AUSTAUSCHJAHR

  18.06.2021 Kolumne

Sarah Schönenberg, Paraguay.

Dankbar für die Privilegien

Ich denke, vielfach ist uns gar nicht klar, wie privilegiert wir eigentlich sind. Obwohl mir als Kind (zugegebenermassen immer noch) viele Male gesagt wurde, dass ich mich glücklich schätzen kann, in einem Land wie der Schweiz zu leben, habe ich es nicht wirklich begriffen. Mir wurde das erst hier in Paraguay so richtig bewusst.

Paraguay ist ein eher armes Land, und leider musste ich am eigenen Leib erfahren, wie schwierig diese ganze Situation ist, als meine Tante von hier an Covid erkrankte. In der Schweiz würde man jetzt sagen: «Okay, wir bringen sie ins Krankenhaus, wenn ihr Zustand sich verschlimmert, die Kosten übernimmt ja die Krankenkasse.» Und hier beginnt schon das erste Problem.

In Paraguay ist die Krankenversicherung nämlich nicht obligatorisch. Diejenigen, die angestellt sind, bekommen die öffentliche Krankenversicherung. Diese ist hier in Concepción jedoch nur in einem (!) Krankenhaus gültig, das aber keine Covid-Patienten behandelt. Das heisst, wenn man keine private Versicherung abgeschlossen hat, hat man einfach Pech und muss diese teure Behandlung aus der eigenen Tasche bezahlen. Noch schlimmer geht es denen, die gar keine Versicherung haben.

Die meisten hier haben zwar nicht viel, doch sie sind immer dazu bereit, andere zu unterstützen und ihnen zu helfen, wo sie können. Somit sind sie in meinen Augen um einiges solidarischer und hilfsbereiter als so mancher Schweizer.

So findet teilweise jede Woche irgendeine Spendenaktion statt, um die Kosten der Medikamente eines Covid-Patienten zu bezahlen. Dann grilliert man eben an einem Sonntag mal nicht selbst, sondern holt sich das Essen von denen, die Geld sammeln, um sie zu unterstützen, denn man weiss nie, ob man nicht irgendwann selbst darauf angewiesen ist.

So auch im Fall meiner Tante. Am Sonntag haben wir noch gemeinsam Asado gegessen, das wir von einer Familie, die am Geldsammeln war, geholt haben, und am Freitag darauf wurde sie positiv getestet. Somit waren wir dann diejenigen, die Geld mithilfe einer Spendenaktion gesammelt haben.

Zwei weitere Dinge, die ich mir auch kaum vorstellen konnte und die mich sehr betroffen gemacht haben, sind zum einen, dass es hier viel zu wenige Betten für Covid-Patienten hat, sodass es auch schon vorkam, dass Patienten draussen vor dem Krankenhaus, auf einen Platz wartend, gestorben sind. Zum anderen hiess es mal an einem Samstagmittag: «Uns geht um drei der Sauerstoff aus.» Die Angehörigen wurden dann dazu aufgefordert, Sauerstoff für den Covid-Patienten zu besorgen.

Hier in Paraguay ist die Lage – wie Sie eben lesen konnten – noch lange nicht so gut wie in der Schweiz. Deshalb sollten wir schätzen, was wir haben, denn die Menschen hier wären froh darum.

Sarah Schönenberg wohnt mit ihrer Familie in Boswil. Sie ist 17 Jahre alt und besucht seit Sommer 2019 die Kantonsschule Wohlen. Momentan lernt sie rund 10 000 Kilometer entfernt in Concepción (Paraguay) ein anderes Leben kennen und berichtet regelmässig darüber.


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