Hauch des Südens
29.05.2020Auf Pirsch mit dem Laubfrosch-Zähler Christoph Flory
Seit über 25 Jahren wird zwischen Mellingen und Bremgarten mit der gleichen Methode jährlich die stark bedrohte Amphibienart Laubfrosch gezählt. Diese Zeitung begleitete Christoph Flory, Leiter dieser Erfassung, bei der nächtlichen Pirsch in Fischbach-Göslikon.
Roger Wetli
Ein lauschiger Abend Ende Mai: Es wird langsam dunkel, letzte Vögel zwitschern und ziehen umher. Dazwischen streuen sich erste Rufe von Laubfrosch-Männchen ein. In der Nähe der Reuss steht Christoph Flory und lauscht. «Nähere ich mich einem Gebiet, in dem ich die Tiere zählen möchte, versuche ich die Lage zuerst über das Gehör zu erfassen», verrät er. Ausgerüstet ist Flory mit Taschenlampe und einem kleinen Fangnetz. Letzteres benötigt er, wenn er eine Tierart genauer bestimmen möchte. Das braucht er beim Laubfrosch nicht. Die einzelnen Tiere verraten sich durch ihren typischen Ruf. Sehen muss er sie deshalb nicht zwingend.
Höhepunkt bereits vorbei?
Mittlerweile ist es vollständig dunkel. Der Amphibienkenner schaltet die Taschenlampe ein und tritt ein in ein Gebiet mit zwei Teichen. Aufmerksam sucht er die Wasserflächen und die Randbereiche ab und lauscht. «Bis etwa 20 Laubfrösche kann man ungefähr über die Rufe orten. Es hilft dabei, wenn man den Standort ab und zu wechselt und sich merkt, von wo welches Tier gequakt hat.» Dieser erste Standort erweist sich mit fünf Rufern eher als mager. «Ende April waren hier deutlich mehr Individuen zu hören. Es könnte sein, dass die Paarungszeit langsam zu Ende geht», mutmasst er.
Beinahe ausgestorben
Bei Laubfröschen rufen ausschliesslich die Männchen. Diese ziehen in jedem Frühjahr umher auf der Suche nach neuen Gewässern. Das ist nötig, weil sich die Art auf einen Lebensraum spezialisiert hat, der durch Hochwasser immer wieder neu gestaltet wird. Die Tümpel befinden sich deshalb alle paar Jahre an einem neuen Standort. «Diese Dynamik wurde durch die Hochwasserschutzmassnahmen mit Dämmen unterbunden», so Flory. «Ersatzlebensraum fanden die Laubfrösche in Kiesgruben. Trotzdem verschwanden sie Anfang der 90er-Jahre fast vollständig aus dem Reusstal.»
Einziger Kletterfrosch der Schweiz
Der heute 52-jährige Flory ist in Niederwil aufgewachsen. Als Jugendlicher wollte er dieser Tendenz nicht tatenlos zusehen und fand Mitstreiter, Naturschutzorganisation, Kanton und Gemeinden, die ihm bei der Rettung der Frösche halfen. Um zu schauen, ob die Massnahmen in Form von neu angelegten Tümpeln wirken, wurde ein Amphibienmonitoring eingeführt. Aktuell sind für die Laubfroscherfassung zwischen Mellingen und Bremgarten zwölf Freiwillige gegen Spesenentschädigung in 80 Gebieten unterwegs. Christoph Flory leitet diese Kontrolle und fasst die Daten für den Kanton zusammen. Auch er erfasst einige Gebiete. «Dem Laubfrosch geht es wieder deutlich besser als in den 90er-Jahren», freut sich Flory.
Das drei bis vier Zentimeter kleine Tier fasziniert ihn. «Es ist die einzige Vertretung der Kletterfrösche in der Schweiz. Diese Gattung kommt sonst in den Tropen in grosser Artenvielfalt vor.» Den Tag verbringt der Frosch in den Sträuchern und Bäumen auf Insektenjagd. Erst abends wagt er sich ans Gewässer, wo der Winzling mit seiner sehr lauten Stimme den Artgenossen verrät, wo das geeignete Laichgewässer ist.
Zwei Rufer auf Asthaufen
Bei seinen nächtlichen Streifzügen trifft Christoph Flory aber nicht nur Laubfrösche an. Im ersten Tümpel entdeckt er ein Weibchen des ebenfalls seltenen Kammmolches. Es folgen zwei Larven weiterer Molcharten. Nur der Laubfrosch will sich nicht zeigen. «Es ist toll, die anderen Tiere zu sehen und zu notieren. Für die Zählung der Frösche reichen mir die Rufe», erklärt er.
Laute Chöre künden von Weitem an, dass heute am zweiten Standort deutlich mehr los ist. Und tatsächlich tummeln sich hier zahlreiche Laubfroschmännchen gut sichtbar im Wasser. Die grosse Schallblase lässt die kleinen Tierkörper in fast doppelter Grösse erscheinen. Zwei Rufer aus einem Asthaufen wecken die Hoffnung, die grünen Kobolde noch von ganz nahe zu sehen. Und tatsächlich präsentieren sie sich in schönster Manier. Kurz darauf gleitet der Schein der Lampe auf eine Ringelnatter. Diese findet das nicht lustig und flüchtet.
Wichtig für andere Arten
Es ist die zweite Nacht in diesem Jahr, in der Christoph Flory in den zwei Gebieten die Laubfrösche notiert. Ein dritter Besuch wird im Sommer am Tag abgestattet. «Wichtig ist, dass wir diese Methodik nicht verändern. Deshalb verfügen wir mittlerweile über eine langjährige Zahlen- und Zeitreihe, was für die Wissenschaft sehr wichtig ist», erläutert Flory. «Es tut mir unglaublich gut und gibt mir viel Energie, draussen zu sein und die Natur zu beobachten.» In seiner Freizeit setze er sich für den Schutz der Lebensräume der Laubfrösche ein. «Die Zählung zeigt mir, ob wir auf dem richtigen Weg sind.»
Diese Froschart sei deshalb wichtig, weil an Orten, wo sie vorkomme, auch viele andere seltenen Tiere leben. «Ich freue mich deshalb über alle Tiere, die ich hier nachts feststellen kann.» Als am Ende der Zählung eine Nachtigall ihre Lieder ins Dunkel schleudert, ist er begeistert. «Genau das meinte ich damit.»