Das erträumte Gesamtkunstwerk
20.05.2025 Wohlen, Kunst, TheaterPremiere von «Sechs Beine» im Kulturwerk Bleichi erfüllt die hohen Erwartungen
Spezielle sechseckige Bühne, das Publikum auf Drehstühlen in der Mitte der Arena, ein nicht alltägliches Stück. Das Sternensaal-Team wagt sich an Neues ...
Premiere von «Sechs Beine» im Kulturwerk Bleichi erfüllt die hohen Erwartungen
Spezielle sechseckige Bühne, das Publikum auf Drehstühlen in der Mitte der Arena, ein nicht alltägliches Stück. Das Sternensaal-Team wagt sich an Neues – und meistert auch eine solche Herausforderung mit Bravour.
Daniel Marti
Wie reagieren die Tagfalter auf den Klimawandel? Sie reagieren einfach nicht. Sie kaufen sich eine Sonnenbrille. Oder sie fliegen nordwärts. Vielleicht sterben sie aber auch aus, wie so viele Insekten. Jeder darf sich seine Antwort selber ausdenken. Denn das Stück «Sechs Beine» will die Besucherinnen und Besucher sensibilisieren sowie nachdenken, staunen und schmunzeln lassen. Dies alles ist dem Sternensaal-Team mit seiner Eigenproduktion gelungen. So gut, dass das Publikum als Letztes seine Drehstühle verliess. Die Standing Ovations überraschten selbst die wortgewandte Präsidentin des Entomologischen Vereins, gespielt von Martina Arnet.
Abwechslungsreich, faszinierend und nachdenklich
Eben dieser Verein, der sich leidenschaftlich den Insekten widmet, feiert sein 125-Jahr-Jubiläum. Alle Abteilungen werden vorgeführt, Weisheiten erzählt. Und die vier stolzen Gründervä- ter signalisieren eines: «Das Wissen gehört allen.» Die Vereinsmitglieder wissen jedenfalls ganz viel. Martina Arnet, Samira Bolliger, Irène Christen, Silvia Gygli, Stephan Isler, Eva Keller, Thomi Marbach, Hans Melliger, Andreas Weber, Julia Wohler und Fränzi Zulauf haben eine tolle Bühnenpräsenz. Sie geben Einblick ins Archiv, zeigen die teuren Mikroskope, die listigen Insektenfallen, die wissenschaftliche Seite und präsentieren die rote Liste der bedrohten Insekten. Die Liste umfasst die zehn am meisten bedrohten Sechsbeiner. Acht kommen auf die Bühne, zwei fehlen, sie sind bereits ausgestorben.
«Sechs Beine» kann auch Humor. So besteht eine Insektenfalle aus einem Becher mit Alkohol drin. «Gar kein schlechter Tod.» «Sechs Beine» nimmt auch rasante Fahrt auf: Der Glühwürmchen-Insektentanz ist sehenswert und lustig. Die Weibchen leuchten und hoffen, dass die etwas «gstabig» tanzenden Männchen bei ihnen landen. Die Welt der Insekten ist abwechslungsreich, faszinierend und stimmt immer wieder nachdenklich. Nicht das einzelne Tier müsse geschützt werden, sondern die Lebensräume. So die Botschaft vom Sternensaal-Team.
Das Gericht hält der Gesellschaft den Spiegel vor
Und wer ist schuld daran, dass der Tagfalter allenfalls eine Sonnenbrille kaufen muss? Wer ist schuld am Klimawandel? Am Insektensterben? Das tagende Gericht kommt zu vielen Schlüssen. Die Hochleistungslandwirtschaft, sagt einer. Äch, die Konsumenten sind schuld, die wollen Gemüse und Früchte «ohne ein Fleckli» dran. Die Autofahrer sind schuld, mit ihren Abgasen, und wegen ihnen sind alle Strassen zugestopft. Die Reisebranche ist ebenfalls schuld, denn die Touris wollen in jeden letzten Winkel verfrachtet werden. Oder gibt es zu viele Bienen oder zu viele Katzen? Und sowieso, die Kinder brauchen heute ja alles. «Wenn die Bevölkerungsexplosion so weitergeht, braucht es bald keine Kinder mehr …» Und die Politik muss das angehen. Aber da gäbe es ja kaum Menschenverstand, so die Anklage.
