier hilft ihnen bei der Integration. Er ist Mitglied der FDP und beliefert die Wohler Partei bei ihrem alljährlichem Güggelischmaus mit dem «Kraftwerk»-Bier. Und auch an den Bremgarter Biertagen oder der Sommerbar in Wohlen wird ihr Bier vertrieben – und so kommen sie mehr und mehr in Kontakt mit den Menschen aus dem Freiamt. «Die Sommerbar und die Bremgarter Biertage sind tolle Events. Es sind überlegte und alternative Konzepte, das finden wir hervorragend.»

Momentan ist man ausverkauft

Momentan sind sie ausgeschossen. «Kein Bier mehr», meint Sery Scherrer lachend. Ausverkauft. Während die Coronazeit vielen Brauereien zusetzte und man viel weniger Bier als sonst verkaufte, erlebten sie das Gegenteil. Eine mögliche Erklärung: Während der Coronazeit hatte man mehr Zeit, sich ein besonderes, regionales Bier zu gönnen. Wer eines der «Kunstwerk»-Biere testen möchte, kann sich das Bier an der Waltenschwilerstrasse 38 A abholen – mit Voranmeldung am besten. Ab zwei Kisten wird geliefert. Aber eben: Momentan ist alles ausverkauft. Wer ein Bier von den beiden trinken will, kann dies momentan nur an der Wohler Sommerbar. «Unser Bier kommt bei den Menschen gut an. Das freut uns sehr», sagt Sery Scherrer.

Er ist Meister im Brazilian Jiu-Jitsu

Beim Gespräch auf der Terrasse erzählt er dann so nebenbei, dass er noch eine andere Leidenschaft hat, die er ebenfalls sehr erfolgreich durchzieht. Daniel Scherrer trainiert bis zu siebenmal pro Woche und ist mehrfacher Landesmeister im Brazilian Jiu-Jitsu. In dieser Sportart kann man auch Deutscher oder Irländischer Meister werden – auch als Schweizer, wie er es schaffte. Hierzulande holte er den nationalen Titel bislang einmal. «Wenn man mit Passion etwas macht, dann kommt es gut – so oder so.» Er teilt diese Leidenschaft mit Sohn Julian, der ebenfalls schon Titel gewinnen konnte.

Erste registrierte Brauerei seit 1880

Ein Dartpfeil trifft eine bislang eher unbekannte Brauerei in Wohlen. «Über uns wurde noch nie berichtet», meint das Ehepaar. Faszinierend, denn das «Kunstwerk Craft Beer » ist nach 140 Jahren die erste registrierte Brauerei in Wohlen. Dies zeigt ein Blick in die Geschichtsbücher. Bis 1880 gab es in Wohlen zwei Brauereien. L. Hunn und G. Zehnder. Und danach nichts mehr. Bis «Kunstwerk» kam. Das «Bünzwasser» folgte erst später.

Ein Schluck IPA in einem kleinen Dorf irgendwo im Nordwesten der USA führt zu der ersten Brauerei in Wohlen seit 140 Jahren. «Wie das Leben so spielt», meinen Sery und Daniel Scherrer. Wie das Leben so spielt, können auch ein kleiner Dartpfeil und eine Sommerserie dieser Regionalzeitung zu einer ausserordentlichen Geschichte führen.


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