Augenarzt mit toller Aussicht

  28.07.2020 Wohlen

Sommerserie «Auf den Punkt»: Augenarzt Dr. Klaus Lipke arbeitet in Wohlen und lebt in Dottikon

Klaus Lipke ist ein Augenarzt aus Deutschland, der mit seiner Familie seit etwas mehr als drei Jahren in Dottikon lebt. Er spricht über Beruf, Familie und das Verhältnis Deutschland – Schweiz.

Josip Lasic

Der Dartpfeil trifft die Ziegelmattstrasse in Dottikon. Ein Wohnquartier, eingebettet zwischen dem Hägglingerbach und einem kleinen Teich nahe der Ortsgrenze zu Hägglingen.

Das Quartier ist ein Traum in Weiss und Grün. Weiss sind die grossen, schönen Häuser. Grün sind die dazugehörigen gepflegten Gärten und viel Natur in der Nähe der Ziegelmattstrasse. Bei der Suche nach einer interessanten Geschichte hilft das Smartphone. Telefonbuch und Google sagen, dass es Spannendes zu entdecken gibt im Quartier. Am Ende der Strasse steht eine Villa. Eine kroatische Familie, die ansonsten Ferienhäuser an der Adria anbietet, vermietet auch das Haus in Dottikon als «Bed and Breakfast». Ein Businessund Sport-Mentalcoach, der Teilhaber an einem Hundeheim ist, wohnt ebenso an der Ziegelmattstrasse wie der Leiter der Gastronomie am Inselspital Bern.

Ferienzeit bedeutet ruhiges Quartier

Nach mehrfachem Klingeln an diversen Türen und zahlreichen Telefonanrufen tritt Ernüchterung ein. All die spannenden Menschen sind entweder in den Sommerferien oder anderweitig nicht verfügbar.

Die Rettung erscheint in Form eines sympathischen Herrn, der in seinem Garten den Rasen mäht. Er erklärt sich sofort bereit über sich, seine Familie, Leben und Beruf zu erzählen. Es handelt sich um Klaus Lipke, besser gesagt Dr. Klaus Lipke, Facharzt für Augenheilkunde und Medizinischer Standortleiter der Pallas Klinik in Wohlen. Ein leichter Duft von frisch gemähtem Gras steigt in die Nase, während der Augenarzt Wasser einschenkt und zu erzählen beginnt.

«Haus in Dottikon war genau das, was wir wollten.»

Der 48-Jährige lebt seit Januar 2017 mit seiner Frau und ihren zehnjährigen Zwillingen – ein Junge und ein Mädchen – in der Schweiz. Die Familie hat von Anfang an in Dottikon an der Ziegelmattstrasse gewohnt, allerdings nicht im selben Haus. «Zunächst wohnten wir schräg gegenüber zur Miete und sind dann hierhergezogen», erzählt Lipke. Sein Arbeitsplatz in Wohlen war der Grund für den Umzug in die Schweiz. Eine Stadt wie Zürich kam als Wohnort nicht infrage. Es sollte ein kleineres Dorf sein, damit die Kinder draussen spielen und in den Wald gehen können. «Wir haben hier in der Nähe einen Bach und viel Natur drumherum. Das ist genau das, was wir wollten.» Auffällig ist die grossartige Aussicht, die die Familie Lipke von ihrem Zuhause aus geniessen kann. Aus dem Garten sind ganz Dottikon und weite Teile des Freiamts zu sehen. Bei schönem Wetter ist auch ein Blick auf die Alpen und das Juragebirge möglich. «Wir sehen den Pilatus, den Titlis, die Rigi. Es ist grossartig.»

Ein Augenarzt, der den Menschen hilft, gut zu sehen, darf sich in seinen vier Wänden einer so schönen Aussicht erfreuen. Diese Tatsache hat beinahe etwas Poetisches.

Für die komplette Augengesundheit

Dabei wollte Klaus Lipke gar nicht Augenarzt werden. Er, der ursprünglich im Rheinland zwischen Koblenz und Trier aufgewachsen ist, sagt, dass er zunächst nicht Medizin studieren wollte. Im Studium dachte er dann nicht an eine Spezialisierung in Richtung Augenheilkunde. «Irgendwann kommen aber die Y-Gabelungen im Leben, wo man sich entscheiden muss, ob man nach links oder nach rechts geht. Eine Aneinanderkettung dieser Entscheidungen hat mich dorthin geführt, wo ich heute bin. Heute könnte ich mir nichts Besseres vorstellen.»

Sein Interesse galt zunächst der Chirurgie. Er sagt, dass er gern mit den Händen arbeitet, und deutet auf den Rasenmäher, mit dem er vor dem Gespräch beschäftigt war. Die Chirurgie und die Augenheilkunde konnte er verbinden. In Ulm, wo er die letzten 25 Jahre gelebt und gearbeitet hat, war er im Bundeswehrkrankenhaus Leiter für plastisch-rekonstruktive Lid-, Orbita- und Tränenwegchirurgie. In den Pallas Kliniken ist er leitender Arzt in der Lidchirurgie. Er beschäftigt sich aber mit allen Gesundheitsfragen des menschlichen Sehorgans. Das beginnt bei den klassischen Sehtests für den Führerschein, geht über Laser-Operationen zur Sehkorrektur und endet bei Tumoren und rekonstruktiver Chirurgie des Auges.