«Sechs Beine» schlägt perfekt den Spannungsbogen, hält der Gesellschaft den Spiegel hin. Und kommt zum Schluss: «Der Mensch hat vieles durcheinandergebracht. Und jetzt sollte er wieder aufräumen.» Damit sich alle Menschen am Schönen freuen können.
Es gibt noch die andere Ansicht: «Der Mensch hat so vieles geschaffen, und nun ist er drauf und dran, vieles zu zerstören.» Das darf auch als Fingerzeig verstanden werden.
Der Ursprung in Krefeld
Wo liegt eigentlich der Ursprung von «Sechs Beine»? In Krefeld. In der Krefelder Studie, die das Sterben der Insekten aufzeigt. Während 27 Jahren wurden die fliegenden Insekten untersucht. Während dieser langen Zeit ist die weltweite Biomasse aus Insekten um 76 Prozent zurückgegangen. Autor Guy Krneta reiste extra nach Krefeld, erst danach hat er die Geschichte zu «Sechs Beine» fertig geschrieben.
Dem Autor war der riesige Applaus des Premierenpublikums sicher. Und Regisseur Adi Meyer «hat alles aus uns herausgeholt», meinten Präsidentin Martina Arnet und Hans Melliger vom Produktionsteam.
Beide schwärmten nach der Premiere vom eingespielten Team. Ob Musik oder Kostüme, ob Technik oder Bühnenbild, überall sind Meister ihres Fachs am Werk. Eben prächtige Leute, auch «Prachts-Chäber» genannt. «Wir haben mit Stefan Hegi den besten Nestbauer, halt ein Sarmenstorfer», sagte Hans Melliger, selber ein Sarmenstorfer. Hegi steht für «eine geniale Idee und eine tolle Umsetzung».
Da blieb Stefan Hegi fast nichts anderes übrig, als zu strahlen. Er sei absolut zufrieden, sagte er. «Alles hat geklappt, alles hat funktioniert.» Das ist überhaupt nicht selbstverständlich. «Bis nur jede Zuschauerin und jeder Zuschauer den Platz gefunden hat, auch das war ein Experiment», schmunzelt er. Das war nicht so einfach, wenn die Zuschauer in der Mitte der Arena angesiedelt sind.
Er sei stets auf das Bühnenbild, auf die Arena fixiert gewesen, gab Bühnenbauer Hegi zu. Nun konnte er sich bei der Premiere endlich auf das Stück konzentrieren. Und er habe sich schon früh festgelegt: «Wenn es so rauskommt, wie wir uns das ausgedacht und erträumt haben, dann ist es ein Gesamtkunstwerk.» Nestbauer Hegi lag richtig: «Sechs Beine» ist effektiv ein Gesamtkunstwerk.
Adi Meyer: «Nochmals steigern können»
Seine Erwartungen seien vollauf erfüllt worden, sagte Regisseur Adi Meyer nach erfolgreicher Premiere. Er sei zufrieden und glücklich. «Und alle Beteiligten haben noch einen Zacken zugelegt», gab er zu. Bei der Hauptprobe sei noch nicht alles perfekt gewesen. «Alle haben sich nochmals steigern können.» Ein schöner Steigerungslauf also. Der routinierte Regisseur kennt auch den Grund für den perfekten Auftritt bei der Premiere. «Das Publikum machts aus», sagt er. Das Publikum habe alle auf der Bühne nochmals beflügelt. Übrigens auch ihn. «Es war eine schöne Arbeit, aber auch ein Experiment mit dieser sechseckigen Bühne.» Experiment gelungen. Regisseur, Bühnenbauer, Schauspielende – alle happy, inklusive Publikum.
Tickets und Informationen: www.sternensaal-wohlen.ch