Atomkraft ist nicht vom Tisch
28.03.2024 Boswil, Region OberfreiamtBundesrat Albert Rösti referierte in Boswil über sein erstes Jahr als Bundesrat
Viel mehr Leute hätten im «Chillout» nicht Platz gehabt. Bundesrat Albert Rösti treffen – diese Chance packten viele Leute beim Schopf. Rösti sprach ...
Bundesrat Albert Rösti referierte in Boswil über sein erstes Jahr als Bundesrat
Viel mehr Leute hätten im «Chillout» nicht Platz gehabt. Bundesrat Albert Rösti treffen – diese Chance packten viele Leute beim Schopf. Rösti sprach über seinen Start im Bundesrat und über seine erste wichtige Abstimmung: jener über das Energiegesetz am 9. Juni.
Annemarie Keusch
Auch als die letzte Frage beantwortet war, nahm sein Abend noch kein Ende. Und das, obwohl am nächsten Morgen früh wieder die nächste Sitzung anstand und obwohl der Weg nach Bern noch weit war. Albert Rösti nahm sich die Zeit, posierte hier für Fotos, hielt da ein kurzes Schwätzchen und lächelte unentwegt. Das Bad in der Menge – er schien es zu geniessen. Dass er sich wirklich gefreut habe, hier aufzutreten, nimmt man ihm spätestens jetzt ab. Dabei ist es eigentlich schon ein Coup, dass Rösti überhaupt nach Boswil kam. «Ja, die Frage, wie ich das geschafft habe, wurde mir öfter gestellt», sagt Nicole Heggli-Boder, Präsidentin der SVP Bezirk Muri.
Sie und Rösti kennen sich schon länger, hatten auch Kontakt, nachdem dieser als Bundesrat gewählt wurde. «Ich gratulierte ihm, äusserte aber meine Bedenken, dass er nun wohl nie ins Freiamt komme», erklärt Heggli-Boder. Die Antwort Röstis kam prompt. «Ich komme ins Freiamt.» Und dieses Versprechen löste er nun ein Jahr später ein. Und das sorgte in SVP-Kreisen, aber auch im ganzen Dorf und in der Region für Begeisterung. Die Leute strömten regelrecht ins «Chillout», sitzen konnten längst nicht alle. «Wenn ein Bundesrat ins Dorf kommt, dann ist das etwas Einmaliges.» Der Satz fällt ganz oft im Raum.
«War keine Angstmacherei»
Es geht aber nicht nur darum, Bundesrat Albert Rösti zu sehen, sich allenfalls mit ihm fotografieren zu lassen. Inhalte sind nicht weniger wichtig, und in Röstis Departement brandaktuell. Der Bereich Energie beschäftige ihn am intensivsten. «Es geht ständig darum, Nutzen und Schutz einander gegenüberzustellen», hält Rösti fest. Entsprechend erachte er es als ideal, dass auch die Umwelt in sein Departement fällt. «Biodiversität ist wichtig, sie zu erhalten und zu fördern ebenso. Aber ganz so einfach ist es nicht.» Der Wolf sei ein gutes Beispiel. «Wenn sich der Wolf weiter ausbreitet und das zur Folge hat, dass die Schafe von den Alpen abgezogen werden, dann hat das für die Biodiversität auf den Alpwiesen viel mehr negativen Einfluss, als wenn es keinen Wolf gäbe.» Er beobachte, dass die Diskussionen, gerade wenn es um Tiere geht, schnell emotional werden. «Das gilt es auszuhalten. Es ist ein stetiges Abwägen, jeden Tag. Wenn es neben der Artenvielfalt kaum mehr möglich ist, zu wirtschaften, dann ist das nicht gut.»
Rösti muss nicht nur abwägen, wenn es um den Wolf geht. Die gleiche Thematik gibts vor allem in Energiebereich – ob bei geplanten Windparks oder beim Ausbau der Wasserkraft. Ganz allgemein ist für Rösti klar: «Damit unser Land existieren kann, braucht es genug Strom und genug Energie.» Unter anderem wegen Fehlern in der Vergangenheit sei die Angst aufgekommen, dass eben diese Energie zu knapp werde. «Ich kann sagen, das war nicht nur Angstmacherei, wir mussten reagieren.» Mit Fehlern kommt er auf den «unüberlegten Ausstieg aus der Kernkraft nach Fukushima» zu sprechen. Kriege, wenig Gas in Deutschland, nicht auf Hochtouren laufende Kernkraftwerke in Frankreich. «Dass man in Europa immer Strom importieren kann, das stimmt nicht mehr.»