Ein grosser Familienmensch

Klaus Lipkes Frau stammt ursprünglich aus Köln. Sie ist gelernte Physiotherapeutin, Krankenschwester und Arzthelferin. In Deutschland waren sie beide berufstätig. Jetzt ist seine Frau zu Hause, um sich stärker um die Kinder zu kümmern. «In Deutschland kamen sie viel zu kurz», sagt er.

Die Eltern fördern die Kinder und ihre Interessen jetzt umso stärker. Der Sohn spielt Tennis. Die Tochter tanzt Hip-Hop, Ballett und ist Mitglied im Blauring. «Für unsere Kinder wäre es die Höchststrafe, wenn wir nach Deutschland zurückziehen würden. Sie haben ihr ganzes soziales Umfeld in der Schweiz und sprechen sogar akzentfrei Schweizerdeutsch.» Beide Kinder spielen ausserdem ein Instrument. Der Sohn Gitarre, die Tochter Klavier. Die Musikalität haben sie vom Vater. Klaus Lipke spielt Klavier und Saxofon.

Sein grösstes Hobby ist aber seine Familie. Er wiederholt: «Sie kam in den letzten Jahren zu kurz.» Er hat eines seiner Hobbys so gewählt, dass es familienkompatibel ist. Paradoxerweise betreibt er es aber aktuell zu wenig, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Klaus Lipke ist leidenschaftlicher Golfspieler. «Mich fasziniert an Golf, dass man primär gegen sich selbst spielt», sagt der Augenarzt. «Es ist ausserdem kein typischer Männer- oder Frauensport. Ich habe ein Hobby gesucht, das ich mit beiden Kindern ausüben könnte.»

Lange Arbeitstage – ausser zur Coronazeit

Die Arbeitstage des Augenarztes können schnell zehn bis elf Stunden dauern. Nach der Arbeit möchte der Familienmensch Zeit mit Frau und Kindern verbringen. Viel Kapazität für sein Golfspiel bleibt da nicht übrig. Auf die Frage, ob die langen Arbeitstage auf Dauer nicht zu streng für ihn werden, antwortet Lipke mit einem Augenzwinkern: «Kuchen backen würde mir schwerer fallen. Das kann ich nicht. Meinen Beruf kann ich. Es spielt mir keine Rolle, wie lange ich arbeite.»

Zur Zeit des Corona-Lockdowns sah es ohnehin anders aus. «Es hiess, dass man möglichst wenig zum Arzt gehen solle, da die Mediziner ihre Kapazität für die Corona-Patienten benötigen. Das führte so weit, dass Ärzte aller Fachbereiche fast zu viel Kapazität hatten. Unter anderem die Augenärzte», erklärt Lipke. Viele wichtige Operationen haben zu dieser Zeit nicht stattgefunden. «Die Verantwortlichen aus Politik und Medizin konnten das Virus am Anfang nicht einschätzen. Metaphorisch gesprochen haben sie deswegen eine Vollbremsung vollzogen und dabei einen Auffahrunfall verursacht.»

Mit Klischees aufgeräumt

Die Familie Lipke hat sich sehr gut in der Schweiz eingelebt. «Unsere Nachbarn sind beispielsweise sehr nett. Das hat es uns sehr erleichtert», sagt der Augenarzt und möchte gleich mit ein paar Vorurteilen aufräumen. «Ich glaube, es ist zu einfach gedacht, wenn man von Unterschieden zwischen Deutschland und der Schweiz spricht. Das scheint mir regional bedingt. Süddeutsche dürften Schweizern ähnlicher sein als Norddeutsche», sagt Lipke. «Wieder metaphorisch gesprochen: Mercedes oder BMW bauen beide gute Autos. Keine Marke ist besser oder schlechter. Es ist nur etwas anderes. Das Gleiche gilt für Deutsche und Schweizer. Ich will da nicht werten.» Seine Wahrnehmung ist, dass Deutsche oft direkter, Schweizer dafür diplomatischer sind. «Beides hat je nach Situation seinen Platz. In meinem Beruf schätzen es die Leute, wenn ich direkt bin und ihnen reinen Wein einschenke. Die Schweizer Diplomatie hat dafür ihre Vorteile, dass es bei Schweizern nicht so schnell laut wird.»

Erneut zeigt Klaus Lipke auf seinen Rasenmäher. «Bevor mir die Nachbarn aber die Schweizer Gepflogenheiten näherbringen, dass der Rasenmäher um 19 Uhr aus zu sein hat, muss ich jetzt weitermachen.» Mit diesen Worten beendet er das Gespräch.


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