Bilder in Worte verwandeln
21.10.2025 Wohlen, Literatur, BücherOffene Bühne im Rahmen des Literaturfestivals «Freiamt liest»
Elf Bibliotheken aus dem Freiamt haben gemeinsam der Literatur eine Plattform geschenkt. Das erstmals durchgeführte Festival war ein toller Event, der mehr Publikum verdient hätte. Und ...
Offene Bühne im Rahmen des Literaturfestivals «Freiamt liest»
Elf Bibliotheken aus dem Freiamt haben gemeinsam der Literatur eine Plattform geschenkt. Das erstmals durchgeführte Festival war ein toller Event, der mehr Publikum verdient hätte. Und der nicht nur arrivierten Autoren einen Auftritt ermöglichte, sondern auch jenen, die sonst nur heimlich und für sich selbst schreiben.
Chregi Hansen
Die Auswahl sei ihnen schwergefallen, betonte Melanie Müller, Leiterin der Gemeindebibliothek Wohlen. Neben bekannten Autorinnen und Autoren will «Freiamt liest» auch all jenen eine Plattform geben, die noch nichts veröffentlicht haben, deren Herz aber für das Schreiben brennt. Acht Texte wurden im Vorfeld eingereicht. «Eigentlich hätten alle hier auf die offene Bühne gepasst», fügte Müller an. Schliesslich wurden «drei tolle Frauen» ausgewählt.
Nach diesen 90 Minuten hätte das Publikum sicher gern noch die anderen Texte gehört. Denn das, was die drei Schreiberinnen präsentiert haben, war beeindruckend. Das gilt ganz besonders für den Text von Manuela Salkica. Die Kantischülerin hat die Erinnerungen ihrer Mutter an den Krieg in Bosnien und die damit verbundene Flucht in Worte gefasst.
Mitten im Krieg
Weil sie die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt, erhalten die Schilderungen eine Kraft, welche unter die Haut geht und sogar für einige Tränen im Publikum sorgten. Denn ihre Mutter war zu dieser Zeit selbst noch ein Kind, dessen Welt von einem Tag auf den anderen aus den Fugen gerät. Detailliert beschreibt Salkica das Haus ihrer Grosseltern, die Angst vor dem Bevorstehenden und den Moment des Granateneinschlags, der die Garage – einst Spielplatz der Kinder, später als Schutzort gedacht – komplett zerstörte. Die Mischung zwischen dem profanen Alltag der Familie und dem heranschleichenden Grauen schafft eine packende Grundstimmung, in der die Schülerin die Geschichte voranschreiten lässt.
Manuela Salkica hat den Text für ihre Maturarbeit geschrieben. «Ich schreibe schon lange und wusste, dass ich in diesem Bereich meine Arbeit machen will», erzählte sie im Interview mit Moderator Simon Libsig. Sie habe lang nach einem Thema gesucht und dann realisiert, dass die beste Geschichte direkt vor ihr liegt. Für die Arbeit hat sie viele und lange Gespräche mit ihrer Mutter geführt. Auf bosnisch, da es so authentischer war. «Ich will nicht, dass vergessen geht, was damals passiert ist», sagte sie zu ihrer Motivation. Und der Text sei noch nicht ganz fertig. «Ich bin immer noch am Feilen. Der Abgabetermin ist am 27. Oktober», erzählte sie lachend.
Die Schwierigkeit, nichts zu tun
Aus Bildern Worte kreieren, das kann auch Doris Dubach aus Buttwil. Sie schreibt schon lange – «Es ist für mich ein Ausgleich zum Alltag», erzählte sie bei ihrem Auftritt auf der offenen Bühne. Eigentlich wollte sie ihre Texte schon immer gerne mal öffentlich vorlesen. Der Aufruf in der Bibliothek Muri für die offene Bühne war für sie ein Wink des Schicksals. «Ich habe einige Texte, die darauf warten, vorgestellt zu werden.»
Dubach arbeitet als Coach und Supervisorin und beschäftigt sich sowohl beruflich wie privat sehr mit dem Thema «Digitale Achtsamkeit». In ihrem Text schildert sie, wie schwer es ist, auf einer Busfahrt den ständigen Verlockungen der Bildschirme um sie herum zu entfliehen. Wie schwer es geworden ist, einfach nichts zu tun, den inneren Frieden zu finden und die Aussenwelt komplett auszuschliessen. Sie habe, berichtete sie in Wohlen, angefangen, im Zug auf das Handy zu verzichten und dafür zu häkeln. Daraus würden sich spannende Gespräche ergeben. Was sie denn häkle, wollte Libsig wissen. «Eine Handytasche», gestand Dubach und sorgte damit für Lacher.