Windpark beschäftigt auch im Freiamt
Entsprechend will Rösti agieren, nicht mehr nur reagieren. Am 9. Juni entscheidet das Stimmvolk an der Urne über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien. Auch wenn Rösti weiss, dass er in SVP-Kreisen mit Gegenwind zu rechnen hat, plädiert er für die Annahme des Gesetzes. «Wir müssen beispielsweise das Reservekraftwerk in Brugg 2026 zurückbauen. Wir brauchen also rasch mehr Strom.» Zumal mit dem Bevölkerungswachstum auch laufend mehr Strom verbraucht werde. «Vor allem im Winter müssen es mindestens zehn Prozent mehr sein.» Das will Rösti mit dem Energiegesetz erreichen.
Dabei geht es darum, Wasserkraftwerke weiter auszubauen. «Dagegen wehren sich Umweltverbände. Aber wir haben 16 Projekte definiert, die am meisten Strom liefern und am wenigsten die Natur beeinflussen und die ausgebaut werden sollen. «Hier steht die Produktion über dem Schutz. Es braucht solche Regelungen, auch zur Sicherheit der Investoren», ist Rösti überzeugt. Kapazität sieht er auch in der Windenergie. «Im Richtplan sollen Zonen dafür ausgeschieden werden, die am besten geeignet sind, auch in Sachen Umweltverträglichkeit.» Gleiches gelte für alpine Solaranlagen. Rösti weiss, dass vor allem diese Idee in seiner Partei Bedenken auslöst. «Ich versichere allen: Jede Gemeinde kann entscheiden, ob auf ihrem Gebiet eine Windanlage gebaut wird oder nicht.» Dass in der Fragerunde dieses Thema aufgrund der Aktualität im Freiamt wieder aufgenommen wurde, erstaunte nicht. Doch Rösti betont: «Nein, es ist keine Augenwischerei. Auch Windenergie kann einen Beitrag leisten, rund 10 Prozent des so wichtigen Winterstroms.» Auch er sei dagegen, dass überall Windräder gestellt werden. «Aber wenn 40 bis 100 mehr davon aufgestellt werden, wo die Leute das tolerieren, und es Investoren gibt, dann ist unser Land deswegen nicht verschandelt.»
Gar neues Atomkraftwerk?
Dass es temporäre Anlagen braucht, davon ist Rösti überzeugt. «Das Energiegesetz ist quasi ein Übergangsgesetz. Die finalen Lösungen, die Grosskraftwerke, brauchen viel mehr Zeit.» Ohne diese Grosskraftwerke aber sei der Bedarf an Strom langfristig nicht zu decken. «Zumal wir bis 2050 keine fossilen Energien mehr wollen.» Gas, Wasserstoff – es sind auch für Rösti die naheliegendsten Lösungsansätze. «Aber die Kernenergie wird wohl weiterhin ein Thema sein. Solche Werke werden sicherer, die Technologie macht Fortschritte. Klar ist, es wird viel Zeit brauchen, um eine Mehrheit davon zu überzeugen. Darum müssen wir jetzt in den sauren Apfel beissen. Schliesslich geht es um unsere Versorgungssicherheit.»
Dass dabei der Weg nicht daran vorbeigehe, die Atomkraftwerke so lange aufrechtzuerhalten, wie sie sicher sind, ist für Rösti klar. «Vielleicht ist es gar besser, auch ein neues zu bauen.» Und eben, Chancen sieht der Bundesrat auch in Wasserstoffprojekten. «Da sind wir aktuell daran, eine Strategie zu erarbeiten», sagt er. Das Potenzial sei gross, gerade wenn Solarstrom in Wasserstoff gespeichert werden könne. «Es gibt Ideen, dereinst Wasserstoff in Pipelines aus dem Süden zu importieren.» Aber das sei noch weit in der Zukunft.
Ausbau im öV und auf den Strassen
Röstis Departement ist vielseitig, umfasst etwa auch den Bereich Verkehr. Und auch hier steht eine Abstimmung bevor, aller Voraussicht nach kommt das Strassenbauprogramm im November vors Volk. Zusammenfassend sagt Rösti: «Wir müssen im öffentlichen, aber auch im Privatverkehr genug und entsprechend den Bedürfnissen investieren.» Bei 30 000 Staustunden sei ein Ausbau unumgänglich.
Allgemein sei es wichtig, dass die Schweiz an bewährten Werten festhalte. Freiheit, Unabhängigkeit, Fleiss, Disziplin. «Dann bringt es nie eine Partei fertig, alleine zu regieren und das Volk kann Entscheide immer korrigieren. Darum ist die direkte Demokratie so wichtig und das Engagement möglichst vieler in der Politik.»