Bella Italia

  13.07.2021 Kolumne

Stefan Sprenger, Redaktor.

Valerio, Giuseppe, Carmelina. So hiessen die Kinder, mit denen ich in unserer Nachbarschaft in Wohlen aufgewachsen bin. Alles Italiener. «Tschinggen», wie manch ein diskriminierungsfreundlicher Ausländerfeind sagen würde. Meine Erfahrung: Es sind alles liebe Menschen, für die Familie über alles geht, die modebewusst und vielleicht auch etwas eitel und stolz sind.

Forza, ecco qua. Machen wir einen kleinen Check, was die Klischees des italienischen Mannes anbelangt. Beispiel 1: Italiener können an keiner Frau vorbeigehen, ohne einen Blick zu riskieren. Stimmt. Ich glaube, der italienische uomo würde es als Respektlosigkeit ansehen, wenn sie einer hübschen signora nicht hinterherschauen würden. Die meisten haben aber (von der Mama) Anstand gelernt, sonst gibts (ebenfalls von der Mama) eins aufs Berretto. Es gilt: guardare si, toccare no. Beispiel 2: Für den Italiener geht nichts über die Mama. Sie wohnen lange zu Hause und behandeln die Mutter wie eine Heilige. Auch, weil die Mama eine hervorragende Köchin ist. Auch das stimmt. Ich kenne jedenfalls nur wenige Italiener ohne Pizza-Pasta-Wohlstandsbäuchlein und viel Amore für «La Mamma». Beispiel 3: Ein Italiener ist gepflegt (gestutzter Bart, gestylte Frisur, viel Aquadi-Parma-Parfüm). Stimmt ebenfalls. Ich kenne keinen ungepflegten Italiener. Und Sie?

Als Wohler ist man sich gewohnt, dass alles ein wenig italienisch ist. Coiffeur, Restraurants, Bar, Läden, Alltag. Überall hat es Italiener, die etwas aufgebaut haben. Hintergrund: In den 60erund 70er-Jahren entwickelte sich Wohlen zu einem Industriezentrum. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich. Kein Babyboom, sondern günstige Arbeitskräfte aus dem Ausland sind gekommen, grösstenteils aus Italien. Sie suchten (und fanden) hier Arbeit und Perspektive. Bereits 1970 kamen über 15% der Wohler Bevölkerung aus Italien. Gemäss Volkszählung von 2015 stammten von 5951 ausländischen Einwohnern satte 25% aus Bella Italia. Dahinter kommt Kosovo (16%) und Deutschland (11%). Als Wohler ist man also irgendwie auch ein wenig Italiener. Mittlerweile sind sie auch keine Ausländer mehr. Niemand sagt mehr «Tschingg». Sie sind längst integriert. Somit sind wir alle auch ein bisschen Europameister. Grazie infinite!


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