Inspiriert von einem Bild
Den Faszinationen von geschriebenen Worten ist Verena Schütz schon früh erlegen. In ihrem autobiografischen Text schildert sie Szenen aus ihrem Elternhaus und wie sie durch das Lesen von (nicht altersgerechten) Romanen der Enge des kleinbürgerlichen Lebens entfliehen konnte. Detailreich beschreibt sie, wie sie, statt abzustauben, die Romane verschlingt, welche ihre Mutter durch das Bücherabo monatlich ins Haus geschickt bekommt. Wie sie mit den Helden aus den Büchern auf Schifffahrt geht oder in den Krieg zieht und nur ungern in die Realität zurückkehrt, um für die Mutter einzukaufen.
Als Aufhänger im Text dient das Bild «Die Gotthardpost» des Zürcher Malers Rudolf Koller, der «visuellen Nationalhymne», wie Schütz scherzend erklärte. Das Bild hing früher in ganz vielen Haushalten, auch in jenem ihrer Eltern. Diesem Bild ist die Co-Präsidentin der Kunstkommission wieder begegnet bei der Räumung des alten Werkhofs der Bleichi. «Sofort kamen in mir viele Erinnerungen hoch und ich sah mich unter diesem Bild an der Kommode lehnend lesen», erzählt sie. Das Schreiben tue ihr gut, «es lässt mich erden», sagte sie weiter. Vor allem das Schreiben auf Grundlage von Kunstbildern fasziniert sie und lässt sie die Bilder anders erleben. Das Schwierigste sei immer, einen Schluss zu finden. «Durch den Auftritt hier war ich gezwungen, den Text abzuschliessen», fügte sie an.
Ein rundum gelungener Programmteil
Drei tolle Frauen hatte Melanie Müller im Vorfeld angekündigt, drei tolle Frauen hat das Publikum erleben dürfen. Dazu mit Simon Libsig einen Moderator, der diese Rolle perfekt ausfüllte. Einerseits mit eigenen Texten, anderseits mit einfühlsamen Interviews. Ein rundum gelungener Programmteil, eingebettet in die «Chnorrlimorrli»-Aufführung für Kinder und die Krimilesungen am Abend.
Auf Fortsetzung freuen
Bibliotheken ziehen positive Bilanz
Das erstmals durchgeführte Literaturfestival war eine runde Sache, die durchaus mehr Publikum verdient hätte. Die guten Rückmeldungen waren der verdiente Lohn für die Organisatorinnen.
«Grosse und kleine Highlights»
Für die erste Ausgabe von «Freiamt liest» haben sich elf Bibliotheken aus dem Freiamt zusammengetan. Und am Anlass selber bewiesen, wie gut sie zusammenarbeiten. Die Organisation der verschiedenen Programmpunkte war perfekt, auch für den passenden Rahmen war gesorgt. Und am Anlass selber sorgten die Bibliothekarinnen dafür, dass sich alle wohlfühlen im Chappelehof.
Von einem «schönen Festival mit vielen grossen und kleinen Highlights und guter Stimmung» spricht denn auch Melanie Müller, Leiterin der Bibliothek in Wohlen und Mitorganisatorin des Events. Stefan Sprenger hat am Nachmittag das Festival mit einem «Chnorrlimorrli»-Programm für Kinder eröffnet und die kleinen Gäste mit Lesung, Quiz und Wettbewerb unterhalten. Im Rahmen der offenen Bühne haben drei Autorinnen sehr persönliche Geschichten geteilt und das Publikum stark beeindruckt. Saskia Gauthier begeisterte das Publikum mit ihrem Buch um Lisa Klee und Insiderwissen aus ihrem Berufsleben als Rechtsmedizinerin. Als Anschauungsmaterial hatte sie sogar Knochen dabei. Das Krimi-Duo «Satz und Pfeffer» machte den Abschluss mit seiner gewohnt routinierten Bühnenerfahrung. «Wir haben viel gutes Feedback von den Besuchenden erhalten», berichtet Müller nach dem Anlass. Mit den Besuchszahlen sind die Organisatorinnen einigermassen zufrieden, schliesslich befinde sich das Festival erst im Aufbau. Klar ist bereits jetzt, dass «Freiamt liest» keine einmalige Sache bleiben soll. «Wir werden für die Folgejahre nochmals an der ein oder anderen Stellschraube im Konzept drehen und haben diesbezüglich auch wertvolle Inputs vom Publikum erhalten», macht Müller deutlich. Alles in allem blicken die elf Bibliotheken auf eine erfolgreiche erste Durchführung zurück und freuen sich sehr auf die Fortsetzung. --chh