Das Gute herausgekitzelt
14.07.2020 ZufikonRealschullehrerin Isabelle Schmid verabschiedete sich nach 30 Jahren
Drei Jahrzehnte unterrichtete Isabelle Schmid eine Oberstufe, die generell als schwierig gilt. Sie tat dies mit Herzblut. Dabei halfen ihr auch ihre Erfahrungen aus der eigenen Kindheit.
Roger Wetli
Die Ehrlichkeit der Realschullehrerin Isabelle Schmid ist entwaffnend. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und redet Klartext. Sie hat ihren Beruf geliebt. «Die Realschule passte zu 100 Prozent zu mir», betont sie. «Ich wollte mich immer für meine Schüler einsetzen, ihnen eine Lobby geben und für sie da sein.» Dazu schuf sie ein Umfeld, in dem ihnen wohl war und sie gute Leistungen erbringen konnten. Schwierige Schüler erhielten von ihr jeden Tag eine neue Chance, es besser zu machen. «Aus bereits abgeschriebenen Schülern versuchte ich, das Gute herauszukitzeln. Ich habe an sie geglaubt.»
Schwierige Vergangenheit
Einige Schüler würden sehen, dass sie nicht gleich gut wie die anderen sind, und sich irgendwann selber aufgeben. Isabelle Schmid fühlte mit ihnen, konnte ihre Situation nachvollziehen. Nicht, weil sie Bücher darüber gelesen hatte, sondern weil sie als Kind und Jugendliche ähnliche Erfahrungen gemacht hatte. Schmid wurde von Familie zu Familie verschoben, hatte lange kein richtiges Daheim. In Zufkon wurde sie 1978 sesshaft, nachdem sie hier mit ihrem damaligen Freund und späteren Ehemann zusammengezogen war.
Nach einer kurzen Station als Realschullehrerin in Dielsdorf ist sie im Frühling 1981 in Zufkon als Sekundarschullehrerin angestellt worden. «Ich wurde vor einem ganz bestimmten Jugendlichen gewarnt. Dieser Schüler hatte im Sommer darauf kein Zuhause. Also habe ich ihn bei mir zu Hause aufgenommen. Er blieb, bis er 20 Jahre alt war», erinnert sich Isabelle Schmid.
Sie selber kündigte auf Herbst 1982 wieder. Nicht, weil sie den Beruf nicht mochte, sondern weil sie Mutter wurde. «Mir war es ein Anliegen, meine ganze Aufmerksamkeit meinem Kind zu widmen.» 1984 und 1986 folgten zwei weitere. Sie genoss das Leben als Mutter und Hausfrau.
Wiedereinstieg nach zehn Jahren
Ab 1992 stieg sie wieder als Lehrerin ein. Bis 1997 baute sie ihr Pensum sukzessive auf 100 Prozent aus, je älter ihre Kinder wurden. «Als Mutter ist es ein super Job. Ich hatte immer gleichzeitig Ferien wie meine Kinder. Und jemand von uns vieren hatte immer um 11 Uhr aus und konnte zu Hause das Mittagessen kochen.» Einen grossen Teil der Ferien widmete sie der Familie. Die letzten zehn Tage der Sommerferien gehörten aber der Schule. «Danach war ich jeweils für das ganze Schuljahr gut vorbereitet. Wenn ich von den Schülern eine Topleistung verlange, muss ich als gutes Beispiel vorangehen.»
Sich selber ernähren können
Sehr wichtig war ihr die Berufswahl der Schüler. «Die Eltern sollten sich vom Gedanken lösen, was aus ihren Kindern einst werden könnte. Wichtig ist doch, dass sie als Erwachsene selbstständig für ihren Lebensunterhalt auf kommen können», erklärt Schmid. Sie vergleicht dabei ihre Schüler mit Tomatenpfanzen. «Obwohl man alle gleich pfegt, wachsen sie unterschiedlich. Tomaten tragen aber schliesslich alle.» Die Schüler seien entsprechend langsamer oder schneller. Diese Zeit würde ihnen heute aber nicht mehr gegeben.
Andererseits sei es für die Realschüler heute einfacher, eine Lehrstelle zu fnden als vor 15 Jahren. Ihren Karrieren würde auch die verbesserte Durchlässigkeit der Schulsysteme helfen. «Und es gibt Jugendliche, die schlicht nicht für die Schule gemacht sind. Diese sollten möglichst schnell eine Lehre absolvieren, weil sie dort einen konkreten Nutzen ihres Handelns sehen», so Schmid.
Sie fndet es schade, dass die Oberstufe von vier auf drei Jahre verkürzt wurde. «Das neue System ist falsch. Es fehlt so ein Jahr, unter anderem auch für die Berufswahl.» Dabei habe sie die Schüler schrittweise von ihrem Traum- zu ihrem realistischen Wunschberuf begleitet.
Innere Zerrissenheit
In all den Jahren kämpfte Isabelle Schmid immer mit eigenen Selbstzweifeln. «Mache ich es gut? Lernen die Schüler überhaupt etwas bei mir?», habe sie sich gefragt. «Ich bin nicht so selbstbewusst, wie ich wirke», gesteht sie. «Diese innere Zerrissenheit kostete mich viel Kraft.» Für ihre Schüler wurde sie zur Mutterfgur. Ihre ehemaligen Schützlinge erkennt sie nicht an ihrem Aussehen, sondern an ihren Bewegungen. «Ich musste auch lernen, mich von meinen Schülern abzugrenzen, sobald ich sie nicht mehr unterrichtete. Dies, damit sie lernten, auf eigenen Beinen zu stehen.» Sie habe ihnen dann jeweils gesagt, dass sie sich mit 20 Jahren wieder bei ihr melden dürfen. «Damit hatte ich die Energie, mich auf die jeweils aktuelle Klasse zu konzentrieren.»
Ohne Pläne durchs Leben
Mit dem Elternrat ihrer Schüler hat Isabelle Schmid sehr gute Erfahrungen gemacht. In diesem pfegte sie den regelmässigen Kontakt zu den Erziehungsberechtigten. «Dadurch konnten wir einige Probleme lösen.» Die letzten drei Jahre hat die Realschullehrerin richtig genossen. Es sei eine sehr harmonische Klasse gewesen. Trotzdem freute sie sich auf die Pensionierung und damit die Verantwortung abzugeben. «Ich werde es schätzen, mich nicht mehr um die Probleme anderer zu kümmern.»
Sie möchte ohne grosse Pläne durchs Leben gehen. Mal ungezwungen ein Buch lesen und sich um ihre Enkel kümmern. «Mein ganzes Leben war bisher immer verplant. Oft im Rhythmus Schule-Ferien-Schule. Vielleicht fotografere ich jetzt wieder.» Und vielleicht besucht sie die Fussballweltmeisterschaft in Katar. «Das wäre toll», schwärmt sie. Vermissen wird sie allerdings die gute Atmosphäre im Schulzimmer.