Cervelat
12.04.2022 MeinungenAnnemarie Keusch, Redaktorin.
Wenn die Sonne wieder öfters scheint und der hoffentlich wirklich letzte Schnee der Saison geschmolzen ist, dann wird es wieder warm auf den Balkons und Sitzplätzen. Die Grillabdeckung verschwindet, die Kohle wird wieder angezündet oder der Hahn der Gasflasche aufgedreht oder das Anfeuerholz gespaltet und die Zeitung zerknüllt. Die Grillsaison ist eröffnet, zumindest bei denen, die über den Winter mit Grillieren pausieren.
Grillieren ist so wunderbar vielfältig. Während die einen ihren Grillkäse auspacken, füllen andere noch die Crème fraîche in die vorbereiteten Pilze. Steaks gehören genauso dazu wie geschnittene, geölte und gewürzte Auberginen oder Zucchetti. Die Klassiker sind natürlich auch dabei, die Würste: Kalbs-, Schweins-, Cervelat. Und besonders Letzterer gehört bei mir ganz oben auf den Grill-Menüplan. Und zwar ganz klassisch. Ohne Speckummantelung, ohne Käsefüllung, dafür mit eingeschnittenen Beinen. Und lieber ein wenig zu dunkel als zu hell.
1891 wurde der Cervelat zum ersten Mal im Zusammenhang mit dem Schweizer Nationalfeiertag erwähnt. Seither hat er eine bemerkenswerte Karriere hingelegt und ist landesweit bekannt und beliebt. Nicht wie die B- oder C-Prominenten, die Halb-Stars, die «Cervelatprominenz». Der Begriff rühre vermutlich vom umgangssprachlichen Ausdruck «armes Würstchen». Aber Cervelatprominenz tönt wohl besser und einfacher als Kalbsbratwurst-Prominenz.
Denn im Gegensatz zu vielen Cervelat-Promis kann die Wurst ganz viel. Ob «Waldfest» oder gerädelt im Wurst-Käse-Salat. Ob beim Apéro als Cervelat-Rosen. Oder eben ganz klassisch, gebraten auf dem Grill oder am Stecken. Eine ganz spezielle Form des Cervelats fand ich an Ostern vor einigen Jahren in unserer damaligen WG. Es hatte sich zur Tradition entwickelt, dass wir uns gegenseitig einen Osterhasen versteckten. Ein wenig Kind zu bleiben, schadet nie. Also streifte ich durch die Wohnung. Hinter dem Sofa? Im Reduit? In der Küche im obersten Kästchen, das ich nur mithilfe eines Stuhles erreichte? Schliesslich wurde ich fündig, im zweiten Bierhumpen von links, die dekorativ auf dem Buffet standen. Und es war kein klassischer Osterhase, einer aus Schokolade, vielleicht mit Marzipan. Es war ein Cervelat-Osterhase. Der beste Osterhase überhaupt.