Alte Zeit zurückholen
19.06.2020 AristauCyril Schulthess’ Herz für Drehorgeln
Schwarze Hose, weisses Hemd, schwarzes Gilet und schwarzer Zylinder. Es ist Cyril Schulthess’ Drehorgel-Uniform. Der Aristauer ist einer der Jüngsten, die dieses Instrument noch spielen. «Vor allem bei älteren Leuten kommt die Musik gut an, sie erinnert an früher.» Aber Drehorgel kann auch ganz modern. Unter den fast 400 Rollen in seinem Besitz hat Schulthess auch neuzeitliche Musik, etwa von Helene Fischer. --ake
Der Junge an der Drehorgel
Cyril Schulthess aus Aristau ist Vizepräsident des Schweizer Drehorgel-Clubs
An den Treffen, ob im In- oder Ausland, fällt Cyril Schulthess auf. Er ist 34-jährig und damit einer der Jüngsten, die Drehorgel spielen. Die Faszination dafür sprang von seinem Grossvater auf ihn über. Der Aristauer engagiert sich dafür, dass das Instrument nicht in Vergessenheit gerät.
Annemarie Keusch
«Nein, so einfach ist es nicht.» Cyril Schulthess lacht. «Viele meinen, wir können einfach danebenstehen und drehen.» Dem sei nicht so, auch wenn das Lernen des Drehorgelspiels nicht vergleichbar sei damit, sich ein anderes Instrument anzueignen. Musikgehör und Taktgefühl seien gefragt. «Beim Drehen bestimmt man das Tempo der Musik, was nicht unwichtig ist», sagt Schulthess. Zudem stimme er seine Drehorgeln selber. «Auch ein entscheidender Faktor, damit es am Schluss gut tönt.»
Dass Drehorgeln sein grosses Hobby wurden, hat der 34-Jährige seinem Grossvater zu verdanken. Als Schulthess klein war, lieh der Grossvater eine Drehorgel aus und spielte darauf. Es war auch die erste Drehorgel, auf der Cyril Schulthess spielte. Bald darauf besuchten sie erstmals gemeinsam ein Treffen. Bis der Grossvater 89-jährig war, traten sie als Duo auf. «Schon als Kind machte mir das richtig viel Spass.» Musik sei schon seit jeher ein grosses Thema für ihn gewesen. Schulthess spielte Klarinette, gehörte einer Blasmusik an.
Teures Hobby
Aber eben, «den Ärmel richtig reingenommen hat mir die Drehorgel». Plötzlich sei er angefressen gewesen. Schulthess spricht von einem kleinen Wunder der Technik, die die verschiedenen Pfeifen – ähnlich einer Kirchenorgel – zum Klingen bringen. «Wenn man sich vorstellt, dass es dieses komplexe Instrument seit 1800 gibt, ist das schon eindrücklich.» Mittlerweile sind fünf Drehorgeln in Cyril Schulthess’ Besitz, die älteste mit Jahrgang 1854, weitere mit den Jahrgängen 1927 und 1929 und gar ein Unikat. Zwischen 4000 und 40 000 Franken muss aufwenden, wer eine Drehorgel erwerben will, je nach Zustand und Alter. «Es ist kein günstiges Hobby», sagt Schulthess und vermutet darin einen der Gründe, weshalb es an Nachwuchs mangelt.
Bis zu Helene Fischer
Zwischen 400 und 500 aktive Drehorgelspieler gibt es aktuell in der Schweiz. «Wir kennen uns praktisch alle untereinander.» Die regelmässigen Treffen helfen der Vernetzung. Cyril Schulthess organisiert auch jährlich eines – in Laufenburg. «Es ist wichtig, dass wir mit unseren Instrumenten in der Öffentlichkeit präsent sind.»
Gebuchte Auftritte kommen bei ihm jährlich ein paar dazu. Hochzeiten, Firmenjubiläen, Beerdigungen. Dabei ist die Bandbreite an möglichen Liedern gross und längst nicht nur auf alte Musikstücke beschränkt. «Bei einer Auswahl von 300 bis 400 Rollen ist für alle etwas dabei», sagt Schulthess, der im technischen Dienst der Kinderreha Schweiz in Affoltern am Albis arbeitet. Besonders beliebt seien aktuell Helene-Fischer-Songs.
Berlin einstige Hochburg
Der Fortbestand der Drehorgel ist dem Aristauer wichtig. Entsprechend war er eine der treibenden Kräfte, die 2015 den Schweizer Drehorgel-Club gründeten. Seither amtet Schulthess als Vizepräsident des Vereins. «Hier kann ich als Junger viel bewirken, auch wenn es nicht immer einfach ist, in einem von älteren Leuten geprägten Metier», meint er schmunzelnd. Er ist einer der wenigen Jungen im Verein. «Viele kennen das Instrument gar nicht mehr. Erinnerungen haben eher ältere Leute, vor allem Deutsche. Die Drehorgel war früher vor allem in Grossstädten wie Berlin weit verbreitet.»
Zum Unterhaltungsinstrument wurde die Drehorgel erst in der Biedermeier-Zeit. «Vorher waren es Kriegsinvalide oder Bettler, die am Strassenrand spielten und damit Geld sammelten», weiss Cyril Schulthess. Heute ist es verboten, sich mit der Drehorgel an den Strassenrand zu stellen und zu spielen. «Obwohl, wir wollen eigentlich nur Freude bringen und nicht betteln», sagt Cyril Schulthess. Aber so sei eben das Gesetz. Und viel Zeit habe er aktuell sowieso nicht, um in den Strassen Drehorgel zu spielen. Im November wurde er erstmals Vater. «Mein Fokus liegt darum natürlich aktuell bei meiner Tochter und nicht bei den Drehorgeln.»